Nachdem Nitrosamin-Verunreinigungen in Sartanen Mitte 2018 die bislang größte Rückrufaktion der letzten Jahrzehnte ausgelöst hatten, ist jetzt ein weiterer Arzneistoff belastet. Die European Medicines Agency (EMA) berichtet von Kontaminationen in einzelnen Chargen Ranitidin-haltiger Präparate und plant weitere Untersuchungen [1].
Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) informiert aktuell darüber, dass in der Europäischen Union ein Rückruf von Arzneimitteln erfolgt, die den von dem Wirkstoffhersteller Saraca Laboratories Limited hergestellten Wirkstoff Ranitidin enthalten. Es liegen Indizien vor, dass auch der Wirkstoff weiterer Wirkstoffhersteller von der Verunreinigung betroffen sein könnte. Ranitidinhaltige Arzneimittel werden zur Kontrolle der Magensäureproduktion bei Sodbrennen, zur Behandlung der Refluxerkrankungen und zur Prophylaxe von Magengeschwüren eingesetzt.
„Es ist von größter Bedeutung, dass wir aus unseren Erfahrungen mit Sartanen lernen und einen proaktiven Ansatz für andere Medikamentenklassen verfolgen“, sagt der EMA-Exekutivdirektor Prof. Dr. Guido Rasi. Eine Leitlinie soll künftig dazu beitragen, weitere Pannen dieser Art zu vermeiden [2].
Bislang unklares Risiko
Auf Anfrage der Europäischen Kommission wird die EMA nun eine Überprüfung Ranitidin-haltiger Arzneimitteln gemäß Artikel 31 der Richtlinie 2001/83/EG einleiten, nachdem Tests gezeigt hatten, dass einige Chargen des Pharmakons N-Nitrosodimethylamin (NDMA) enthielten.
„NDMA wird aufgrund von Tierversuchen als wahrscheinliches Karzinogen für den Menschen eingestuft“, heißt es in einer Mitteilung. „Es kommt in einigen Lebensmitteln und in der Wasserversorgung vor, ist jedoch nicht schädlich, wenn es in sehr geringen Mengen aufgenommen wird.“
Die EMA analysiert jetzt alle verfügbaren Daten, um zu beurteilen, ob Patienten, die Ranitidin anwenden, einem Risiko ausgesetzt sind. Und sie wird Informationen für Ärzte und Laien bereitstellen.
Inhaltlich ist der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) zuständig. Er wird nach Abschluss der Arbeiten eine Stellungnahme an die Europäische Kommission übermitteln: als Basis für rechtsverbindliche Entscheidungen in allen EU-Mitgliedstaaten. In Deutschland würde – falls erforderlich – das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte einen Rückruf an Fachkreise kommunizieren.
Häufig eingesetzter Arzneistoff – doch es gibt Alternativen
H2-Antihistaminika wie Ranitidin gehören neben Protonenpumpeninhibitoren (PPI) zu den häufig eingesetzten Medikamenten, um die Produktion von Magensäure zu verringern. Fertigarzneimittel haben einen Rx- oder OTC-Status, was zur weiten Verbreitung beiträgt.
„Patienten, die Fragen zu ihrer aktuellen Behandlung haben, können sich an ihren Arzt oder Apotheker wenden“, so die EMA in ihrer Meldung. „Es gibt mehrere andere Arzneimittel, welche für die gleichen Erkrankungen wie Ranitidin angewendet werden und alternativ angewendet werden könnten.“ Konkrete Alternativen nennt die Behörde nicht. Sie warnt Patienten aber vor dem eigenmächtigen Absetzen. Viele Leitlinien der Gastroenterologie nennen PPI ohnehin als Mittel der ersten Wahl – etwa bei der gastro-ösophagealen Refluxkrankheit.
Nitrosamine – eine wiederkehrende Bedrohung
Das Vorgehen, Wirkstoffe auszutauschen, löst jedoch keine grundlegenden Probleme, wie ein kurzer Rückblick zeigt. Ab Mitte 2018 wurden NDMA und ähnliche Nitrosamine in Sartanen nachgewiesen (wie Medscape berichtete). Es kam zu Rückrufaktionen in erheblichem Umfang und zu einer EU-weiten Überprüfung, um strengere Herstellungsanforderungen für Medikamente festlegten. Die Verunreinigungen entstanden im Herstellungsprozess als Nebenprodukte.
Seither wurde ein Nitrosamin-Derivat in bestimmten Chargen des Insulin-Sensitizers Pioglitazon und jetzt in einzelnen Chargen des H2-Antihistaminikums Ranitidin nachgewiesen.
„Inhaber einer Genehmigung für das Inverkehrbringen sind dafür verantwortlich, dass ihre Produkte gemäß den einschlägigen Vorschriften hergestellt werden“, stellt die EMA klar. „Folglich sind sie dafür verantwortlich, sicherzustellen, dass die Qualität jeder Charge ihres Endprodukts einschließlich der Qualität der Wirkstoffe und sonstigen Bestandteile völlig zufriedenstellend ist.“
Soweit zu Theorie. Da in der Praxis immer wieder Verunreinigungen auftreten, reichten die Vorgaben augenscheinlich nicht aus. Deshalb hat Rasi den CHMP aufgefordert, eine Leitlinie zur Vermeidung von Nitrosamin-Kontaminationen in Humanarzneimitteln mit chemisch synthetisierten Wirkstoffen zu entwickeln. Das Dokument richtet sich speziell an Zulassungsinhaber. Dabei geht es um Strategien, wie sich Nitrosamin-Verunreinigungen bei der Synthese von Arzneistoffen vermeiden lassen.
Der Ausschuss wird zudem Regulierungsbehörden über Maßnahmen beraten, die zu ergreifen sind, falls Unternehmen Nitrosamine in ihren Arzneimitteln finden. Gerade bei Sartanen kam es in Apotheken zum heillosen Chaos.
Klare Regelungen aus Berlin
Im Falle eines Rückrufs schafft das seit 16. August 2019 gültige Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung Klarheit: Krankenkassen haben Anspruch auf Regress bei Produktmängeln. Und für Versicherte entfällt die Zuzahlung bei einer notwendigen Neuverordnung aufgrund minderer Qualität.
„Mit dem Gesetz wollen wir die Arzneimittelversorgung besser und sicherer machen. Patientinnen und Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass Arzneimittel ihnen helfen und nicht schaden“, so Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in einer Pressemeldung.
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Diesen Artikel so zitieren: Erneut krebserregende Nitrosamine in Arzneien, diesmal bei Ranitidin. BfArM informiert über EU-weiten Rückruf - Medscape - 16. Sep 2019.
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