ASS plus Ticagrelor für Diabetiker mit stabiler KHK? Nur nach Koronarintervention (vielleicht) empfehlenswert

Sonja Boehm

Interessenkonflikte

11. September 2019

Paris – Es bleibt kompliziert – so lässt sich die Situation für die duale Plättchenhemmung in der Kardiologie, jenseits von Akut-Ereignissen, wohl am besten beschreiben. Beim ESC-Kongress in Paris hat dies die THEMIS Studie mit Ticagrelor (Brilinta/Brilique®, AstraZeneca) erneut unter Beweis gestellt [1].

Denn in der großen Studie mit mehr als 19.000 Patienten mit Typ-2-Diabetes und stabiler Koronarerkrankung, aber ohne Infarkt oder Schlaganfall in der Vorgeschichte, erwies sich die zusätzliche langfristige Gabe von Ticagrelor zu niedrig dosiertem ASS zwar als wirksam darin, ischämische Ereignisse zu reduzieren. Das Risiko für ein Ereignis des primären Endpunktes – Schlaganfall, Infarkt oder kardiovaskulär bedingter Tod – nahm über im Median 40 Monate Therapie knapp signifikant ab (7,7 vs 8,5%, Hazard Ratio: 0,9; 95%-Konfidenzintervall: 0,81-0,99; p = 0,04).

Erhöhtes Blutungsrisiko gleicht Risikoreduktion bei ischämischen Ereignissen aus

Gleichzeitig stieg aber das Risiko für eine schwere Blutung nach TIMI-Klassifikation signifikant an 2,2 vs 1,0%; HR 2,32; 95%-KI 1,82-2,94; p<0,001) – und machte den klinischen Nutzen wieder zunichte. Auch intrakraniale Blutungen waren unter Ticagrelor häufiger (0,7 vs 0,5%; HR: 1,71, 95%-KI: 1,18-2,48; p = 0,005). Während der Unterschied bei den tödlichen Blutungen keine statistische Signifikanz erreichte (0,2 vs 0,1%; HR: 1,9; 95%-KI: 0,87-4,15; p = 0,11).  

 
In der Gesamt-Population, die wir in THEMIS untersucht haben, wurde die Reduktion bei den ischämischen Ereignissen durch den Anstieg des Blutungsrisikos ausgeglichen. Pr of. Dr. Deepak L. Bhatt
 

Die Autoren haben aufgrund ihrer Ergebnisse einen neuen Endpunkt der „irreversiblen Schädigung“ definiert. Dieser umfasst Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall, tödliche oder intrakraniale Blutung. Und vergleicht man diesen in den beiden Behandlungsgruppen, so waren „irreversible Schädigungen“ unter Ticagrelor und Placebo etwa gleich häufig.

Die Studie ist zeitgleich zur Präsentation auf einer Hotline-Session während des ESC-Kongresses im New England Journal of Medicine veröffentlicht worden [2].

„In der Gesamt-Population, die wir in THEMIS untersucht haben, wurde die Reduktion bei den ischämischen Ereignissen durch den Anstieg des Blutungsrisikos ausgeglichen“, fasst der Seniorautor der Studie Prof. Dr. Deepak L. Bhatt vom Brigham and Women’s Hospital und der Harvard Medical School in Boston, USA; in einer Pressemitteilung der ESC das Hauptergebnis von THEMIS zusammen. „Es bleibt nach wie vor der entscheidende Punkt, Patienten mit hohem ischämischem Risiko, aber niedrigem Blutungsrisiko zu identifizieren, um diejenigen herauszufiltern, die von der Kombi Ticagrelor/ASS profitieren können“, sagte er.

 
Es bleibt nach wie vor der entscheidende Punkt, Patienten mit hohem ischämischem Risiko, aber niedrigem Blutungsrisiko zu identifizieren. of. Dr. Deepak L. Bhatt
 

Die PCI in der Anamnese als „Stresstest“ für die Verträglichkeit?

Eine solche Gruppe meinen die Autoren möglicherweise identifiziert zu haben: nämlich die THEMIS-Subgruppe, die bereits eine perkutane Koronarintervention (PCI) hinter sich hatte. Diese immerhin 11.000 Patienten umfassende Subgruppe (58% der Gesamtpopulation) haben sie in der THEMIS-PCI Studie separat ausgewertet und die Ergebnisse in einem eigenen Vortrag während der gleichen Hotline-Session wie die Hauptstudie vorgestellt und im Fachblatt The Lancet publiziert [3].

Auch in dieser Subgruppe führte die duale Plättchenhemmung zwar zu einem Anstieg der schweren Blutungen. Doch hier errechneten Bhatt und Kollegen insgesamt ein positives Nutzen-/Risiko-Profil. Hauptgrund: In THEMIS-PCI war weder die Rate an tödlichen Blutungen (beide Gruppen je 0,1%) noch die an intrakranialen Blutungen (je 0,6%) unter Ticagrelor erhöht. Bhatts Erklärung dafür: Bei dieser Gruppe von Patienten mit Stents handelt es sich um eine positive Selektion, die bereits belegt hat, dass sie die als Folge der Stent-Implantation indizierte doppelte Plättchenhemmung verträgt: „Sie haben sozusagen bereits einen positiven Stresstest für die duale Plättchenhemmung absolviert.“

Die rund 9.000 Typ-2-Diabetespatienten in THEMIS, die keine PCI hinter sich hatten, profitierten nach dieser Analyse im Übrigen nicht von der zusätzlichen Ticagrelor-Gabe. Bei ihnen war weder die Rate an ischämischen Ereignissen des primären Endpunktes reduziert (p = 0,76), noch zeigte sich ein Nutzen beim klinischen Netto-Nutzen. Auch in THEMIS-PCI war insgesamt die Rate der schweren Blutungen nach TIMI-Klassifikation unter Ticagrelor erhöht (2,0 vs 1,1%; HR: 2,03; 95%-KI: 1,48-2,76; p < 0,0001).

Bleibt die Frage, was nun die praktische Schlussfolgerung aus diesen Ergebnissen ist. Die THEMIS-PCI-Autoren formulieren es in ihrer Publikation eher vorsichtig: „Bei stabilen Patienten mit Typ-2-Diabetes und einer perkutanen Koronarintervention in der Krankheitsgeschichte, ganz besonders nach Stentimplantation, reduziert die Behandlung mit Ticagrelor plus ASS ischämische Ereignisse und scheint einen signifikanten klinischen Netto-Nutzen im Vergleich zu ASS allein zu haben – auch wenn es die Rate an schweren Blutungen erhöht“, schreiben sie. „Bei Patienten mit Diabetes, die sehr sorgfältig danach ausgewählt sind, dass sie ein niedriges Blutungsrisiko haben, sollte eine verlängerte duale Therapie mit Ticagrelor und ASS nach einer koronaren Stentimplantation in Erwägung gezogen werden.“

 
Für Patienten mit stabiler Koronarerkrankung mit einem niedrigen Blutungs- und hohen ischämischen Risiko könnte dies eine neue Strategie sein. Pr of. Dr. Deepak L. Bhatt
 

Spielt der zeitliche Abstand zur PCI eine Rolle?

Dies lassen sie ausdrücklich auch für einen längeren Zeitraum gelten. Denn in einer separaten Analyse prüften sie, ob der Nutzen der dualen Plättchenhemmung davon abhängig ist, wie lange die Koronarintervention zurückliegt. „Auch wenn es Hinweise darauf gab, dass der Benefit größer war, wenn die PCI erst kürzlich stattfand“, schreiben sie, „so zeigt doch eine Post-hoc-Analyse nach einem Jahr, dass die Reduktion bei den ischämischen Ereignissen sowohl im ersten Jahr, aber auch noch danach statistisch signifikant war.“

Die Autoren verweisen auch auf die Studienevidenz für Patienten nach einem Akuten Koronarsyndrom (ACS). Bei ihnen ist bekannt, dass die duale Plättchenhemmung mindestens im ersten Jahr nach dem ACS das Risiko für ein erneutes kardiovaskuläres Ereignis senkt – und dass Patienten mit niedrigem Blutungsrisiko auch noch über einen längeren Zeitraum von der dualen Plättchenhemmung profitieren können. In THEMIS lag die PCI bei den Patienten im Schnitt bereits 3 Jahre zurück, bei manchen Teilnehmern war sie sogar schon mehr als 10 Jahre her.

Auch die THEMIS-Autoren räumen ein, dass vieles in punkto duale Plättchenhemmung noch unklar bleibt. Die optimale Patientenselektion, das Timing beim Behandlungsbeginn und die Behandlungsdauer nennen sie als Punkte mit mehr Klärungsbedarf. Und auch die verfügbaren Risikoscores zur individuellen Gefährdung durch Blutungen bzw. durch ischämische Ereignisse benötigten noch weitere Evaluation. 

Im Gespräch mit Medscape machte Bhatt nochmals klar: „Sicherlich würden Patienten mit hohem Blutungsrisiko niemals für eine solche Ticagrelor-Behandlung in Betracht kommen. Aber für Patienten mit stabiler Koronarerkrankung mit einem niedrigen Blutungs- und hohen ischämischen Risiko, könnte dies eine neue Strategie sein. Und die Ergebnisse der THEMIS-PCI Subgruppe suggerieren, dass Patienten, die bereits eine PCI hinter sich haben, den Patiententypus repräsentieren, der von einer solchen Therapie profitieren könnte.“

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....