Herzschutz bei Typ-2-Diabetes: ESC-Leitlinie setzt auf SGLT2-Hemmer und GLP-1-Agonisten – Metformin nicht mehr Firstline für alle

Marlene Busko

Interessenkonflikte

10. September 2019

Paris – Die European Society of Cardiology (ESC) hat in Zusammenarbeit mit der European Association for the Study of Diabetes (EASD) eine neue Leitlinie zum Management und zur Prävention der kardiovaskulären Erkrankungen (cardiovascular disease, CVD) bei Patienten mit Diabetes oder Prädiabetes veröffentlicht.

Die Empfehlungen spiegeln die jüngsten positiven Ergebnisse großer kardiovaskulärer Outcome-Studien (CVOT) mit den neuen Diabetes-Wirkstoffen sowie andere neue Entwicklungen wider.

Die Leitlinie ist eine Aktualisierung der Version von 2013: Neben den Hinweisen rund um die neuen Antidiabetika auf der Basis wegweisender Endpunktstudien wird auch Metformin nicht länger als Firstline-Therapie für alle aufgelistet. Und: Primär- und Sekundärprävention sind out, stattdessen soll das kardiovaskuläre Risiko der Patienten in „mittel“, „hoch“ und „sehr hoch“ klassifiziert werden.

Prof. Dr. Francesco Cosentino vom Karolinska Institute und Karolinska University Hospital in Stockholm und Dr. Peter J. Grant von der britischen University of Leeds, die als Vertreter der ESC bzw. EASD Vorsitzende der Arbeitsgruppe sind, betonen die Masse an Studiendaten: „Die Leitlinie spiegelt die beispiellose Zunahme der zugrunde liegenden Evidenzen wider, auf die sich Ärzte in ihrer täglichen Praxis stützen können.“

Die beiden stellten die Leitlinie auf dem ESC-Kongress 2019 vor [1]. Zeitgleich wurde sie am 31. August auf der Website des ESC online und im European Heart Journal veröffentlicht [2].

Welche Neuerungen gibt es?

„In den vergangenen 5 Jahre erlebten wir die aufregendste Zeit seit Beginn der Diabetesforschung“, sagte Cosentino, „weil wir zum ersten Mal in der Geschichte des Typ-2-Diabetes Daten aus mehreren Endpunktstudien vorliegen haben, die darauf hindeuten, dass der Einsatz von Glukose-senkenden Medikamenten bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen oder mit sehr hohem/hohem kardiovaskulärem Risiko einen Nutzen für diese Erkrankungen hat.“

Die Leitlinien stützen sich auf Evidenzen aus den Studien zu SGLT2-Hemmern und GLP-1-Agonisten:

  • SGLT2-Hemmer: EMPA-REG-OUTCOME-Studie mit Empagliflozin (Jardiance®, Boehringer Ingelheim/Lilly), CANVAS-Studie mit Canagliflozin (Invokana®, Janssen), DECLARE-TIMI-58-Studie mit Dapagliflozin (Farxiga®, AstraZeneca)

  • GLP-1-Agonisten: LEADER-Studie mit Liraglutid (Victoza®, Novo Nordisk), SUSTAIN-6-Studie mit Semaglutid, Harmony-Outcomes-Studie mit Albiglutid, REWIND-Studie mit Dulaglutid (Trulicity®, Lilly), PIONEER-6-Studie mit Semaglutid, CREDENCE-Studie mit Canagliflozin.

Ein wesentlicher Punkt der Leitlinie sei es, dass die kardiovaskulären Risiken bei Diabetikern auf der Grundlage von Komorbiditäten und Krankheitsdauer neu klassifiziert wurden, anstatt alles nur als Primär- oder Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen in einen Topf zu werfen.

Nach den Leitlinien werden Diabetiker jetzt wie folgt klassifiziert:

  • mittleres kardiovaskuläres Risiko bei jungen Diabetikern ohne weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren und noch keine 10 Jahre an Diabetes erkrankt

  • hohes kardiovaskuläres Risiko, wenn der Diabetes länger als 10 Jahre besteht und mindestens ein weiterer Risikofaktor vorliegt, ohne dass Schädigungen an den Zielorganen nachzuweisen wären

  • sehr hohes kardiovaskuläres Risiko, wenn eine kardiovaskuläre Erkrankung oder eine Zielorganschädigung vorliegt oder seit über 20 Jahren ein Typ-1-Diabetes besteht.

 
Wir stehen wirklich vor einem großen Paradigmenwechsel. Prof. Dr. Francesco Cosentino
 

Die Studienresultate legen nahe, dass diese neuen Medikamente für Patienten mit Typ-2-Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen oder sehr hohen/hohen kardiovaskulären Risiken empfohlen werden sollten. Das gilt etwa für Patienten mit Zielorgan-Schädigung oder mehreren kardiovaskulären Risikofaktoren, unabhängig davon, ob sie noch unbehandelt sind oder bereits Metformin erhalten.

„Wir stehen wirklich vor einem großen Paradigmenwechsel“, sagte Cosentino und bezog sich dabei auf die Verwendung von Metformin. Denn: Für Patienten mit Typ-2-Diabetes und manifester kardiovaskulärer Erkrankung, also Hochrisiko-Patienten, empfiehlt die Leitlinie die sofortige Therapieeinleitung mit einem SGLT-2-Hemmer oder einem GLP-1-Agonisten oder eine Ergänzung der bestehenden Metformintherapie.

„Das ist wichtig“, erklärte Grant in einer E-Mail gegenüber Medscape, „denn bisher haben alle Leitlinien Metformin als Erstlinientherapie in allen Fällen von Typ-2-Diabetes empfohlen. Die Evidenzen zeigen jedoch, dass dies nicht mehr die beste Strategie ist.“

Die Leitlinie stellt auch fest, dass der Benefit einer GLP-1-Agonisten-Medikation „höchstwahrscheinlich durch die Reduktion arteriosklerose-bedingter Ereignisse zustande kommt“, während SGLT2-Hemmer eher die Endpunkte im Zusammenhang mit einer Herzinsuffizienz zu reduzieren scheinen.

Die „enormen Veränderungen der letzten 5 Jahre im Diabetesmanagement sind wahrscheinlich die größten Erfolge seit der Entdeckung des Insulins im Jahr 1924“, so Grant.

 
Die enormen Veränderungen der letzten 5 Jahre im Diabetesmanagement sind wahrscheinlich die größten Erfolge seit der Entdeckung des Insulins im Jahr 1924. Dr. Peter J. Grant
 

Im Anschluss wies er auf die folgenden wichtigen Aktualisierungen in der aktuellen Leitlinie hin:

  • „Wir sollten nicht mehr von Primär- und Sekundärprävention sprechen, sondern Patienten mit Diabetes als Patienten mit mittlerem, hohem oder sehr hohem kardiovaskulären Risiko einstufen.“

  • Eine neue Endpunktstudie zu ASS (ASCEND) bei Diabetikern mit mittlerem kardiovaskulärem Risiko ist der Grund, dass ASS nicht mehr bei Patienten mit mittlerem Risiko empfohlen wird, sondern die Anwendung auf Patienten mit hohem und sehr hohem Risiko auf individueller Basis beschränkt wird.

  • Zwei Studien mit PCSK9-Hemmern – darunter eine Diabetes-Teilstudie – führten dazu, diese bei Hochrisikopatienten mit anhaltend hohen LDL-Werten unter maximaler Statin- und Ezetimib-Behandlung oder bei Statin-Intoleranz zu empfehlen.

  • Die COMPASS-Studie mit Rivaroxaban plus ASS bei Patienten mit stabiler KHK führte zu der Empfehlung, diese duale Therapie zur längerfristigen Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen zu empfehlen.

Gleichzeitig sollte die „glykämische Kontrolle nicht vergessen werden“, warnte Grant, denn sie trage dazu bei, mikroangiopathischen Komplikationen an Augen, Nerven und Nieren vorzubeugen.

Die Leitlinien empfehlen, einen HbA1c-Spiegel von unter 7% anzustreben, insbesondere bei jungen Erwachsenen, die noch nicht lange Diabetiker sind.

Aufgenommen wurden auch LDL-Ziele von 2,5 mmol/l, 1,8 mmol/l und unter 1,4 mmol/l (100/70/55 mg/dl) für Patienten mit Diabetes, die ein mittleres, hohes bzw. sehr hohes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen haben.

Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass PCSK9-Hemmer bei Patienten mit Diabetes, die als Hochrisikogruppe für kardiovaskuläre Ereignisse angesehen werden, eindeutig erforderlich sind und dass ASS für diese Patientengruppe in Betracht gezogen werden kann – allerdings nicht mehr bei Patienten mit nur einem mittleren kardiovaskulären Risiko.

Disziplinübergreifende Leitlinien

Dr. Robert H. Eckel von der University of Colorado in Denver – zwischen 2005 und 2006 Präsident der American Heart Association (AHA) und ab Januar 2020 Co-Präsident der American Diabetes Association (ADA) – wurde von Medscape um eine Stellungnahme gebeten und schrieb in einer Mail, dass sich die ambulant tätigen Ärzte im Allgemeinen an die „Standards of Medical Care“ der ADA/EASD für das Diabetesmanagement sowie an die Leitlinien und die Stellungnahmen der AHA und des American College of Cardiology in kardiologischen Fragen hielten.

Diese Version der ESC/EASD-Leitlinien für Diabetiker und kardiovaskulär Erkrankte betone die Bedeutung der SGLT2-Hemmer und GLP-1-Agonisten. „Das schließt die Positionierung als Primärtherapie gegenüber dem Metformin bei Patienten mit hohem oder sehr hohem kardiovaskulären Risiko ein, was eine neue Art der Patientenklassifizierung ist im Vergleich zu der bisherigen therapeutischen Zuordnung in Primär- oder Sekundärpräventionsgruppen kardiovaskulärer Erkrankungen“, sagte Eckel.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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