
Prof. Dr. Kirsten Minden
Berlin – Auch die Allerkleinsten können schon an Rheuma erkranken und genau wie bei Erwachsenen gilt inzwischen: Möglichst früh behandeln, um Spätfolgen zu vermeiden. Dies machte Prof. Dr. Kirsten Minden von der Universitäts-Kinderklinik der Berliner Charité deutlich. Auf der Vorab-Pressekonferenz anlässlich des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) erläuterte die Kinder-Rheumatologin, wie Pädiater die Erkrankung frühzeitig erkennen können und in welche Richtung sich die Therapie gerade entwickelt [1].
Rund eines von 1.000. Kindern unter 16 Jahren erkrankt an einer juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) – mehr Mädchen als Jungen. Der Erkrankungspeak liegt im zweiten bis dritten Lebensjahr. Überwiegend (50% der Fälle) handelt es sich bei Kindern um eine Oligo-Arthritis, bei der maximal 4 Gelenke betroffen sind. Die Rheumafaktor-negative Polyarthritis ist mit 25% am zweithäufigsten. Bei beiden Formen besteht ein hohes Risiko für eine Augenbeteiligung in Form einer Iridozyklitis mit dem Risiko zu erblinden.
„Humpelstilzchen“: Symptome erkennen
Was es schwierig macht, Gelenkrheuma bei (Klein-)Kindern zu erkennen: Die kleinen Patienten klagen selten über Schmerzen. Dennoch gibt es typische Symptome, an denen Eltern und Kinderärzte erkennen können, dass etwas nicht stimmt. So nehmen die Kinder eine Schonhaltung ein oder vermeiden bestimmte Bewegungen, humpeln und Gelenke sind geschwollen. Sehr häufig ist eine Entzündung der Kniegelenke.
Mitunter können auch Infekte vorübergehende Gelenkentzündungen auslösen. Nicht selten bei Kindern im Vorschulalter ist auch der so genannte Hüftschnupfen. Entscheidend für die Diagnose Gelenkrheuma ist deshalb, dass eine Entzündung ohne erkennbaren Grund für mindestens 6 Wochen anhält.
Besteht der Verdacht auf Rheuma, sollten Pädiater ihre Patienten umgehend zu einem Kinder-Rheumatologen überweisen. Zunächst weitere labordiagnostische Test vorzunehmen, ist nicht sinnvoll, wie Minden gegenüber Medscape erläuterte: „Der Rheuma-Faktor ist bei fast allen unseren Patienten negativ. Das ist ein Riesen-Unterschied zu den Erwachsenen“, betonte sie.
Und die Kinder müssten nicht einmal Entzündungszeichen haben, obwohl Gelenke entzündet seien. Auch die antinukleären Antikörper würden nicht gut diskriminieren, denn sie seien bei bis zu 20% aller Schulkinder positiv.
Für Kinder-Rheumatologen sind antinukleäre Antikörper bei erkrankten Kindern aber dennoch ein Warnsignal. Sind sie nachweisbar, steigt bei den JIA-Patienten das Risiko für eine Iridozyklitis. Das heimtückische daran: Die Augenentzündung verläuft bei den meisten Kindern symptomlos, das Auge ist nicht gerötet oder schmerzhaft. Innerhalb weniger Wochen können sich jedoch Komplikationen entwickeln, die sich nicht zurückbilden.
„Auch Kinder, die eine vermeintlich milde Form der JIA haben, können ein gravierendes Problem am Auge entwickeln“, mahnte Minden, die die AG Kinder und Jugendrheumatologie am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum (DRFZ) in Berlin leitet. Deshalb sind bei dieser Patientengruppe regelmäßige Untersuchungen beim Augenarzt notwendig.
Therapie: Wehret den Anfängen
Wird die Entzündung rechtzeitig gestoppt, sind Folgen wie massive Gelenkschäden, Osteoporose und Kleinwuchs vermeidbar. Ein internationales Expertengremium empfahl deshalb kürzlich auch für Kinder und Jugendliche eine möglichst frühe und konsequente Therapie („Treat to target“). Ziel ist es, möglichst eine klinische Remission innerhalb der ersten 6 Behandlungsmonate zu erreichen.
Dass dies möglich ist, belegen aktuelle Beobachtungsstudien. Demnach erreichen in den ersten 5 Erkrankungsjahren etwa 95% der Kinder zumindest vorübergehend eine inaktive Erkrankung.
Voraussetzung ist, dass die Kinder bei Verdacht auf Rheuma möglichst schnell zu einem Experten kommen. Mit bundesweit über 180 Kinder- und Jugend-Rheumatologen ist Deutschland hier gut aufgestellt, wie Minden anmerkte. Momentan dauert es aber noch durchschnittlich 4 Monate von den ersten Symptomen bis zum ersten Termin beim Spezialisten, weil insbesondere Eltern die Symptome nicht richtig deuten.
Biologika auf dem Weg in die erste Linie?
Doch nicht nur hinsichtlich des Therapiebeginns, sondern auch bei der Medikation sind die Dinge im Umbruch. Noch ist Methotrexat die Standard-Therapie bei der JIA. Doch es gibt zunehmend Hinweise, dass Kinder – auch langfristig – von einer frühen Biologika-Therapie profitieren.
Auch Minden und ihre Kollegen konnten nachweisen, dass es Patienten mit schwerer JIA im Erwachsenenalter umso besser ging, je früher sie mit Biologika therapiert wurden. So hatten diejenigen, die bereits in den ersten 2 Krankheitsjahren Biologika erhielten, gegenüber den später behandelten Kindern als Erwachsene seltener Gelenkschäden und Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck oder Osteoporose. Diese Erkenntnisse basieren auf Daten aus der Langzeitbeobachtung des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums in Berlin JuMBO (Juvenile Arthritis Methotrexate/Biologics Long-Term Observation).
Die Autoren um Minden folgern in ihrer Studie, dass es auch bei der JIA ein „window of opportunity“ gibt, eine frühe Phase, in der sich die Erkrankung am besten medikamentös beeinflussen lässt. Für die Rheumatoide Arthritis bei Erwachsenen sei dies schon überzeugend nachgewiesen worden.
Inzwischen liegen mehr als 20 Jahre Erfahrung mit der Biologika-Therapie vor. Auch die Daten des JuMBO-Registers bestätigen eine gute Verträglichkeit der Biologika. In einer aktuellen Studie auf Basis der JuMBO-Daten wurden schwere unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen selten dokumentiert. Bisher gab es nur Einzelfälle an neu aufgetretenen Autoimmunerkrankungen.
Auch die Malignom-Rate war unter Biologika nicht höher als unter Methotrexat, jedoch höher als in der Allgemeinbevölkerung. Allerdings sei eine abschließende Beurteilung des Malignom-Risikos unter Biologika-Therapie mit den vorliegenden Daten nicht möglich, heißt es in der Studie.
Trotz aller Fortschritte in der Kinder-Rheumatologie fehlt derzeit noch ein standardisierter Behandlungspfad hin zu einer inaktiven Erkrankung. Expertengruppen der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR) haben deshalb für verschiedene Rheumaformen mögliche Therapiefade vorgeschlagen. Deren Alltagstauglichkeit wird gerade in der bundesweiten Beobachtungsstudie ProKind untersucht.
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Auch Kinder haben keine Zeit zu verlieren: Rheuma möglichst rasch und effektiv zu therapieren, bewahrt vor Folgeschäden - Medscape - 6. Sep 2019.
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