Studiendaten belegen: Unter Liraglutid gibt es mehr Gallensteine und Entzündungen der Gallenblase – was ist zu beachten?

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

4. September 2019

Erhalten Patienten mit Typ-2-Diabetes den Glukagon-like-Peptide (GLP)1-Rezeptor-Agonisten Liraglutid (Victoza® / Novo Nordisk), haben sie ein erhöhtes Risiko für Erkrankungen der Gallenblase und der Gallengänge. Das bestätigt jetzt eine in Diabetes Care veröffentlichte Post-hoc-Analyse der LEADER-Studie (Liraglutide Effect and Action in Diabetes: Evaluation of Cardiovascular Outcome Results - A Long Term Evaluation), einer randomisierten, Placebo-kontrollierten Studie [1].

„Das Ungleichgewicht zugunsten von Placebo war nicht auf leichte Beschwerden beschränkt, sondern zeigte sich in allen 4 klinischen Kategorien von Gallenproblematiken“, berichtet das internationale Autorenteam unter der Leitung von Prof. Dr. Michael A. Nauck, Diabetes-Zentrum Bochum-Hattingen, St. Josef-Hospital der Ruhr-Universität Bochum.

Während in dem klinischen Entwicklungsprogramm von Liraglutid für die Behandlung von Übergewicht unter einer Tagesdosis von 3,0 mg mehr Gallenbeschwerden aufgetreten sind als unter Placebo, war das in den entsprechenden Diabetes-Studien (primäres Ziel: Glukosesenkung) mit einer Dosierung von 1,8 mg nicht der Fall.

Jedoch zeigten sich Hinweise auf Gallen-Problematiken als Nebenwirkungen des Medikaments auch in der ersten Auswertung der 2016 veröffentlichten kardiovaskulären Outcome-Studie LEADER, in der die 9.340 Typ-2-Diabetes-Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko über durchschnittlich 3,8 Jahre ebenfalls nur mit 1,8 mg s.c. pro Tag Liraglutid oder Placebo behandelt worden waren.

Unter Liraglutid war die kardiovaskuläre Ereignisrate signifikant niedriger. Gallenproblematiken zeigten sich aber bei 3,1% der mit Liraglutid behandelten Patienten; unter Placebo war dieser Anteil mit 1,9% signifikant niedriger.

„Es ging nun darum, die aufgetretenen Fälle näher zu untersuchen und zu kategorisieren“, erklärt Studienleiter Nauck im Gespräch mit Medscape. Ebenfalls wurden mögliche Implikationen der aufgetretenen Beschwerden untersucht, etwa eine notwendige Cholezystektomie.

Risiko in allen 4 Erkrankungskategorien erhöht

Unter Liraglutid traten 141, unter Placebo 88 Fälle von Erkrankungen der Gallenblase oder der Gallengänge auf (p<0,001). In der Post-hoc-Analyse wurde nun offensichtlich, dass die Ereignisraten in allen 4 in dieser Analyse festgelegten Kategorien unter Liraglutid versus Placebo erhöht waren:

  • unkomplizierte Gallenblasensteine (16 versus 5 Patienten)

  • komplizierte Gallenblasensteine (52 versus 40 Patienten)

  • Cholezystitis (51 versus 33 Patienten)

  • Verschluss der Gallenwege (25 versus 16 Patienten)

 
Gallenblase und Gallengang sind augenscheinlich Schwachstellen, bei denen Liraglutid unerwünschte Wirkungen auslösen kann. Prof. Dr. Michael A. Nauck
 

„Da die Risiken in allen 4 Kategorien ähnlich erhöht sind, scheinen alle Aspekte dieser Erkrankung – Schmerzen, Koliken oder die Notwendigkeit endoskopisch einzugreifen – betroffen zu sein“, bemerkt Nauck. „Gallenblase und Gallengang sind augenscheinlich Schwachstellen, bei denen Liraglutid unerwünschte Wirkungen auslösen kann.“

Vor allem bestand unter Liraglutid ein höheres Risiko für Gallenblasen-Entzündungen und Gallensteine. Eine Entfernung der Gallenblase war bei 81 Patienten (1,74%) in der Liraglutid- und bei 52 (1,11%) in der Placebo-Gruppe erforderlich (p=0,013).

„Von einem klinischen Standpunkt aus betrachtet sind die Nebenwirkungen des Medikaments auf Gallenblase und Gallengänge sowie mögliche Konsequenzen, eine Cholezystektomie etwa, durchaus von Interesse“, schreiben Nauck und Kollegen.

Risiko bei anderen GLP1-Rezeptor-Analoga unklar

Menschen mit Typ-2-Diabetes haben ohnehin ein um das 2-Fache erhöhtes Risiko für Erkrankungen der Galle. Mögliche Ursachen sind Insulinresistenz und Übergewicht. Ob dieses Risiko durch die Einnahme von GLP1-Rezeptor-Blockern weiter steigt, konnten bisherige Studien nicht eindeutig zeigen.

Auf das in der LEADER-Studie aufgetretene erhöhte Risiko für Gallenerkrankungen wird auf dem Beipackzettel für Liraglutid hingewiesen. Jedoch sind nicht alle GLP1-Rezeptorblocker mit einem solchen Hinweis versehen

„In Studien anderer GLP1-Rezeptor-Agonisten wurden diese Nebenwirkungen noch nicht detailliert untersucht“, sagt Nauck. Solche Untersuchungen seien aber wichtig, um das Risiko dieser Wirkstoffklasse klarer beziffern zu können.

Gallensteinen durch rasches Abnehmen

Auch der Mechanismus hinter dem festgestellten Zusammenhang ist noch nicht eindeutig geklärt; vermutet trage der Gewichtsverlust unter Liraglutid zu Gallenbeschwerden bei, schreiben die Autoren. Bekannt ist, dass andere Therapien zur Gewichtsreduktion, etwa Magen-Bypass-Operationen und kalorienarme Kost, ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für Gallensteine einhergehen.

 
Nebenwirkungen des Medikaments auf Gallenblase und Gallengänge sowie mögliche Konsequenzen, eine Cholezystektomie etwa, sind durchaus von Interesse. Prof. Dr. Michael A. Nauck und Kollegen
 

Die Post-hoc-Analyse von LEADER hat gezeigt, dass Patienten, bei denen im Laufe der Studie eine Gallenblasen- oder Gallenwegeerkrankung festgestellt wurde, mehr Gewicht verloren hatten als die übrigen Patienten ohne eine solche Erkrankung.

Umgerechnet stieg das Risiko einer Gallenproblematik pro Kilogramm Gewichtsverlust um 4%. Somit komme Gewichtsverlust als eine Ursache für das erhöhte Risiko einer Erkrankung der Galle in Betracht, schlussfolgern die Autoren.

Ebenfalls bestehe die Gefahr, dass das Medikament die Motilität der Gallenblase einschränke, was auch zur Bildung von Gallensteinen führen könne, erklärt Nauck. Darauf hatten vorherige Studien bereits hingedeutet. Der genaue Mechanismus hinter dem festgestellten Zusammenhang müsse jedoch in weiteren Studien genauer charakterisiert werden, schreibt das Studienteam.

Allgemein sei unklar, wie viele Patienten in der LEADER-Studie unter Liraglutid neue Gallensteine entwickelt hätten. Rund 20-30% der übergewichtigen älteren Typ-2-Diabetiker seien nämlich ohnehin davon betroffen, sagt Nauck. Wünschenswert sei daher eine GLP1-Rezeptor-Agonisten-Studie, bei der das Auftreten von Gallensteinen auch zu Studienbeginn systematisch erfasst werde.

Allerdings sei eine solche Studie wahrscheinlicher und sinnvoller mit dem Nachfolgemedikament Semaglutid. Für die orale Darreichungsform des Antidiabetikums hat Novo Nordisk Ende April bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA einen Zulassungsantrag eingereicht.

Jedoch könne auch eine noch detailliertere Analyse der Gallenproblematik das Nutzen-Risiko-Profil des Medikaments nicht entscheidend negativ beeinflussen, da Diabetes-Patienten von dem GLP1-Inhibitor in großem Ausmaß profitierten, erklärt Nauck. „Dennoch sollten Ärzte ihre Patienten über die Gallen-Problematik informieren und diese können sich dann selbst für oder gegen das Medikament entscheiden.“

 

Kommentar

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