2 wichtige Medikamente für Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS) – Ticagrelor und Prasugrel – müssen nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen neu bewertet werden. Dies ist das Fazit der ISAR-REACT-5 Studie, die am Sonntag auf der Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) in Paris in der 2. Hotline-Session präsentiert wurde [1,2]. Die Studie verglich das 1-Jahres-Outcome mit den beiden Plättchenhemmern bei ACS-Patienten (STEMI, NSTEMI und instabile Angina pectoris), bei denen ein invasives Prozedere geplant war. Für alle Beteiligte war das Ergebnis überraschend: Prasugrel erwies sich als signifikant wirksamer als Ticagrelor – ohne aber gleichzeitig das Blutungsrisiko zu erhöhen.

PD Dr. Stefanie Schüpke
Die Erstautorin der randomisierten Multi-Center-Studie mit über 4.000 Patienten, die zeitgleich mit der Präsentation im NEJM publiziert worden ist, ist Prof. Dr. Stefanie Schüpke vom Deutschen Herzzentrum München. Sie erntete bei Ihrer Präsentation viel Anerkennung. Kollegen auf dem Kongress sprachen von dem Direktvergleich, der wohlgemerkt nicht von der Industrie gesponsert wurde, als „game changer“ und „landmark study“. Details zur Studie finden Sie im Kasten unten. Wir sprachen mit Stefanie Schüpke und wollten von ihr wissen, warum Sie selbst von den Ergebnissen überrascht war und inwiefern diese nun die Behandlung von ACS-Patienten im klinischen Alltag verändern werden.
Medscape: Wie werden diese Studienergebnisse die Leitlinien für die Therapie von ACS-Patienten verändern?
Prof. Schüpke: Im Moment haben beide Plättchenhemmer in den Guidelines eine Klasse-1-Empfehlung. Ich bin zwar nicht im Guideline-Komitee, aber ich denke, die Studie wird für intensive Diskussionen sorgen. Von meiner Seite aus, sind die Studienergebnisse eindeutig: Sie zeigen eine ganz klare Überlegenheit von Prasugrel.
Medscape: Die Studie vergleicht die Medikamente über den Einnahmezeitraum von einem Jahr. Viele Kardiologen fragen sich nun womöglich, ob sie ihre Patienten, die schon eine PCI erhalten haben und derzeit einen anderen Pättchenhemmer nehmen, auf Prasugrel umstellen sollen.
Prof. Schüpke: Das ist eine wichtige aber auch eine sehr schwierige Frage. Ich bin der Meinung, dass man die neuen Ergebnisse dem Patienten mitteilen und mit ihm diskutieren muss, um dann zusammen mit ihm eine Entscheidung zu treffen.
Bei der Umstellung von Ticagrelor auf Prasugrel gilt es allerdings einiges zu beachten: Ticagrelor ist ein reversibler Plättchenhemmer und Prasugrel ein irreversibler. Das heißt, man sollte beim Switch auf Prasugrel z.B. mit einer Loading-Dose einsteigen, um eine therapeutische Lücke zu verhindern.
Ob sich der Umstieg auch noch längere Zeit nach der Intervention lohnt, ist schwer zu beurteilen. Da spielt es auch eine Rolle, wie Ticagrelor bislang vertragen wurde und wie hoch das ischämische Risiko des Patienten ist.
Medscape: Was hat Sie an dem Ergebnis am meisten überrascht?
Prof. Schüpke: Die Richtung und die Stärke des Effekts: Ein Ereignis des primären Endpunktes, Tod, Infarkt oder Schlaganfall, trat unter Prasugrel nur bei 6,9 Prozent innerhalb eines Jahres auf. Unter Ticagrelor waren es dagegen 9,3 Prozent.
Wichtig ist mir aber, dass wir nicht nur die beiden Wirkstoffe direkt miteinander verglichen haben, sondern auch 2 unterschiedliche Behandlungsstrategien. Denn bei der instabilen Angina pectoris und dem NSTEMI wird Prasugrel laut Leitlinien erst nach der Angiographie verabreicht und nicht schon vorher – wie dies für Ticagrelor beim NSTE-ACS und für beide Plättchenhemmer beim STEMI Usus ist. Eine zentrale Message unserer Studie ist daher auch, dass wir Prasugrel – ohne routinemäßige Vorbehandlung von NSTE-ACS Patienten – als First-Line Therapie einsetzen können.
Medscape: Wie werden die beiden Plättchenhemmer derzeit in Deutschland eingesetzt? Ist Ticagrelor beliebter?
Prof. Schüpke: Das ist sehr unterschiedlich und kommt immer auf die Klinik an. Diese entscheidet sich als Institution meist für den einen oder anderen Wirkstoff. Auch haben manche Länder bestimmte Traditionen. Zum Beispiel in Skandinavien setzen Kardiologen hauptsächlich Ticagrelor ein. Für Prasugrel ist gerade das Patent ausgelaufen. Das gibt es nun als Generikum.
Medscape: Die beiden Wirkstoffe unterscheiden sich ja auch in ihrem Nebenwirkungsprofil. Gewinnt da auch der neue Favorit?
Prof. Schüpke: Ein großer Unterschied ist, dass bei Patienten, die Ticagrelor bekommen, häufiger eine Dyspnoe auftritt. Außerdem kann es zu einem Kreatinin-Anstieg führen, also einer Verschlechterung der Nierenfunktion, oder zur Harnsäureerhöhung. Zudem verursacht es asymptomatische ventrikuläre Pausen. Ticagrelor kann auch eher mit einer Reihe anderer Medikamente, zum Beispiel mit Antibiotika, über Stoffwechselprozesse in der Leber Wechselwirkungen eingehen.
Medscape: Aber Prasugrel hat doch sicher nicht nur Vorteile, oder?
Prof. Schüpke: Kontraindiziert ist Prasugrel bei Patienten mit jeglichem Schlaganfall oder TIA in der Vorgeschichte. Bei hämorragischen Schlaganfall sollte gar keine dieser Substanzen eingesetzt werden.
Medscape: Ticagrelor muss 2 Mal am Tag als Tablette genommen werden, Prasugrel nur einmal. Unterscheiden sich die beiden Medikamente in der Compliance?
Prof. Schüpke: Die Compliance ist immer eine große Herausforderung. Wir haben durchaus Unterschiede bei den Absetz-Raten gesehen. In der Ticagrelor-Gruppe habe 15 Prozent der Patienten, die das Medikament bei Entlassung verschrieben bekommen haben, im Verlauf abgesetzt. Dies geschah in der Regel auch früher als bei Prasugrel. In der Prasugrel-Gruppe lag die Zahl nur bei 12 Prozent.
Die Eckdaten der ISAR-REACT-5-Studie
Hintergrund:
Sowohl Ticagrelor als auch Prasugrel werden für die Behandlung von Patienten mit ACS für einen Zeitraum von einem Jahr empfohlen. Aber es war nicht bekannt, welche der beiden Behandlungsstrategien im Direktvergleich die bessere ist – weder für STEMI noch für NSTEMI-Patienten oder Patienten mit instabiler Angina pectoris.
Studiendesign:
Für die Studie wurden über 4.000 Patienten mit STEMI, NSTEMI oder instabiler AP an 23 Zentren in Deutschland und Italien in den Jahren 2013 bis 2018 randomisiert. Patienten im Ticagrelor-Arm wurden nach der Randomisierung mit 180 mg geloadet. Prasugrel-Patienten mit STEMI erhielten 60 mg vor dem Herzkatheter und NSTEMI-Prasugrel-Patienten die gleiche Dosierung aber erst am Tisch vor geplanter Stentimplantation (entsprechend den Leitlinien). Im weiteren Verlauf erhielten die Patienten dann für ein Jahr eine duale Therapie aus ASS plus entweder Ticagrelor oder Prasugrel.
Ergebnisse:
ACS-Patienten mit oder ohne ST-Streckenhebung profitieren von der Einnahme von Prasugrel versus Ticagrelor. Prasugrel reduzierte im Vergleich zu Ticagrelor signifikant die Kombination der Endpunkte Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall (6,9 vs 9,3%, Hazard Ratio 1,36; 95%-KI, 1,09-1,70; p = 0.006) – dies ohne das Blutungsrisiko zu erhöhen.
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Diesen Artikel so zitieren: „Klare Überlegenheit“: Die ISAR-REACT-Studie kürt Prasugrel zum „Game Changer“ für ACS-Patienten – umstellen oder nicht? - Medscape - 2. Sep 2019.
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