Herzinsuffizienz-Leitlinien zu männerlastig? Frauen sind anders – und benötigen womöglich deutlich niedrigere Dosierungen

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

29. August 2019

Kardiologen haben das Outcome von Frauen und Männern mit Herzinsuffizienz posthoc in der BIOSTAT-CHF-Kohorte verglichen. Das interessante und doch etwas verblüffende Ergebnis: Bei den Patientinnen mit Herzinsuffizienz waren Hospitalisierungsrate und Mortalität niedriger, wenn sie nur 40 bis 60% der Leitlinien-entsprechenden Dosis der First-Line-Medikamente erhalten hatten. Im Gegensatz dazu war bei den Männern tatsächlich auch der Erhalt von 100% der empfohlenen Dosis mit dem besten Outcome assoziiert.

Über dieses Ergebnis ihrer Analyse berichten Dr. Bernadet T. Santema von der Abteilung für Kardiologie am University Medical Center Groningen und ihre Kollegen in The Lancet [1]

„Diese Auswertung gibt Aufschluss über einen Bereich, zu dem bisher Daten gefehlt haben“, kommentieren Dr. Heather P. Whitley und Dr. Warren D. Smith von der Auburn University Harrison School of Pharmacy, Auburn, Alabama, in einem Editorial [2]. Generell handele es sich um eine „durchdachte und gründliche Untersuchung, die darauf aufmerksam macht, dass möglicherweise unterschiedliche geschlechtsspezifische Dosierungen notwendig sind“, schreiben sie.

 
Die Beobachtung, dass der maximale therapeutische Nutzen bei Frauen in einer niedrigeren Dosis erreicht wird, ist ein wichtiges Ergebnis für die Praxis. Dr. Heather P. Whitley und Dr. Warren D. Smith
 

Die Editorialisten ergänzen: „Obwohl die Raten unerwünschter Arzneimittelwirkungen nicht direkt bewertet wurden, ist die Beobachtung, dass der maximale therapeutische Nutzen bei Frauen in einer niedrigeren Dosis erreicht wird, ein wichtiges Ergebnis für die Praxis“ und unterstreiche „die Notwendigkeit, geschlechtsspezifischer Unterschiede in der klinischen Pharmakotherapie stärker zu berücksichtigen“.

Leitlinien berücksichtigen Gender-Unterschiede zu wenig

Zum Hintergrund: Bei der Pharmakotherapie von Frauen oder Männern mit Herzinsuffizienz und reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF; Heart Failure with reduced Ejection Fraction) unterscheiden internationale Leitlinien nicht zwischen den Geschlechtern. Das betrifft Erstlinien-Arzneistoffe wie ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptorblocker (Sartane) oder Betablocker.

Die Autoren um Santema kritisieren, dass hier – trotz bekannter Geschlechtsunterschiede in der Pharmakokinetik – nicht differenziert werde. „Wir stellten die Hypothese auf, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede in der optimalen Dosis dieser Wirkstoffe gibt“, schreiben sie in ihrer Veröffentlichung.

Um diese Vermutung zu überprüfen, führte das Team eine Post-Hoc-Analyse von BIOSTAT-CHF (A systems BIOlogy Study to TAilored Treatment in Chronic Heart Failure) durch. Die Kohorte umfasst 2.509 Patienten mit Herzinsuffizienz. Eingeschlossen wurden nur Teilnehmer mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion von weniger als 40%. Daten von Patienten, die innerhalb der ersten 3 Monate nach ihrer Rekrutierung starben, fanden keine Berücksichtigung.

Anschließend validierten die Forscher ihre Ergebnisse anhand von ASIAN-HF (Asian Sudden Cardiac Death in Heart Failure), einer Kohorte mit 3.539 Männern und 961 Frauen. Auch hier litten alle Teilnehmer an einer Herzinsuffizienz mit verringerter Ejektionsfraktion.

Frauen scheinen von niedrigeren Arzneistoffmengen zu profitieren

Aus BIOSTAT-CHF erfüllten 1.710 Patienten (1.308 Männer und 402 Frauen) die Einschlusskriterien. Frauen waren geringfügig älter als Männer (74 versus 70 Jahre), hatten ein geringeres Körpergewicht (72 versus 85 kg) und waren kleiner (162 versus 174 cm). Die Werte des Body-Mass-Index (BMI) unterschieden sich aber nicht signifikant.

Männer und Frauen erreichten vergleichbar häufig die in den Leitlinien empfohlenen Zieldosen bei ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern (99 [25%] versus 304 [23%]) bzw. Betablockern (57 [14%] versus 168 [13%]).

Bei den Männern war es dann auch tatsächlich so, dass diejenigen, die die empfohlene Arzneimittel-Dosis erreichten, auch die niedrigste Rate an stationären Einweisungen oder Todesfällen hatten. Zudem nahm bei den Männern das Risiko ab, je mehr sich die Medikamenten-Dosis dem Wert von 100% gemäß Leitlinien annäherte.

Dies traf aber auf die Frauen nicht zu. Bei ihnen war die Therapie mit nur 50 bis 60% der empfohlenen Menge eines Betablockers oder 40 bis 60% eines ACE-Hemmers bzw. eines Angiotensin-Rezeptorblockers mit einem um 30% verminderten Risiko für beide Endpunkte assoziiert.

Im ASIAN-HF-Register wurden ähnliche Muster für die analysierten Wirkstoffe beobachtet.

 
Diese Studie legt nahe, dass Frauen mit verringerter Ejektionsfraktion möglicherweise niedrigere Dosen von ACE-Hemmern, Angiotensin-Rezeptorblockern oder Betablockern benötigen als Männer. Dr. Bernadet T. Santema und Kollegen
 

„Diese Studie legt nahe, dass Frauen mit verringerter Ejektionsfraktion möglicherweise niedrigere Dosen von ACE-Hemmern, Angiotensin-Rezeptorblockern oder Betablockern benötigen als Männer“, schreiben Santema und ihre Kollegen. Offen bleibe als Frage, welche Menge für Patientinnen optimal sei.

Stärken und Schwächen

Als große Stärke der Veröffentlichung bewerten die Autoren ihre Ausgangskohorte, nämlich BIOSTAT-CHF selbst – vor allem wegen der umfassenden Charakterisierung aller 2.509 Teilnehmer.

Allerdings umfasst die Kohorte nur wenige Frauen. Informationen zu ärztlichen Therapieentscheidungen für eine bestimmte Dosis, zu Serumspiegeln der Wirkstoffe oder zu unerwünschten Effekten fehlten ebenfalls. Ob die Patientinnen von einer höheren Dosierung der Medikamente einen gesundheitlichen Nachteil hatten, lasse sich damit nicht sagen.

 

Kommentar

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