MEINUNG

Arzt als Verkäufer? Unfair! Gute Gründe, warum Patienten nicht zum Kunden gemacht werden sollten

Arthur L. Caplan, PhD

Interessenkonflikte

21. August 2019

Patienten sind Patienten und keine Kunden. Man sollte meinen, diese Grundhaltung wäre unstrittig. Gleichzeitig muss ein Arzt heutzutage auch oft wie ein Geschäftsmann denken, um eine erfolgreiche Praxis zu führen. Nicht nur bei IGeL-Leistungen kommt regelmäßig dieser Konflikt zur Sprache.

Arthur L. Caplan

Der Medscape-Gehaltsreport 2018 zeigte, dass in den vergangenen 2 bis 3 Jahren etwa ein Drittel der Umfrageteilnehmer ihre Angebote an IGeL-Leistungen und Produkten ausgebaut haben. 70% entschieden sich jedoch gegen einen Ausbau dieser Einnahmequelle. Die Umfrage zum aktuellen Gehaltsreport 2019 zur finanziellen Situation von Ärzten in Deutschland ergab ein fast identisches Ergebnis (IGeL-Daten nicht dargestellt).

Über diesen Spagat zwischen Medizin und Business wird auch geforscht. Der amerikanische Medizinethiker Arthur Caplan diskutiert in diesem Kommentar einen Fachartikel zu der Gewissensfrage im Alltag eines jeden Mediziners. Caplan leitet an der New Yorker School of Medicine die Abteilung für Medizinethik und ist langjähriger Blogger auf medscape.com. Der Text ist das übersetzte und editierte Transkript eines Video-Kommentars.

Das Transkript:

In einem aktuellen Artikel von Wissenschaftlern des Hastings Center, einer bioethischen Denkfabrik in Garrison, New York, vertraten die Autoren die Auffassung, dass Patienten nicht als Verbraucher oder Kunden angesehen werden sollten [1]. Ich stimme dieser Sicht unbedingt zu. Ich würde noch hinzufügen, dass Ärzte auch nicht als Verkäufer betrachtet werden sollten. Leider wird in unserem Gesundheitssystem die Begegnung zwischen Arzt und Patient durch die Sprache der Wirtschaft immer weiter verzerrt.

 
„Leider wird in unserem Gesundheitssystem die Begegnung zwischen Arzt und Patient durch die Sprache der Wirtschaft immer weiter verzerrt.“ Arthur L. Caplan, Medizinethiker
 

Die Ethiker sagten in dem Paper, dass man bei dem Patienten eine Wahlfreiheit und Eigenaktivität impliziere, wann man ihn als Verbraucher betrachte. Patienten und potenzielle Viele Patienten möchten sich aber gar nicht mit einer optimalen Entscheidungsfindung bei Therapiefragen beschäftigen. Als Verbraucher überlege ich, wohin ich in Urlaub fahren könnte und welches Hotel mir dort am besten gefallen würde. Ich kann das Internet durchforsten und Informationen zu diesen Fragen zusammentragen. Ich kann dann sicher auch ein wenig nach dem Preis schauen und das für mich günstigste Gesamtangebot heraussuchen.

Ein Patient oder potenzieller Patient hat diese Wahlmöglichkeiten aber oftmals gar nicht. Er begibt sich in ein System, wird in das eine oder andere Krankenhaus oder in eine bestimmte Praxis geschickt. Er hat nicht wirklich die Wahl, was er tun soll.

Wenn man von einem plötzlichen Gesundheitsproblem betroffen ist, hat man meist keine Zeit, Erkundigungen einzuholen und sich alles erst einmal anzuschauen, um zu sehen, welcher Orthopäde oder Diabetologe der beste ist. Vielleicht erhalten Patienten kurzfristige Empfehlungen von Freunden oder von ihrem Hausarzt, aber sie werden sich nicht so verhalten können, wie sie es sonst als Verbraucher tun würden.

Ein Verbraucherverhalten passt nicht in unser Gesundheitssystem. Denn es handelt sich auch ehrlicherweise um kein wirklich marktorientiertes Geschäft. Unser Gesundheitssystem verfügt nicht über Transparenz und bietet damit nicht alle nötigen Informationen zur Entscheidungsfindung. Patienten sind nicht in der Lage, erfolgreiche Recherchen durchzuführen und eine Leistung oder Produkt „einzukaufen“, so wie sie es auf dem freien Markt als Verbraucher tun würden.

Patienten sind meines Erachtens viel verletzlicher und abhängiger als Verbraucher im Konsumbereich. Sie tappen im Medizinbetrieb häufig völlig im Dunkeln und haben oft keinerlei Wahlmöglichkeiten. Eine Notaufnahme ist kein Ort, wo man mal online shoppen geht.

Ich denke wirklich, wir sollten aufhören, über unsere Patienten als Verbraucher zu sprechen. Ärzte sollten als Ärzte bezeichnet werden, nicht als Dienstleister, Anbieter oder mit einem anderen Begriff aus der Geschäftswelt. Ich weiß, dass z.B. Kliniken zum Teil  sehr emsig sind,  Praktiken aus Branchen wie dem Hotelgewerbe einzuführen. So wird versucht, die Patienten-Zufriedenheit zu erhöhen, indem man z.B. bessere Mahlzeiten oder schönere Laken anbietet.

Mich erfüllt dieser Trend mit Sorge, weil ich nicht glaube, dass Krankenhäuser zu Hotels werden sollten. Sie sollten zu Orten werden, an denen die Infektionsraten niedrig und die Behandlungen effizient sind. Und wo die Menschen sich wohl fühlen. Marketing-Strategien haben hier nichts verloren.

 
„Mich erfüllt dieser Trend mit Sorge, weil ich nicht glaube, dass Krankenhäuser zu Hotels werden sollten.“ Arthur L. Caplan, Medizinethiker
 

Insgesamt möchte ich die Medizinethik und die ärztliche Professionalität nicht durch Wirtschaftsethik und einen Geschäftsjargon ersetzen. Ich glaube nicht, dass eine solche Sprache für die Patienten hilfreich ist. Ich denke viel mehr, dass dies auch negative Auswirkungen auf die Ärzteschaft hat. Sie fühlen sich dadurch mehr und mehr als Händler oder Vertreter. Das professionelle Standing, der Respekt und die Autorität, die mit dem Beruf verbunden sind, leidet darunter.

Ich weiß sehr wohl, dass es in der Medizin auch um viel Geld geht. Ich bin nicht naiv. Aber das bedeutet nicht, dass wir auf unseren Businessplan schauen sollten, bevor wir darüber nachdenken, mit welchen Entscheidungen wir unseren Patienten am besten helfen können.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
 

Kommentar

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