Schmerztherapie bei Arthrose: 40% des erhöhten kardiovaskulären Risikos durch NSAR – Experte warnt auch vor OTC-Produkten

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

15. August 2019

Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) sind hilfreich, um Schmerzen und Entzündungen bei Menschen mit Arthrose zu behandeln. Eine von Mohammad Atiquzzaman, Universität von British Columbia in Vancouver, Kanada, und seinen Kollegen in Arthritis & Rheumatology veröffentlichte Studie liefert jedoch Hinweise darauf, dass diese Medikamente zu einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen könnten [1]. Basis war eine longitudinale Kohortenstudie.

„Ein wichtiger Aspekt ist, dass die Assoziation zwischen NSAR und Herzerkrankungen bei Arthrose überhaupt untersucht worden ist, weil die bekannten Arzneistoffe heute nicht mehr genug Geld abwerfen, um Studien zu finanzieren“, erklärt Prof. Dr. Dr. Stefan Rehart im Gespräch mit Medscape. Er ist Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Agaplesion Markus-Krankenhaus Frankfurt und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie. „Die Vermutung kardiovaskulärer Effekte gab es schon länger, jedoch ohne ausreichende evidenzbasierte Datengrundlage.“

Als wesentliche Stärken der Studie nennt er die große Kohorte und die methodische Datenanalyse. Gut sei auch, dass Atiquzzaman und seine Koautoren Komorbiditäten wie die rheumatoide Arthritis herausgerechnet hätten. „Wenn man eine Studie jedoch statistisch ganz sauber aufsetzt, müsste man den Zusammenhang randomisiert und prospektiv mit Arthrose-Patienten untersuchen, die NSAR erhalten, und solchen, die keine einnehmen“, gibt der Experte zu bedenken.

 
Die Vermutung kardiovaskulärer Effekte gab es schon länger, jedoch ohne ausreichende evidenzbasierte Datengrundlage. Prof. Dr. Dr. Stefan Rehart
 

Im mangelnden Praxisbezug sieht Rehart eine wesentliche Schwäche der Veröffentlichung: „Mir erscheint es schwierig, bereits 20-Jährige bei Arthrose einzuschließen, wahrscheinlich handelt es sich bei ihnen um posttraumatische Erkrankungen oder andere Ursachen.“ Typische Patienten seien mindestens 55 oder 60 Jahre alt.

Außerdem wisse man nicht, welche OTC-NSAR von den Patienten noch eingenommen werden. Patienten würden Medikamente, wie die freigegebenen NSAR, die sie ohne ärztliche Verordnung erhielten, als vergleichsweise harmlos bewerten. „Das ist natürlich ein großer Irrtum. Und wir sehen manche Patienten erst dann, wenn die Niere versagt“, berichtet Rehart.

„Mein Fazit aus der Studie ist, dass Patienten NSAR nicht jahrelang unkritisch einnehmen sollten, aufgrund potenzieller kardiovaskulärer Risiken“, erklärt der Experte. „Außerdem müssen Wechselwirkungen mit weiteren Pharmaka berücksichtigt werden, was zwar nicht Thema der Studie war, klinisch aber von großer Relevanz bei älteren, multimorbiden Menschen ist.“ Hier seien vor allem auch OTCs zu berücksichtigen.

Metaanalysen zu kardiovaskulären Risiken bei NSAR

Bislang war aus Metaanalysen bekannt, das NSAR unabhängig von Vorerkrankungen mit höheren kardiovaskulären Risiken und mit einer höheren kardiovaskulären Mortalität in Verbindung stehen. Erst kürzlich bestätigten schwedische Forscher um Dr. Aleksandra Turkiewicz von der Lund Universität diese Assoziation bei Arthrose-Patienten.

 
Mein Fazit aus der Studie ist, dass Patienten NSAR nicht jahrelang unkritisch einnehmen sollten, aufgrund potenzieller kardiovaskulärer Risiken. Prof. Dr. Dr. Stefan Rehart
 

In einer Kohorte, die 469.177 Personen eingeschlossen hatte, fanden die schwedischen Forscher 15.901 Patienten mit Arthrose im Knie. Bei 9.347 Patienten war die Hüfte, bei 4.004 die Hand und 5.447 waren andere periphere Gelenke betroffen. Bei Knie- und Hüftarthrose errechneten sie als Hazard Ratio (HR) für den Tod aufgrund kardiovaskulärer Erkrankungen 1,19 bzw. 1,13. Dabei handelte es sich um chronisch-ischämische Herzerkrankungen und Herzinsuffizienzen.

Kanadische Studie: Kohorte mit fast 8.000 Patienten und 23.000 Kontrollen

„Unser Ziel war, herauszufinden, welchen Beitrag die Grunderkrankung, aber auch die Pharmakotherapie leisten“, so Atiquzzaman und seine Koautoren.

Für ihre Längsschnittstudie analysierten sie Gesundheitsdaten aus der kanadischen Provinz British Columbia. Ihre Kohorte umfasste 720.055 Versicherte. Darunter befanden sich 7.743 Patienten mit Arthrose. Hinzu kamen 23.229 Personen gleichen Alters und Geschlechts, aber ohne diese Erkrankung. Aus den digitalen Krankenakten konnten die Autoren Diagnosen entnehmen.

Sie erfassten alle neu aufgetretenen kardiovaskulären Erkrankungen, differenzierten aber auch nach chronisch-ischämischen Herzkrankheiten, Herzinsuffizienzen und Schlaganfällen. Rx-Medikationen erhielten die Forscher über PharmaNet – ein Netzwerk, das alle Apotheken in British Columbia verbindet. Jedes Rezept, das Patienten einlösen, wird erfasst.

Starker Einfluss der Medikation auf kardiale Risiken

Bei der statistischen Analyse wurden mögliche Verzerrungen durch den sozioökonomischen Status, durch Diabetes, arterielle Hypertonien, Hyperlipidämien und durch die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) berücksichtigt. Wenig überraschend hatten Menschen mit Arthrose ein höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen als Kontrollen ohne Arthrose.

 
Unsere Ergebnisse … legen nahe, dass ein erheblicher Teil dieses erhöhten Risikos bei Arthrose auf die Verwendung von NSAR zurückzuführen ist. Prof. Dr. Aslam Anis
 

Als bereinigte Hazard Ratio geben die Autoren 1,23 für alle kardiovaskulären Erkrankungen an. Für Herzinsuffizienzen errechneten sie als HR 1,42, für chronisch-ischämische Herzerkrankungen 1,17 und für Schlaganfälle 1,14.

Ungefähr 41% des erhöhten Risikos kardiovaskulärer Erkrankungen führen Atiquzzaman und seine Kollegen auf NSAR zurück. Auch hier bestehen Unterschiede zwischen einzelnen Erkrankungen: Herzinsuffizienz 23%, chronisch-ischämische Herzerkrankung 56% und Schlaganfall 64%.

„Nach unserem Kenntnisstand ist dies die erste Längsschnittstudie, in der die vermittelnde Rolle des NSAR-Einsatzes in der Beziehung zwischen Arthrose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in einer großen bevölkerungsbasierten Stichprobe untersucht wurde“, sagt Prof. Dr. Aslam Anis von der Universität von Britisch Columbia in einer Pressemeldung. Er ist Korrespondenz-Autor der Veröffentlichung.

„Unsere Ergebnisse bestätigen, dass Arthrose ein unabhängiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist, und legen nahe, dass ein erheblicher Teil dieses erhöhten Risikos bei Arthrose auf die Verwendung von NSAR zurückzuführen ist“, so Anis.
 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....