Ärzte sollen ab dem 1. Januar 2020 für eine Leichenschau mehr Honorar bekommen. So will es das Bundeskabinett. Es hat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause die „5. Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)“ mit deutlich erhöhter Vergütung beschlossen [1]. Schon lange drängen Ärzte darauf, die seit 1996 geltenden alten Gebühren endlich anzupassen.
Ziel der Honorarerhöhung ist es, die Qualität der Leichenschau zu heben und damit vielleicht auch eventuelle Verbrechen häufiger aufzudecken. Dazu will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nun die Bezahlung der Leichenschau je nach Aufwand unterschiedlich vergüten. Die Verordnung solle die „bisherige einzige Leistung zur Untersuchung eines Toten in eine vorläufige und eine eingehende Leichenschau differenzieren“, so der Text der Verordnung.
Denn oft müssten die Todesfeststellungen während des Bereitschafts- oder Rettungsdienstes vorgenommen werden, in einer Zeit also, die dringend gebraucht wird, um die Notfallpatienten zu versorgen und für die Leichenschau weniger Zeit lässt, heißt es zur Begründung.
166 Euro für die eingehende Leichenschau
In Zahlen: Für die kleine Leichenschau von mindestens 20 Minuten werden 111 Euro veranschlagt. Fällt die Leichenschau kürzer aus, können 60% der Gebühr berechnet werden. Die eingehende Untersuchung des Toten von 40 Minuten erbringt 166 Euro. Dauert diese Leistung weniger als 40 aber mindestens 20 Minuten, kann der Arzt auch hier 60% der Gebühr berechnen.
Zuschläge erhalten die Ärzte, wenn die Identität des Toten unklar ist oder besondere Umstände vorliegen. Zusätzliche Gebühren werden auch fällig bei Entnahme von Körperflüssigkeiten oder eines Herzschrittmachers. Bulbus- oder Hornhautentnahme beim Toten etwa schlagen mit 250 beziehungsweise 230 Euro zu Buche.
Der Kabinetts-Entwurf geht von 631.000 Todesfeststellungen im Jahr aus und einem zusätzlichen Gesamthonorar von jährlich 78,9 Millionen Euro. Bekanntlich zahlen dies nicht die privaten oder gesetzlichen Krankenversicherungen, sondern das Geld muss von den „bestattungspflichtigen Angehörigen und Erben“ aufgebracht werden, so die Verordnung.
Dr. Hans-Michael Mühlenfeld, Vorsitzender der Hausärzte-Verbandes Bremen, wendet ein, dass die Leichenschau für die meisten Hausärzte eine unangenehme Pflicht sei, die auch durch die gestiegenen Vergütungssätzen nicht adäquat aufgewogen werde.
„Rechnet man die Fahrzeiten und die Zeit für die Leichenschau selbst zusammen, so steht die Praxis lange still, während die Betriebskosten weiterlaufen“, sagt Mühlenfeld zu Medscape. Zugleich betont Mühlenfeld, dass „die Hausärzte die Leichenschau am besten machen, weil sie die Patienten, ihre Vorerkrankungen und ihre Familien kennen.“
Eugen Brysch, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Patientensicherheit, äußert sich ebenfalls pessimistisch, was die Wirkung der höheren Gebühren angeht. Sie werde nicht zu mehr Qualität in der Leichenschau führen, erklärt Brysch auf Anfrage von Medscape. „Auch weiterhin bleiben dann wahrscheinlich über 1.000 Tötungsdelikte pro Jahr unentdeckt“, so Brysch weiter.
Zudem seien ein Drittel aller Todesbescheinigungen fehlerhaft. „Daher braucht es endlich in allen Bundesländern eine gesetzliche Regelung für eine zusätzliche qualifizierte Leichenschau von Experten“, fordert Brysch.
Er favorisiert denn auch ein Modell wie in Bremen. Dort werden die Leichenschauen nicht mehr von den niedergelassenen Ärzte vorgenommen, sondern als „qualifizierte Leichenschau“ von Rechtsmedizinern des Institutes für Rechtsmedizin am Bremer Klinikum Mitte (KBM). Im vergangenen Jahr waren es nach Angaben des Institutes fast 7.600 Leichenschauen.
In praxi bedeutet dies, dass die Haus- oder Notärzte nur den Tod feststellen und danach die Fachleute die qualifizierte Leichenschau machen. Ein Verbrechen hätten die Gerichtsmediziner in dieser Zeit aber nicht aufgedeckt, wie Olaf Cordes, Leiter des Institutes für Rechtsmedizin, dem Bremer „Weser-Kurier“ sagte.
Der Verordnung eine Chance geben
Prof. Dr. Thomas Bojanowski, Gerichtsmediziner aus Essen und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, hält das Bremer Modell zwar für eine gute Lösung für Regionen wie Hamburg oder Bremen. „Für ein Land wie Niedersachsen allerdings wäre das Modell undenkbar“, meint Bajanowski. Es würde zum Beispiel viel zu viel Zeit und Geld verschlingen, eine Leiche etwa von den Nordseeinseln nach Oldenburg zur Leichenschau zu bringen, sagt der Gerichtsmediziner.
Um die Leichenschau nachhaltig zu verbessern, bräuchten die Ärzte insgesamt mehr Routine und mehr Fortbildungen. „Außerdem fehlt ihnen oft die Rückmeldung, nachdem sie bei der Leichenschau etwas Ungewöhnliches entdeckt und der Polizei gemeldet haben“, sagt Bajanowski. „Ohne diese Rückmeldung können sie keinen Erfahrungsschatz aufbauen.“
Was indessen die Wirkung der höheren Honorare angeht, rät der Essener Gerichtsmediziner zur Zurückhaltung: „Man sollte ein halbes Jahr abwarten und sehen, wie sich die neue Regelung bewährt und dann eine Bilanz ziehen.“
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Diesen Artikel so zitieren: Unangenehme Pflicht „versüßt“: Mehr Qualität der Leichenschau durch höhere Honorare? - Medscape - 14. Aug 2019.
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