Internationale mediale Beachtung fand am 30. Juli eine Veröffentlichung in Nature Communications, die vor dem allergiefördernden Potenzial von Protonen-Pumpen-Inhibitoren (PPI) warnte [1]. Die Datenauswertung ergab: Unter 8,2 Millionen Österreichern verdoppelte bis verfünffachte sich nach der Verschreibung von Medikamenten gegen peptische Ulkus- und gastro-ösophageale Refluxkrankheit – allen voran PPI – die Wahrscheinlichkeit, später Antihistaminika oder eine Allergen-Immuntherapie verordnet zu bekommen.
„Ärzte sollten Patienten entsprechend beraten und darauf hinwirken, dass PPI zwar nach Indikation verschrieben, aber frühestmöglich wieder abgesetzt werden, beziehungsweise nach längerer Therapie ausgeschlichen werden“, schlussfolgert die Studienleiterin Prof. Dr. Erika Jensen-Jarolim, klinische Immunologin an der Medizinischen Universität Wien.
Deutsche Experten aus Allergologie und Gastroenterologie ziehen allerdings andere Schlüsse: „Die Studie sollte nicht dazu führen, dass Patienten mit einer Indikation für Säureblocker diese nicht bekommen“, gibt Prof. Dr. Jörg Kleine-Tebbe aus dem Allergie- und Asthma Zentrum Berlin Westend – Praxis Hanf, Ackermann & Kleine-Tebbe – zu bedenken. Der Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) sieht derzeit keinen Anlass, Patienten auf ein erhöhtes Allergierisiko durch PPI und andere Säureblocker hinzuweisen.
„Die Studie generiert zwar Hypothesen, lässt jedoch keine Aussage zu Kausalitäten zu“, sagt er. Zu einem ähnlichem Konsens kam die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS): „PPI sind ausgezeichnete Medikamente, wenn die Indikation stimmt und haben in diesen Fällen auch mehr Nutzen als Nebenwirkungen“, so Prof. Dr. Christian Trautwein, Direktor der Medizinischen Klinik III der RWTH Aachen und DGVS-Mediensprecher.

Prof. Dr. Christian Trautwein
Um Aussagen darüber zu ermöglichen, ob PPI und andere Säureblocker wirklich Allergien fördern, brauche es Placebo-kontrollierte, Doppeltblind-Studien, fordert er.
Ein akribisches Design und klare Zahlen
Erstautorin der aktuellen Studie ist Dr. Galateja Jordakieva aus der Universitätsklinik für physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin der Medizinischen Universität Wien.
Für ihre epidemiologische Analyse zu Allergien nach Säureblocker-Therapien, die weltweit erste dieser Art, nutzten Jordakieva und Kollegen Krankenkassendaten aus den Jahren 2009 bis 2013: Rund 8,2 Millionen Österreicher wurden in den Statistiken der Krankenkassen erfasst, Angaben aus fast 40 Millionen Personenjahren.
Die Autoren teilten die Datensätze in solche nach Verschreibung von Säureblockern auf (8.133.846 Personenjahre) und in diejenigen ohne Verschreibung (31.046.305 Personenjahre).
Nun konnten die Autoren Korrelationen errechnen – zwischen unterschiedlichen Verschreibungen, um Geschlechter und Altersgruppen bereinigt sowie für jeden Wirkstoff gesondert. Die Wirkstoffe entsprachen der Anatomisch-Therapeutisch-Chemischen (ATC)-Klassifikation. Für die Auswertung relevant waren A02B (hier vor allem H2-Rezeptor-Antagonisten und PPI, ferner auch Sucralfate und Prostaglandin E2), R06 (Antihistaminika zur systemischen Anwendung) und – für eine Subgruppenanalyse – C09 (v.a. ACE-Inhibitoren) und C10 (Lipidsenker).
Bei den Säurehemmern ergab sich ein klares Bild: Mit großem Abstand am häufigsten verschrieben wurden PPI, Prostaglandin war sehr selten vertreten. Die aufgelisteten antiallergischen Medikamente (R06) werden hauptsächlich bei respiratorischen Allergien, u.a. Hausstaubmilbenallergie, Heuschnupfen und allergischem Asthma verwendet.
Dabei fiel auf: In den Jahren nach einer Verschreibung von PPI und Co. kam es zu 416.615 erstmaligen Verschreibungen von anti-allergischen Therapien, was einer Rate von 5,12% pro Personenjahr entsprach. Bei Patienten, die keine Säureblocker verschrieben bekommen hatten, betrug die Rate an erstmaligen Verschreibungen antiallergischer Therapien lediglich 2,61% pro Personenjahr (das entsprach 810.990 Verschreibungen).
Insgesamt hatte sich die Wahrscheinlichkeit, erstmals Antihistaminika verordnet zu bekommen, nach der Therapie mit Säureblockern annähernd verdoppelt (Rate Ratio: 1,96; 95%-Konfidenzintervall: 1,95–1,97). Bei Frauen und bei älteren Menschen, so die Autoren, war der Effekt noch stärker ausgeprägt – das Risiko lag teilweise bis zu 5-mal so hoch wie ohne Säureblocker. Es gab keine analysierte Gruppe von Säureblockern, bei der sich kein oder nur ein geringer Effekt gezeigt hätte.
Kleine-Tebbe bewertet einiges am Design positiv: „Der Datensatz ist sehr groß, von der Statistik und den Konfidenzintervallen her ist die Studie überzeugend“, betont er. Doch fehlen den meisten analysierten Verschreibungen zugeordnete klare Diagnosen. Störfaktoren wie Lebensstilfaktoren sind außerdem nicht sichtbar.
Subgruppenanalysen mit demselben Ergebnis
Die Wissenschaftler berücksichtigten auch den Umstand, dass Patienten, wenn sie mit der regelmäßigen Einnahme von Medikamenten beginnen, oft älter und kränker sind und darum der ersten weitere medikamentöse Therapien folgen.

Prof. Dr. Jörg Kleine-Tebbe
Um zu überprüfen, ob Patienten nach einer Einnahme anderer verbreiteter, langfristig eingenommener Medikamente ebenfalls häufiger Antihistaminika nehmen, analysierten sie zur Kontrolle Krankenkassendaten ausschließlich aus dem Burgenland. Zusätzlich bzw. alternativ zu den Säureblockern waren Lipidsenker und ACE-Inhibitoren erfasst worden.
Von 194.765 Versicherten hatten 64.770 Patienten (exakt ein Drittel) Lipidsenker und/oder ACE-Inhibitoren erhalten. Die Frage lautete nun: Steigt auch mit solchen Therapien die Wahrscheinlichkeit, später Antihistaminika zu benötigen bzw. nachzufragen? Die Antwort lautete ganz klar nein.
Eine zweite Subgruppenanalyse bezog nicht nur Verschreibungen, sondern tatsächlich Diagnosen ein: 2.022 Patienten waren wegen Magengeschwüren, Dyspepsie, Gastritis oder Duodenitis hospitalisiert worden. Verglichen die Autoren ihre Entwicklung nach der Therapie mit derjenigen von Patienten, die keine PPI, H2-Rezeptoren-Antagonisten o.a. bekommen hatten, zeigte sich fast genau dasselbe Bild wie in der Gesamtkohorte. Die um Geschlecht und Alter bereinigte Hazard Ratio für die Verschreibung von Antihistaminika im Follow-up Zeitraum lag bei 2,09 (95%-KI: 1,37–3,22).
Dazu passend, stieg die Wahrscheinlichkeit mit der Menge der verschriebenen Säureblocker: „Wir fanden einen klaren Anstieg des Risikos (…) mit dem Anstieg der Tagesdosen pro Jahr“, so die Autoren, „doch schon im niedrigsten Quartil mit bis zu 20 Tagesdosen im Jahr ergab sich eine signifikant erhöhte Hazard Ratio (bereinigte HR: 1,28, 95%-KI: 1,18–1,39).“
Der Follow-up-Zeitraum endete 2013, weil danach Säureblocker in Österreich frei verkäuflich wurden und somit nicht mehr erfasst werden konnte, welche Versicherten sie kaufen bzw. einnehmen.
Erklärungsansätze und eine Kritik
Jensen-Jarolim, selbst Allergologin, forscht seit vielen Jahren zum Thema und betont: „Überraschend war die Effektgröße, die auf einen Bezug zu Allergien im Allgemeinen, nicht nur Nahrungsmittelallergien, hindeutet.“
Die zugrunde liegenden Mechanismen erklärt Jensen-Jarolim wie folgt: Säureblocker, allen voran PPI, verändern den pH-Wert im Magen so, dass die Proteinverdauung beeinträchtigt ist. Säureblocker wirken jedoch auch direkt an den Allergie-Entzündungszellen, wo sie die Schwellenwerte für die Freisetzung von Histamin und pro-allergischen Zytokinen herabsetzen. Das begünstige eine überschießende Immunantwort.
Gleichzeitig verändere sich durch die PPI die Zusammensetzung des Mikrobioms. Wie genau das Zusammenspiel ist, und welcher Faktor bei wem Allergiesymptome fördert, ist noch zu erforschen. „Nach der Therapie ist der Magen offen wie ein Riesenfenster“, beschreibt Jensen-Jarolim den Effekt, „alles kann ihn passieren, auch Krankheitsauslöser und Allergene. Die Effekte sieht man erst Jahre später.“
Bereits 2003 zeigte eine Forschergruppe um Jensen-Jarolim am Mausmodell, dass Säureblocker Nahrungsmittelallergien (hier gegen Fischeiweiß) auslösen können.

Erika Jensen-Jarolim: ©MedUni Wien-Felicitas
Immer mehr Autoren aus aller Welt publizieren Beobachtungsstudien zum selben Thema mit Menschen: Erst 2018 legte eine retrospektive Kohortenstudie mit fast 800.000 Kindern aus den USA nahe, dass PPI-Therapien im Säuglingsalter unter anderem mit einem signifikant erhöhten Risiko für Asthma, allergische Rhinitis und Nahrungsmittelallergien einhergehen.
Ebenfalls 2018 erschien ein Review, der den Zusammenhang zwischen PPI bzw. H2-Rezeptoren-Antagonisten während der Schwangerschaft mit Asthma-Diagnosen bei den danach geborenen Kindern berechnete. Die gepoolten Daten aus 8 Beobachtungsstudien weisen auf eine signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit für Asthma in Kindesalter nach Säureblocker-Therapien der Mutter hin.
„Wir gehen davon aus, dass die Veränderungen in der Darmflora überschwappen und somit auch die nächste Generation betreffen“, betont Jensen-Jarolim. „Und wir glauben, dass der ständig steigende Einsatz der PPI einen kleinen Beitrag zur aktuellen ‚Allergie-Epidemie‘ geleistet hat.“
Von der Hand zu weisen sei dieser Zusammenhang nicht, räumt auch Kleine-Tebbe ein. Die Zunahme der Allergien, betont er, habe dem heutigen Stand der Forschung zufolge jedoch multifaktorielle Ursachen: „Die genetische Disposition, die Veränderung der Allergene durch Umweltfaktoren wie den Klimawandel, ein urbaner Lebensstil, die Zunahme an Kaiserschnittgeburten, die das Mikrobiom beeinflussen, Antibiotika im frühen Kindesalter, Ernährung, Tier- und Keimkontakt – all das steht in der Diskussion. Welchen Einfluss eine Therapie hat, und all diese Faktoren einzuordnen, das ist uns noch nicht möglich.“
Vorschläge für hier und heute: PPI nicht verteufeln
Die DGVS veröffentlichte eine Pressemeldung, die die Veröffentlichung von Jordakieva und ihren Kollegen – sowie die offen vor Allergien durch PPI warnende internationale Medien-Berichterstattung dazu – kritisiert.
Auf die Frage, wie Gastroenterologen und Hausärzte Patienten nun beraten sollten, antwortet DGVS-Mediensprecher Trautwein: „Die Studie kann die Frage nicht sicher beantworten, ob bei PPI-Patienten wirklich vermehrt Allergien auftreten. Daher würde ich zum jetzigen Zeitpunkt die Patienten darüber nicht aufklären.“
Davon unabhängig gelte: „Leider werden PPIs häufig unkritisch von Apothekern ohne Rezept verkauft. Entscheidend ist jedoch, dass die Indikation regelmäßig und vor allem bei längerfristiger Einnahme durch einen Arzt überprüft wird.“
Kleine-Tebbe schließt sich dieser Einschätzung an: „Besorgten Patienten in der allergologischen Praxis würde ich gelassen gegenübertreten. Von einem erhöhten Allergierisiko können wir erst sprechen, nachdem wir Patienten im Rahmen von z.B. prospektiven Fall-Kontroll-Studien verglichen haben, mit gesicherten Diagnosen. Solche Studien stehen jedoch noch aus.“
Er empfiehlt Kollegen, vor Verschreibung einer PPI den Patienten aufmerksam zu befragen. Für viele leichte und kurzfristige Beschwerden gibt es schließlich Alternativen zu Säureblockern: einen Lebensstil mit weniger Alkohol und Kaffee, kleinen Mahlzeiten-Portionen und mehr Bewegung beispielsweise.
Jensen-Jarolim sieht genau hier das Kernproblem: Lebensstil-Änderungen sind unbeliebt, PPI leicht und günstig erhältlich. Schon in den analysierten Jahren 2009 bis 2013 bekam jeder 5. Österreicher im Alter zwischen 40 und 44 Jahren, jeder 4. zwischen 50 und 54 Jahren und mehr als jeder 3. über 60 Jahren Säureblocker verschrieben.
Diese Zahlen sind mit freier Verkäuflichkeit der PPI noch weiter gestiegen, beklagt sie. Zusätzlich gebe es – zumindest in Österreich – eine große Bereitschaft unter Ärzten, diese Präparate zu verordnen. „Fast alle Patienten, die ins Spital kommen, bekommen einen PPI als Magenschutz oder weil sie bereits Magenprobleme haben“, berichtet Jensen-Jarolim.
„Nach der Entlassung nehmen ihn viele weiter, weil er ihnen vermeintlich guttut. Schwangere bekommen PPI gegen Sodbrennen, Frühgeborene bekommen sie zum Magenschutz, gelegentlich auch reife Neugeborene nach einem Kaiserschnitt.“
Der Eindruck, dass Säureblocker jederzeit gut verträglich und nebenwirkungsarm sind, könne jedoch so nicht stehen bleiben, betont sie.
Ärzten – Hausärzten, Gastroenterologen, Neonatologen, Pädiatern und Gynäkologen – empfiehlt sie, hier verhaltener zu verordnen. „Therapieren Sie nach den Leitlinien“, rät Jensen-Jarolim, „aber erinnern Sie Ihre Patienten daran, auch ans Absetzen der Medikamente zu denken.“
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Diesen Artikel so zitieren: Wirbel um österreichische Studie zu Allergien nach PPI: Das sagen Studienleiterin und Fachärzte aus Deutschland dazu - Medscape - 14. Aug 2019.
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