Ohne radikales Umsteuern steht die Menschheit wohl vor einer Klima- und Hungerkrise – darauf lassen die Ergebnisse des neuen Sonderberichts des Weltklimarates (IPCC: Intergovernmental Panel on Climate Change) schließen, der jetzt in Genf vorgestellt worden ist [1].
Aus dem Bericht geht hervor, dass der weltweite Temperaturanstieg über den Landmassen schon jetzt 1,53 Grad Celsius erreicht hat. Berücksichtigt man die sich langsamer erwärmenden Meeresflächen, ist die globale Temperatur insgesamt um knapp 0,9 Grad Celsius gestiegen.
Verglichen wurden die Zeiträume 1850 bis 1900 und 2006 bis 2015. Ein internationales Team aus 107 Wissenschaftlern hatte für den Sonderbericht in 3-jähriger Arbeit über 7.000 Studien ausgewertet.
Erwärmung um mehr als 1,5 Grad bedroht die Nahrungsmittel-Sicherheit
Eine globale Erwärmung um mehr als 1,5 Grad gegenüber vorindustrieller Zeit würde die Nahrungsmittel-Sicherheit auf der Welt stark bedrohen, so der IPCC. Die Zahl der Dürren und Hitzewellen ist in Folge des Klimawandels bereits global gestiegen.
Dem Bericht nach werden Dürren und Hitzewellen in Zahl, Dauer und Intensität vor allem in Zentraleuropa, der Mittelmeerregion, dem südlichen Amazonasgebiet und dem südlichen Afrika weiter zunehmen. Auch extreme Regenfälle werden in vielen Regionen häufiger werden.
„Der Sonderbericht hebt hervor, dass sich die Landregionen etwa doppelt so schnell erwärmen wie der weltweite Durchschnitt. Das zeigt, dass schleunigst gehandelt werden muss, um etwa unabsehbare Folgen für die Welternährung abzuwenden“, erklärt Dr. Mojib Latif, Leiter des Forschungsbereiches Ozeanzirkulation und Klimadynamik am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (GEOMAR) in Kiel.
Im Pariser Klimaabkommen 2015 ist vereinbart worden, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. Sollte die Erderwärmung tatsächlich auf 2 Grad ansteigen, wäre die Lebensgrundlage von bis zu 500 Millionen Menschen weltweit bedroht – u.a. durch Wassermangel und durch die Ausdehnung von Wüsten, so der IPCC.
„Die Stabilität des Nahrungsmittelangebots wird voraussichtlich sinken, weil das Ausmaß und die Häufigkeit von Extremwetter-Ereignissen, die die Lebensmittel-Produktion beeinträchtigen, steigen wird“, schreiben die Wissenschaftler.
Um eine Chance auf eine Erwärmung von nur 1,5 Grad Celsius zu halten, müssen laut IPCC die globalen Emissionen bis 2030 um 50% sinken. Land- und Forstwirtschaft tragen rund 23% zu den vom Menschen verursachten Treibhausgasen bei.
Der Weltklimarat fordert deshalb ein radikales Umsteuern bei der Landnutzung: Die Ausbeutung von Land, die Verschwendung von Lebensmitteln und die CO2-Belastung durch die Landwirtschaft müssten dringend reduziert werden. Auch die gesamte Kette der Nahrungsmittelerzeugung und des Nahrungsmittelkonsums müsse überdacht werden.
Eine ausgewogene Ernährung, die verstärkt auf Gemüse und Getreide setze, könne dazu beitragen, die CO2-Emssionen deutlich zu senken.
Temperaturen über 40 Grad in Deutschland immer wahrscheinlicher
„Selbst bei der Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit, wie im Pariser Klimaabkommen vereinbart, werden die Temperaturen über den allermeisten Landflächen um deutlich mehr als 2 Grad steigen. Damit werden Temperaturen über 40 Grad in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten immer wahrscheinlicher“, betont Latif.
Prof. Dr. Almut Arneth, Ökosystemforscherin am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Mitautorin des Sonderberichts, verdeutlicht, was sich seit dem vergangenen Sonderbericht verändert hat: „Manifestiert hat sich, dass Klimawandel – vor allem die damit einhergehenden Wetterextreme wie Hitze, Trockenheit, Flut – in vielen Regionen ein Risiko für Ernteausfälle darstellen. Nicht nur hinsichtlich der Lebensmittel, sondern auch für Holz. Und je wärmer es wird, desto höher das Risiko.“
Im Bericht zeige sich, „wie unglaublich komplex die Zusammenhänge sind zwischen Landnutzung, Klimawandel, Nahrungsmittelsicherheit, Pro-Kopf Konsum und vielem mehr.“ Klimaforscher, so Arneth weiter, „haben bereits seit Jahrzehnten auf die Notwendigkeit hingewiesen, Treibhausgas-Emissionen von Verbrennung fossiler Brennstoffe zu reduzieren. An dieser Notwendigkeit hat sich natürlich nichts geändert.“
„Bereits bei einem globalen Temperaturanstieg von 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit sind die Folgen für die Wasserverfügbarkeit, Waldbrandgefahr, Permafrost-Abbau sowie Ernährungssicherheit erheblich“, kommentiert Dr. Hans Schipper vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) die Ergebnisse.
Und Dr. Johannes Emmerling vom RFF-CMCC European Institute on Economics and the Environment (EIEE) in Mailand weist darauf hin, „dass die Auswirkungen des Klimawandels schon deutlich messbare Einflüsse vor allem in den Bereichen Gesundheit (vor allem durch Hitzewellen) und Landwirtschaft haben.“
„Fazit unseres Berichtes ist, dass wir als gesamte Weltbevölkerung unsere Lebensgrundlage momentan nicht nachhaltig nutzen, sondern zerstören“, fasst Arneth im Interview mit der Tagesschau zusammen.
Klimaschutz fängt schon beim Einkaufen an
Um die 1,5 Grad überhaupt noch halten zu können, ist schnelles Handeln notwendig, bestätigt Prof. Dr. Stefan Rahmstorf im Interview mit Klimareporter . „Wir müssten dazu sehr rasch aus der fossilen Energienutzung aussteigen und auch bei der Landnutzung einiges ändern – Abholzung stoppen, klimafreundliche Landwirtschaft betreiben“, sagt der Physiker und Ko-Leiter des Forschungsbereichs Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Als Maßnahmen, die zeitnah umgesetzt werden können, nennt Arneth: weitere Waldrodung beenden; eine Bodenbearbeitung, die den Kohlenstoffgehalt erhöht; Düngemethoden, die Emissionen von Lachgas reduzieren; die Renaturierung degradierter Ökosysteme; eine Verringerung von Nahrungsmittelverlusten vom Produzenten bis zum Verbraucher – und „Verbraucher, die kritisch über den eigenen Konsum unter den Gesichtspunkten von Klima- und Umweltschutz reflektieren.“
Klimaschutz fängt beim Einkaufen an, sagt auch Dr. Alexander Popp vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit Spiegel online . „Da können wir uns alle an die eigene Nase fassen. Der Konsum von tierischen Produkten ist nie gut für das Klima, besonders Rindfleisch setzt bei der Erzeugung viel Treibhausgas frei. Wir müssen nicht komplett auf Fleisch verzichten, aber weniger davon essen.“
Der IPCC-Report mache klar, dass es einen grundlegenden Wandel braucht, „wie wir unser Land nutzen und welche Lebensmittel wir darauf anbauen“, sagt Dr. Marco Springmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Oxford Martin Programme on the Future of Food der Universität Oxford. „Ohne Änderungen zu einer gesünderen und Resourcen-schonenden Ernährungsweise, die weit weniger tierische Lebensmittel beinhaltet, gibt es kaum eine Chance, den Klimawandel ausreichend zu begrenzen.“
Eine auf mehr pflanzliche Produkte gestützte Ernährung verringere Treibhausgase, die sonst aufgrund von Tierhaltung anfielen. Eine Änderung in der Ernährungsweise sei aber auch notwendig, um genügend Weidefläche für den Anbau von Bioenergiepflanzen und zur Aufforstung bereit zu stellen – „Maßnahmen, die ebenfalls für eine ausreichende Vermeidung des Klimawandels nötig sind“, so Springmann.
„Der Sonderbericht stellt klar, dass die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels substanzielle Änderungen erfordert: schnelle Umstellungen im Energiesystem und unseren Lebensgewohnheiten oder großer Einsatz von Negativemissionstechnologien wie großräumige Aufforstung oder Biomasse-Plantagen“, erklärt Prof. Dr. Julia Pongratz, Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie und Landnutzungssysteme an der LMU München.
Sie fügt hinzu: „Die Alternative ist ein Klimawandel, den der Bericht drastisch beschreibt, mit Zunahme von Feuern in borealen Wäldern [in der Taiga], von Dürren im Mittelmeerraum und anderen Extremwetterereignissen, die die Nahrungsmittelsicherheit zunehmend gefährden. Welchen Pfad auch immer wir beschließen einzuschlagen: Gesellschaft wie Umwelt werden in Zukunft ganz anders aussehen, als wir sie bisher kennen.“
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Diesen Artikel so zitieren: Sonderbericht des Weltklimarates fordert Limitierung der Erd-Erwärmung auf maximal 1,5 Grad und macht konkrete Vorschläge - Medscape - 9. Aug 2019.
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