Intensive Blutzuckersenkung nach Schlaganfall: Kein besseres Outcome als bei Standard-Blutzuckerkontrolle

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

8. August 2019

60 bis 80% aller Patienten mit Schlaganfall haben erhöhte Blutzuckerspiegel. Egal, ob bei ihnen bereits Diabetes diagnostiziert wurde oder die Glukose als Stressreaktion des Körpers erhöht ist – ein hoher Glukosespiegel geht generell mit einem schlechten Outcome einher. Doch die naheliegende Idee, die Prognose über eine Blutzuckersenkung positiv zu beeinflussen, ist laut einer im Journal of American Medical Association(JAMA) erschienenen Multicenterstudie nicht von Erfolg gekrönt [1].

Dr. Silke Wunderlich

Bei insgesamt 1.118 Patienten wurden die erhöhten Blutzuckerspiegel innerhalb von 12 Stunden nach einem Schlaganfall für 72 Stunden entweder mit einem Algorithmus-gesteuerten Insulin-Perfusor auf durchschnittlich 118 mg/dl gesenkt oder aber (falls nötig mit subkutanen Insulininjektionen) auf durchschnittlich 179 mg/dl gehalten.

Das Outcome wurde 90 Tage später bei den beider Gruppen verglichen: Es gab keine signifikanten Unterschiede, so dass die Studie wegen „fehlenden Nutzens der Blutzuckersenkung“ abgebrochen wurde.

 
Die Studie ist gut designt, sauber durchgeführt und hat genug Patienten eingeschlossen, um aussagekräftige Daten zu liefern. Dr. Silke Wunderlich
 

„Die Studie ist gut designt, sauber durchgeführt und hat genug Patienten eingeschlossen, um aussagekräftige Daten zu liefern“, lobt Dr. Silke Wunderlich, Leiterin der Stroke Unit in der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Klinikum Rechts der Isar der TU München. „Insbesondere der deutliche Unterschied der Blutglukose-Werte zwischen den beiden Studiengruppen macht die Ergebnisse verwertbar.“

Post-Stroke-Hyperglykämie verschlechtert den Therapieerfolg

Die Forscher um die Erstautorin Dr. Karen C. Johnston von der Universität von Virginia in Charlottesville, USA, wollten eigentlich belegen, dass die deutliche Senkung der Blutzuckerspiegel von Patienten kurz nach einem akuten ischämischen Schlaganfall das funktionelle Outcome im Vergleich zu einer standardisierten Blutglukose-Kontrolle verbessern kann. Frühere Studien zu diesem Thema hatten entweder zu kleine Fallzahlen oder konnten keine klaren Unterschiede der Blutzuckerspiegel erreichen.

Die Autoren randomisierten in 63 Stroke-Zentren in den USA insgesamt 1.151 (aus über 30.000) Patienten, die die Einschlusskriterien erfüllten und sich zur Teilnahme bereit erklärten. 1.118 Datensätze konnten ausgewertet werden.

Alle Teilnehmenden waren nach einem akuten ischämischen Schlaganfall hyperglykämisch mit einem Blutzuckerspiegel von über 110 mg/dl bzw. bei vorab bekanntem Typ-2-Diabetes von über 150 mg/dl. Etwa 80% der Patienten waren Diabetiker.

Intensivierte Insulin-Behandlung gegen Standard-Insulin-Gabe

Die Patienten in beiden Studienarmen erhielten innerhalb von 12 Stunden nach Beginn des Schlaganfalls (im Mittel nach 7 Stunden) eine Therapie zur Senkung ihres Blutzuckerspiegels. Die intensive Behandlung bestand aus einer kontinuierlichen intravenösen Insulininfusion, kontrolliert von einem Algorithmus-gesteuerten Perfusor, ergänzt durch schnellwirkendes Insulin subkutan jeweils 20 Minuten nach einer Mahlzeit mit bekanntem Anteil an Kohlenhydraten, um einen Blutzuckerspiegel von 80 bis 130 mg/dl aufrechtzuerhalten.

Die Standardbehandlung, die die Patienten des Kontrollarmes erhielten, waren subkutane Insulininjektionen alle 6 Stunden nach Bedarf, um einen Blutzuckerspiegel von 80 bis maximal 179 mg/dl aufrechtzuerhalten, ergänzt durch eine kontinuierliche Infusion von Kochsalzlösung zur Verblindung der Patienten. Diese Behandlungen wurden in beiden Gruppen für jeweils 72 Stunden durchgeführt.

 
Der Zielwert von unter 180 mg/dl gilt auch bei uns. Dr. Silke Wunderlich
 

Die Blutzuckerspiegel wurden in beiden Gruppen zunächst stündlich und danach alle ein bis 2 Stunden bei der Intensiv- und alle 3 Stunden bei der Standardbehandlung kontrolliert. Jede Mahlzeit enthielt 60 g Kohlenhydrate. Bei Werten unter 80 mg/dl Blutglukose wurde die Insulingabe gestoppt, und es wurde 50% Dextrose intervenös verabreicht, bis 80 mg/dl wieder erreicht waren.

„Die hier praktizierte Standardbehandlung entspricht im Wesentlichen dem Vorgehen in unserer Klinik“, bestätigt Wunderlich. „Der Zielwert von unter 180 mg/dl gilt auch bei uns, obschon nach Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) erst Serumglukosespiegel von unter 200 mg/dl mit Insulin behandelt werden sollten.“

Funktionelles Outcome nach 3 Monaten dokumentiert

Bei allen Patienten wurden die Standardparameter des Outcomes nach 90 Tagen persönlich oder in Ausnahmefällen telefonisch dokumentiert. Der primäre Endpunkt war ein günstiges Ergebnis nach der modifizierten Rankin Skala, einer Einordnung des Status allgemeiner Funktionalität von 0 (keine Symptome) bis 6 (Tod). Die individuelle Beurteilung hing dabei von der Schwere der ursprünglichen Symptomatik nach dem NIHS-Score ab. Der sekundäre Endpunkt der Studie war die Beurteilung der Lebensqualität und -aktivität nach dem NIHSS und Barthel-Index.

Insgesamt stellten die Autoren bei 20,5% der Patienten im Intensiv- und bei 21,6% der Patienten im Standardarm ein günstiges Ergebnis fest. Das relative Risiko lag, adjustiert auf die Schwere des Infarktgeschehens, bei 0,97 für die Patienten der Intensivgruppe. Der Unterschied war mit p=0,55 eindeutig nicht signifikant.

Wirkung nicht besser, aber mehr Nebenwirkungen

„Dieses Ergebnis bestätigt leider die bekannten Beobachtungen aus früheren Untersuchungen“, bedauert Wunderlich. „Aber auch wenn sich die unter einem Schlaganfall erhöhten Blutzuckerspiegel nach einigen wenigen Tagen häufig wieder normalisieren, kommt der Behandlung der Post-Stroke-Hyperglykämie weiterhin eine wichtige Bedeutung zu.“

Allerdings beobachteten die Autoren unter der Intensivbehandlung mit Insulin einen deutlich höheren Anteil von Hypoglykämien (11,2% versus 3,2% unter der Standardbehandlung). „Somit gibt es wirklich keinen Grund, von der bisherigen Vorgehensweise abzuweichen: also der Reduktion jeder Hyperglykämie kurz nach einem Schlaganfall mittels eines primär subkutanen Insulin-Spritzregimes auf unter 180 mg/dL“, resümiert Wunderlich.

 

Kommentar

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