Eine neue Studie vom EASD-Kongress in Barcelona vergleicht Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes. Prof. Dr. Stephan Martin empfiehlt: „Mit diesen Fakten sollten Sie Ihre Diabetes-Patienten konfrontieren.“
Transkript des Videos von Prof. Dr. Stephan Martin, Düsseldorf
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
in diesen Tagen findet in Barcelona der Europäische Diabetes-Kongress statt. Wie Sie merken, bin ich nicht in Barcelona bin. Ich war beim Amerikanischen Diabetes-Kongress in San Francisco und es ist gute Tradition bei Klinikern, dass man entweder zu dem einen oder zu dem anderen Kongress reist, denn man wird ja auch in der Klinik bei der klinischen Arbeit benötigt.
Heute kann man sich aber, ohne zu einem Kongress zu reisen, z. B. die Poster anschauen, was ich heute Nachmittag gemacht habe. Dabei ist mir ein Poster aufgefallen, das ich gerne mit Ihnen besprechen möchte, weil es interessante Information für die Beratung unserer Patienten in Praxis und Klinik liefert.
Risiko von Übergewicht, Lebensstil und Genen auf die Diabetesentwicklung
Es ist das Poster 376 einer dänischen Arbeitsgruppe, die interessante Untersuchungen durchgeführt hat. Sie wollte der Frage nachgehen, inwieweit Übergewicht, ungünstiger Lebensstil und die Gene das Risiko für die Entwicklung eines Diabetes beeinflussen. Immer wieder kommen Patienten und erzählen, sie hätten schlechte Gene. Die Arbeitsgruppe hat jetzt genauer analysiert, welchen Anteil die genetische Ausstattung, der Lebensstil und - unabhängig vom Lebensstil - das Übergewicht, also die Adipositas, am Diabetesrisiko haben.
Eine Gruppe von fast 10.000 Dänen, etwa je zur Hälfte Männer und Frauen, wurden etwa 14 Jahre nachverfolgt. Von dieser dänischen prospektiven Diät-, Krebs- und Gesundheitskohorte entwickelte in durchschnittlich 12 Jahren fast die Hälfte einen Typ-2-Diabetes. Zur Erfassung des genetischen Risikos wurden 193 Genvarianten analysiert, von denen man weiß, dass die sehr eng mit dem Diabetesrisiko zusammenhängen. Als Adipositas war ein Body Mass Index (BMI) über 30 kg/m² definiert.
Interessant war die Definition des ungünstigen Lebensstils. Nach Definition der dänischen Arbeitsgruppe ist der Lebensstil dann ungünstig, wenn die Menschen rauchen, wenn sie keinen Alkohol trinken, wenn sie körperlich nicht aktiv sind und wenn sie sich ungesund ernähren. Dies sind alles Faktoren, von denen man weiß, dass sie mit der Diabetesentwicklung zusammen hängen. Beim Rauchen ist die Lage relativ klar. Beim Alkohol wundert man sich vielleicht, aber es ist in der Tat so, wer mäßig Alkohol trinkt, hat ein geringeres Diabetesrisiko als Personen, die gar keinen Alkohol trinken.
Alle Faktoren wurden analysiert und das Ergebnis ist ganz interessant: Das höchste Diabetesrisiko hatten Personen, die adipös waren und einen ungünstigen Lebensstil aufwiesen. Bei dieser Kombination spielte es überhaupt keine Rolle, ob die Personen viele ungünstige oder viele günstige Gene hatten. Bei schlechtem Lebensstil und Adipositas spielen also die Gene nach dieser Analyse überhaupt keine Rolle.
Bei einem BMI über 30 kg/m² erhöhte sich das Risiko für die Diabetesentstehung im Vergleich zu Personen mit einem BMI unter 25 kg/m² 5,8fach, das ist ein deutlicher Wert. Es gibt keine andere Erkrankung, die mit einer Adipositas so eng assoziiert ist, wie der Diabetes.
Nach Adjustierung an multiple Confounder hatten Personen mit dem höchsten genetischen Risikoscore ein zweifach erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Diabetes im Vergleich zu Patienten mit dem niedrigsten genetischen Risikoscore. Ungünstige Gene verdoppeln also das Diabetesrisiko (HR 2,0).
Wird das Risiko für die Diabetesentwicklung bei Personen mit ungünstigem im Vergleich zu günstigem Lebensstil betrachtet, zeigt sich, dass es sich für die Personen mit ungesundem Lebensstil um etwa 20% erhöht, also Faktor 1,2.
Ich glaube, das ist für unsere Patienten interessant. Wir müssen ihnen sagen, dass sie ihren Lebensstil entsprechend gestalten sollten, sie sollten also versuchen normalgewichtig zu sein und einen optimalen Lebensstil einhalten. Dann haben sie auch ein geringes Risiko, einen Diabetes zu entwickeln.
Wie sieht die Realität aus?
Hierzu passt eine aktuelle Analyse aus den USA. Dort schaut man sich immer wieder an, in wie vielen Staaten welcher Prozentsatz der Bewohner eine Adipositas mit einem BMI über 30 kg/m² hat. Die aktuelle Hiobsbotschaft: Es sind jetzt immerhin schon 9 Staaten, in denen über 35 % der erwachsenen Bevölkerung einen BMI über 30 kg/m² aufweisen.
Wir brauchen nicht zu sehr auf die USA schauen, wir sind hier auf dem „besten Weg“. Bei uns ist die Entwicklung zwar noch nicht so ausgeprägt, aber ich glaube, hier müssen wir - auch gesundheitspolitisch - ansetzen. Das Körpergewicht muss stärker in den Fokus genommen werden. Übergewicht ist ein wichtiger Auslöser für Erkrankungen, speziell für Typ-2-Diabetes.
Ich hoffe, das war interessant für Sie. Vielleicht können Sie diese Erkenntnisse in die Gespräche mit den Patienten einbinden und ich verbleibe aus Düsseldorf – nicht aus Barcelona
Ihr Stephan Martin
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Diesen Artikel so zitieren: Gene, Übergewicht, ungesunder Lebensstil: Dieser Risiko-Vergleich für Diabetes lässt keine Ausreden mehr gelten - Medscape - 23. Sep 2019.
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