MEINUNG

Was verspricht wirklich mehr Überlebenszeit? Real-World-Daten zur neoadjuvanten Therapie des lokal fortgeschrittenen Pankreaskarzinoms

PD Dr. Georgia Schilling

Interessenkonflikte

26. August 2019

Kampf um Monate: Wem nützt einen neoadjuvante Chemo beim fortgeschrittenen oder beim Borderline-resektablen Pankreaskarzinom? PD Dr. Georgia Schilling erklärt eine realitätsnahe Vergleichsstudie.

 

Transkript des Videos von PD Dr. Georgia Schilling:

Sehr geehrte Damen und Herren, mein Name ist Georgia Schilling. Ich bin seit wenigen Wochen Chefärztin der Abteilung für Onkologische Rehabilitation in der Nordsee-Klinik auf Sylt. Außerdem bin ich auch noch im Tumorzentrum in Hamburg tätig.

Ich habe heute eine aktuelle Arbeit aus dem JAMA Surgery von Ende Juli mitgebracht. Darin wurden die Outcomes nach neoadjuvanter Chemotherapie bei lokal fortgeschrittenen und bei Borderline-resektablen Adenokarzinomen des Pankreas untersucht. Dies ist sicher eine Fragestellung, die auch in Ihrem Tumorboard regelmäßig diskutiert wird.

 
„Dies ist sicher eine Fragestellung, die auch in Ihrem Tumorboard regelmäßig diskutiert wird.“ PD Dr. Georgia Schilling
 

Hintergrund

Die neoadjuvante Chemotherapie ist die empfohlene Induktionsstrategie bei lokal fortgeschrittenen oder bei Borderline-resektablen Adenokarzinomen des Pankreas. In dieser Studie waren zwei Therapieregime für den neoadjuvanten Ansatz zugelassen: FOLFIRINOX und Gemcitabin in Kombination mit nab-Paclitaxel. Beide haben bereits hohe Ansprechraten in der metastasierten Situation bewiesen. Aber es gibt bislang keine komplettierte Phase-3-Studie für die nichtmetastasierte Situation.

Es gibt allerdings kleinere Fallkollektive mit neoadjuvanter Gabe beider Regime. Dort hatten sie zu einer hohen Resektionsrate geführt. Deshalb hat die italienische Arbeitsgruppe eine prospektive Beobachtungsstudie in dieser Situation durchgeführt, um Real-World-Data zu generieren.

Ziel der Studie war es, die Therapie-Compliance zu messen, sowie die Möglichkeit und Durchführung einer Resektion nach der Induktions-Chemotherapie zu erfassen. Ganz wichtig war natürlich auch, dass die Überlebens-Outcomes untersucht werden sollten.

Diese prospektive Beobachtungsstudie wurde in einem Nationalen Referenzzentrum für Pankreaserkrankungen in Italien durchgeführt. Eingeschlossen wurden Patienten (im Zeitraum von 2013 bis 2015) mit lokal fortgeschrittenen Pankreaskarzinomen oder Borderline-resektablen Pankreaskarzinomen zum Zeitpunkt der Diagnose. Der Follow-Up lief bis zum Jahr 2018.

Neoadjuvante Chemotherapie-Regime waren FOLFIRINOX oder Gemcitabin/Nab-Paclitaxel. Eine Komplettierung der Chemotherapie bedeutete das Durchlaufen von 6 Zyklen. Danach erfolgte ein Re-Staging einmal auf Basis der Bildgebung und der Bestimmung der Tumormarker CA19-9.

Untersuchte Fragestellungen

Die Autoren analysierten in der Studie die Zahl der verabreichten Chemotherapie-Zyklen, Rate an kompletten Durchläufen der 6 Zyklen, die Konversionsrate hin zur Resektabilität und das krankheitsspezifische Überleben.

Insgesamt konnten 680 Patienten in die Studie eingeschlossen werden. Das ist eine gute Zahl. Davon waren knapp 40% Borderline-resektable Pankreaskarzinome. Etwas mehr als 60% der Tumoren waren im lokal fortgeschrittenen Stadium. Knapp 10% der Patienten waren Lost-to-Follow up, aber es blieb eine große Rate an Patienten, die auswertbar war: Begonnen mit der Chemotherapie haben 93% der eingeschlossenen Patienten. Das bedeutet, dass 7% von Anfang an nur eine Supportive-Care-Therapie erhielten. Dies waren vor allem die älteren Patienten über 75 Jahre.

FOLFIRINOX erhielten 45,6% und Gemcitabin/nab-Paclitaxel 21,6% der Patienten. Die Therapie durften die Behandler auswählen. Die Auswahl war abhängig vom Alter, den Komorbiditäten und vom Allgemeinzustand der Patienten.

Ergebnisse der Studie

3,3% der Patienten starben innerhalb der ersten 6 Monate. Die Komplettierungsrate war, wie ich finde, sehr hoch, nämlich knapp 72%. 50% der Patienten, die die Therapie nicht vollständig durchlaufen konnten, waren über 75 Jahre alt.

Resektionsrate

Ein bisschen erstaunlich finde ich die Resektionsrate von 15,1% in der Gesamtgruppe. Exploriert wurden 63,3%. Reseziert wurden 24,1% der Borderline-resektablen Karzinome und 9,0% der lokal fortgeschrittenen Tumoren. Unabhängige prädiktive Faktoren für das Überleben waren: das Alter, Borderline-Resektabilität, die Komplettierung aller 6 Zyklen, ein bildmorphologisches Ansprechen, ein Tumormarker-Abfall und eine zusätzlich erlaubte Radiotherapie im Falle z. B. einer R1-Resektion sowie natürlich die Resektion an sich.

Die R0-Resektionsrate lag bei knapp 58% und war unabhängig vom Therapieregime. Es war also egal, ob FOLFIRINOX oder Gemcitabin/nab-Paclitaxel gegeben wurde.

Ergebnisse zum Überleben

Die Gesamt-Kohorte überlebte im Median 12,8 Monate. Die sekundär operablen Patienten überlebten dagegen median 35,4 Monate, wenn sie Borderline-resektabel waren, und 41,8 Monate, wenn sie lokal fortgeschritten waren. Sie lebten also deutlich länger, als die Gesamt-Kohorte.

Interessanterweise komplettierten mehr Patienten die Chemotherapie in der FOLFIRINOX-Gruppe. Möglicherweise war dies altersbedingt und weil es die wohl „besseren“ Patienten waren. Therapieabbrüche im FOLFIRINOX-Arm erfolgten eher wegen Toxizität. Im Arm mit Gemcitabin/nab-Paclitaxel eher wegen einer Progression.

Die Patienten, die komplett alle Chemotherapie-Zyklen durchlaufen hatten, wurden in 22,1% reseziert. Also deutlich häufiger als jene, die die Chemotherapie nicht vollständig erhalten hatten.

 
„Die Studie zeigt aber auch, dass wir dringend eine Therapiestrategie brauchen, mit der wir auch den nicht resektablen Patienten helfen können.“ PD Dr. Georgia Schilling
 

Fazit

Diese Studie hat ein unselektioniertes Patientengut untersucht. Es war kein Studienkollektiv, es sind also Real-World-Daten. Das ist meiner Meinung nach von großem Vorteil. Wir erhalten eine realistischere Resektionsrate, als wenn wir selektierte Patienten im Rahmen von Studien behandeln. Dies erklärt die deutlich geringere Resektionsrate im Vergleich zu randomisierten Studien.

Die Studie zeigt aber auch, dass wir dringend eine Therapiestrategie brauchen, mit der wir auch den nicht resektablen Patienten helfen können. Das Gesamtüberleben der Gesamtkohorte lag bei12,8 Monaten und war damit signifikant kürzer als bei den resezierten Patienten.

Meiner Meinung nach sollten wir das Vorgehen bei Patienten über 75 Jahre kritisch diskutieren. Die Therapieabbruchrate in dieser Altersgruppe war deutlich höher. Es stellt sich damit die Frage, ob die Patienten tatsächlich von so einem intensiven Vorgehen profitieren.  Diese Gedanken als Anregung zur Diskussion für Sie und damit vielen Dank fürs Zuhören – und bis zum nächsten Mal.
 

Kommentar

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