Gesetzentwurf beschlossen: Spahn will Vor-Ort-Apotheken vor der Konkurrenz aus der EU schützen – mit umstrittenem Kniff

Christian Beneker 

Interessenkonflikte

6. August 2019

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will mit seinem Vor-Ort-Apothekengesetz eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) entkräften und garantieren, dass Versandapotheken aus dem EU-Ausland und Vor-Ort-Apotheken in Deutschland die gleichen Preise für verschreibungspflichtige Medikamente haben [1].

Spahn hat das Gesetz ins Kabinett eingebracht, und die Regierung hat den Entwurf beschlossen. Apothekerverbände begrüßen die Initiative. Bundesjustizministerium und Bundesfinanzministerium sehen die Sache offenbar kritisch – ebenso die Krankenkassen und die Verbraucherzentrale.

Zukünftig keine Rx-Boni mehr von Versandapotheken

Der EuGH hat im Oktober 2016 entschieden, dass die Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente in Deutschland nicht für Versandapotheken aus dem EU-Ausland gilt (wir berichteten). Sie dürfen also Boni geben, die „Rx-Boni“. „2,50 Euro, 5 Euro, 10 Euro werden zum Teil pro abgegebener Packung gezahlt“, beschrieb Bundesgesundheitsminister Spahn die Praxis der Versandapotheker. „Und das ist gegenüber den Apotheken hier in Deutschland, die das nicht können und nicht dürfen, eine unfaire Situation.“

 
Das ist gegenüber den Apotheken hier in Deutschland, die das nicht können und nicht dürfen, eine unfaire Situation. Jens Spahn
 

In der Tat: Hierzulande gilt die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV). Sie besagt, dass verschreibungspflichtige Medikamente in jeder der rund 20.000 Apotheken in Deutschland jeweils zum gleichen Preis abgegeben werden müssen. Die Apotheker beschweren sich bereits seit dem EuGH Urteil 2016 über diesen Wettbewerbsnachteil.

Der damalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) lieferte kurz nach dem Urteil einen Gesetzentwurf, der den Versandapotheken den Rx-Handel ganz untersagen sollte. Der Gesetzentwurf hat es aber nie ins Parlament geschafft, er scheiterte unter anderem an der Kritik der SPD.

Das neue Gesetz von Gröhes Nachfolger Spahn soll nun die wirtschaftlichen Nachteile wenigstens der Rx-Boni beseitigen, die der „Apotheke um die Ecke“ durch das EuGH-Urteil entstehen. „Ich weiß, wie wichtig der Arzt, der Apotheker vor Ort, auf dem Lande für die Bürger ist“, sagte Spahn bei der Vorstellung des Gesetzes. „Wo die Apotheke ist, ist ein gutes Stück Heimat.“ Nun müsse die „Gleichpreisigkeit“ der Apotheken erhalten bleiben, um die Apotheken vor Ort zu stärken.

Der Plan: Regeln über Rx-Boni ins Sozialgesetzbuch verschieben

Spahn verschiebt mit seinem Gesetzentwurf die Regeln über die Rx-Boni aus dem Arzneimittelgesetz ins Sozialgesetzbuch V, und zwar in den §129. Die Hoffnung hinter dem Kniff: Der EuGH werde nicht in die hoheitliche Sozialgesetzgebung Deutschlands hinein urteilen dürfen, und das Verbot der Rx-Boni wäre damit der europäischen Gesetzgebung entzogen.

Ganz sicher scheint sich der Minister dennoch nicht zu sein, ob sein Trick funktioniert. Dem Vernehmen nach hat er den Entwurf jedenfalls an die Europäische Kommission zur Notifizierung, einer Überprüfung, geschickt.

Apothekerverbände sind hoch zufrieden

Dessen ungeachtet begrüßt der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH) die Initiative. „Eine einheitliche Regelung für Apotheken und Versicherte ist der beste Garant für eine flächendeckende, gleichmäßige Arzneimittelversorgung auch in der Zukunft“, sagt Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des BAH.

 
Eine einheitliche Regelung für Apotheken und Versicherte ist der beste Garant für eine flächendeckende, gleichmäßige Arzneimittelversorgung. Dr. Hubertus Cranz
 

Auch die ABDA, die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V., äußerte sich zustimmend. Die ABDA fordert nicht nur das Ende der Boni, sondern auch das Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten aus dem EU-Ausland. Bereits im Juni hatte die Mitgliederversammlung der ABDA erklärt, „dass das Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimittel eine Handlungsoption“ bleiben müsse, wenn das Verbot der Rx-Boni nichts erreichen würde, so die ABDA in einer Mitteilung.

Dabei ist die Bedrohung durch die Versandapotheken für die deutschen Apotheker noch nicht einmal besonders groß. Die öffentlichen Apotheken setzten im Jahr 2017 rund 738 Millionen Packungen verschreibungspflichtiger Medikamente ab, das sind 98,9% aller im Land verkauften verschreibungspflichtigen Packungen.

Der Versandhandel hatte daran nur einen Anteil von 1,1%, so Claudia Korf, Geschäftsführerin Ökonomie des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), auf dem Wirtschaftsforum des DAV im Mai in Berlin. Trotzdem dürfte der Anteil der Versandapotheken sich spätestens mit der Einführung des E-Rezepts 2020 dynamisieren, meint Korf und spricht von einem möglichen, langfristigen Absatzplus der Versandapotheken von 25% bei den Arzneimittelpackungen.

Kritik kommt aus der Regierung selbst und von den Krankenkassen

Kritik an dem Gesetz kommt vom Bundesfinanzministerium und dem Bundesjustizministerium. Beide Häuser hätten sich bei der Ressortabstimmung gegen den Gesetzentwurf ausgesprochen, hieß es beim Bundesgesundheitsministerium.

 
Die aktuell vorgesehene Regelung zum Erhalt der einheitlichen Abgabepreise wird europarechtlich überprüft werden müssen. Kai Vogel
 

Das Justizministerium sah offenbar wettbewerbsrechtliche Schwierigkeiten. Damit liegt nun das Risiko für das Wohl und Wehe der Rx-Boni ganz bei Bundesgesundheitsminister Spahn und seinem Haus.

Auch die Krankenkassen werden in die Auseinandersetzung gezogen. Denn die Kassen sollen überwachen, dass die Apotheken und hier insbesondere die ausländischen Versandapotheken nicht ihrerseits ihre Kunden mit Boni locken.

„Dies ist für uns nicht überprüfbar, denn Rabatte werden nicht auf den Rezepten ausgewiesen“, sagt Michaela Gottfried, Pressesprecherin des Verbandes der Ersatzkassen e.V. (vdek). Ein Verstoß könnte allenfalls durch Testkäufe verifiziert werden oder durch Heranziehung von Werbeaussagen auf den Internetseiten der ausländischen Anbieter.

Die Verbraucherzentrale indessen spricht sich für den Versandhandel als „ergänzende Versorgungsmöglichkeit“ aus. Und sie bezweifelt zugleich, dass Spahns Lösung bei den Rx-Boni sturmsicher ist. Eine rechtssichere Lösung sei „als schwierig anzusehen“, schreibt Kai Vogel, Leiter des Teams Gesundheit und Pflege, Verbraucherzentrale Bundesverband.

„Die aktuell vorgesehene Regelung zum Erhalt der einheitlichen Abgabepreise wird europarechtlich überprüft werden müssen, und hinsichtlich der Zulässigkeit des Vorhabens sind Zweifel berechtigt.“ Rechtssichere Lösungen seien wichtiger als der kurzfristige Preisvorteil durch RX-Boni, so Vogel zu Medscape.

Weitere Regelungen und Verordnungen im Gesetzentwurf zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken

Neben den Regelungen zu den RX-Boni enthält das neue Gesetz eine Reihe von weiteren Bestimmungen, unter anderem:

  • Für zusätzliche Dienstleistungen soll die Apotheke auch zusätzliches Geld erhalten, zum Beispiel für eine intensive pharmazeutische Betreuung bei einer Krebstherapie. Dazu stehen den Apotheken 150 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung.

  • Ärzte können zum Beispiel für schwer chronisch kranke Patienten, die immer die gleiche Medikation benötigen, speziell gekennzeichnete Rezepte ausstellen. Damit können die Apotheken bis zu 3 weitere Male das verordnete Arzneimittel abgeben.

  • Zukünftig können auch Apotheker Erwachsene gegen Grippe impfen, vorausgesetzt, sie haben eine entsprechende Schulung durchlaufen.

Neben dem Gesetz wurden auch 2 Verordnungen überarbeitet:

  • Botengänge sollen nicht mehr nur im Einzelfall möglich sein, sondern „grundsätzlich auf Kundenwunsch zulässig“ werden. Derzeit bringen Apothekenangestellte der rund 20.000 deutschen Apotheken nach Angaben der ABDA die Medikamente den Kunden ausnahmsweise ins Haus – bereits rund 250.000 Mal am Tag. Dieser Service soll nun ausgedehnt werden.

  • In der Arzneimittelpreisverordnung werden der Festzuschlag für Notdienste (auf insgesamt 50 Millionen Euro) und der Betrag, den Apotheken für die Abgabe von Betäubungsmitteln erhalten (auf 15 Millionen Euro), erhöht.

 

Kommentar

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