Nachlassende Libido nach der Menopause: Große Metaanalyse spricht für Testosteron-Therapie, Expertin ist skeptisch

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

6. August 2019

Wenn Frauen nach der Menopause einen hohen Leidensdruck haben, weil ihr sexuelles Verlangen gering ist, kann ihnen eine Testosteron-Supplementation helfen. Eine solche Therapie zeigt signifikante Wirksamkeit – sowohl im Vergleich zu Placebo als auch zu anderen Pharmakotherapien. Dies berichten Forscher um Dr. Rakibul M. Islam von der Monash University Melbourne im Lancet [1].

Wirkungen der Testosteron-Gabe etwa auf die Kognition oder auf das muskuloskelettale System seien nicht aufgetreten, berichten die Autoren. Basis ihrer Veröffentlichung war eine systematische Literaturübersicht mit Metaanalyse.

„Die eingeschlossenen Studien sind nicht wirklich überzeugend“, kritisiert jedoch Dr. Cornelia Jaursch-Hancke von der DKD HELIOS Klinik Wiesbaden und der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) gegenüber Medscape. Sie verweist auf die starke Heterogenität der Arbeiten: „In manchen Fällen erhielten Frauen orales Testosteron, in anderen Fällen transdermale Applikationen.“ Und weiter: „Manche Patientinnen wendeten den Wirkstoff täglich an, andere wöchentlich.“

 
Die Sexualität von Frauen ist zu komplex, als dass eine Dosis Testosteron sexuelle Dysfunktionen beseitigen könnte. Dr. Cornelia Jaursch-Hancke
 

Zwar würde als Referenz eine Standarddosis von 300 µg transdermal angegeben. Wie die Autoren auf den Wert kämen, sei jedoch unklar. „Auch die Vergleichsmedikation unterschiedet sich stark“, ergänzt die Expertin. Nicht zuletzt hätten manche Arme in den Studien gerade einmal 60 oder weniger Teilnehmerinnen gehabt. Und nur 2 Studien seien über 2 Jahre gelaufen, andere erstreckten sich nur über 12 bis 24 Wochen.

Jaursch-Hanckes Fazit: „Die Sexualität von Frauen ist zu komplex, als dass eine Dosis Testosteron sexuelle Dysfunktionen beseitigen könnte.“ Wenig überraschend sei das früher zugelassene Testosteron-Pflaster Intrinsa® deshalb wieder vom Markt verschwunden. Der Effekt sei zu gering gewesen. Außerdem hätten Patientinnen Akne und unerwünschten Haarwuchs am Körper als Nebenwirkungen bemerkt.

 
Welche Rolle Testosteron bei Frauen in der Menopause spielt, ist noch vollkommen unerforscht. Dr. Cornelia Jaursch-Hancke
 

„Welche Rolle Testosteron bei Frauen in der Menopause spielt, ist noch vollkommen unerforscht“, ergänzt die Endokrinologin. Hier komme es eher zur Dominanz von Androgenen, weil weilbliche Hormone wegfielen.

Wenig Wissen zum Nutzen und zu Risiken von Testosteron

Basis der Metaanalyse war laut Islam und seinen Coautoren fehlendes Wissen hinsichtlich der praktischen Anwendung von Testosteron: „Derzeit gibt es keinen internationalen Konsens zur Verwendung. Trotzdem behandeln Ärzte seit Jahrzehnten Frauen mit verschiedenen galenischen Formen von Testosteron, vor allem bei verminderter Libido.“

Ältere systematische Überprüfungen der Literatur hätten zwar Hinweise auf wünschenswerte Effekte ergeben, so die Forscher. Doch die Analysen hätten kaum Informationen zur Sicherheit oder zu unerwünschten Wirkungen geliefert.

Deshalb suchte Islams Team in MEDLINE, Embase, im Cochrane Central Register of Controlled Trials und im Web of Science nach verblindeten, randomisierten, kontrollierten Studien zur Testosteronbehandlung. Einschlusskriterium war entweder ein Vergleich von Testosteron mit Placebo oder mit anderen Wirkstoffen, etwa Östrogenen oder Östrogen-Gestagen-Kombinationen.

Die Arbeiten mussten als Endpunkte Angaben zur Sexualfunktion, zu kardiometabolischen Paramatern, zu kognitiven Leistungen oder zur Funktion des muskuloskelettalen Systems machen. Außerdem durften keine Grunderkrankungen wie Zysten, Verwachsungen oder Endometriose vorliegen, die möglicherweise zur Dyspareunie führen. Veröffentlichungen zu Depressionen und sexuellem Empfinden wurden ebenfalls ausgeschlossen.

36 randomisierte kontrollierte Studien mit 8.480 Teilnehmerinnen

Die Suchstrategie lieferte 46 Artikel über 36 randomisierte kontrollierte Studien mit 8.480 Teilnehmerinnen. Zur Auswertung wurden Mittelwertsdifferenzen (Mean Difference, MD) als Maß für die Effektstärke angegeben, falls Studien mit der gleichen Methodik arbeiteten. Ansonsten wurde die standardisierte Mittelwertdifferenz (Standardized Mean Difference, SMD) vermerkt. MD und SMD geben die Differenz der mittleren Effekte in der Interventions- und der Kontrollgruppe an.

Die Ergebnisse im Einzelnen: Testosteron erhöhte bei postmenopausalen Frauen im Vergleich zu Placebo oder anderen Wirkstoffen diverse Teilaspekte des sexuellen Erlebens signifikant, etwa eine zufriedenstellende Häufigkeit von sexuellen Ereignissen (MD: 0,85), das sexuelle Verlangen (SMD: 0,36), das Vergnügen (MD: 6,86), Erregung (SMD: 0,28), die Häufigkeit, einen Orgasmus zu erleben (SMD: 0,25), die Reaktion auf sexuelle Reize (SMD: 0,28) und das Selbstbild in sexuellem Kontext (MD: 5,64).

Gleichzeitig verringerten sich Sorgen (MD: 5,64) und der Leidensdruck (0,28). Ein Anstieg beim LDL-Cholesterin und eine Abnahme beim Gesamtcholesterin, dem HDL-Cholesterin und den Triglyzeriden wurden bei oral verabreichtem Testosteron beobachtet, aber nicht bei transdermalen Pflastern oder Cremes.

„Die Sorge um die kardiometabolische Sicherheit von exogenem Testosteron war bisher eine Barriere für die Zulassung einer Testosteron-Behandlung für Frauen“, kommentieren die Autoren. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass orales Testosteron die Lipidprofile negativ beeinflusst, während nicht-orale galenische Formen keine solchen Nebenwirkungen haben.“ Obwohl Testosteron sich als Vasodilatator erwiesen hat, gab es keinen nennenswerten Effekt auf den Blutdruck.

 
Unsere Ergebnisse zeigen, dass orales Testosteron die Lipidprofile negativ beeinflusst, während nicht-orale galenische Formen keine solchen Nebenwirkungen haben. Dr. Rakibul M. Islam und Kollegen
 

Effekte auf die Körperzusammensetzung, das Muskel-Skelett-System oder auf die Kognition fanden Islam und Kollegen nicht. Schwerwiegende Nebenwirkungen wurden ebenfalls nicht vermeldet. Ansonsten führte Testosteron häufiger zu Akne und stärkerem Haarwuchs. Alopezie, Stimmvertiefung oder Klitoromegalie wurden nicht beobachtet. Insgesamt war die Testosteronbehandlung mit einer kleinen, aber signifikanten Gewichtszunahme verbunden.

Stärken und Schwächen

Islam und Kollegen nennen als wesentliche Stärken der Analyse die Zahl der eingeschlossenen Studien, inklusive unveröffentlichter Daten. Dem stehen einige Schwächen gegenüber. Generell war die Abbruchquote von Frauen im Placebo-Arm von Studien häufiger als im Verum-Arm. Dies könne hinsichtlich der Bewertung von Placebo-Effekten zu einer Verzerrung geführt haben, schreiben die Autoren.

Außerdem sei die Definition von sexuellen Dysfunktionen unterschiedlich gewesen. Darüber hinaus habe man 2 große Studien mit negativer Bewertung von transdermalem Testosteron nicht berücksichtigt, da nur Abstracts zur Verfügung gestanden hätten.

Nicht zuletzt weist Islams Team darauf hin, dass man immer noch nicht wisse, ob Testosteron bei prämenopausalen und postmenopausalen Frauen ähnlich wirke. Diese Frage sei aufgrund fehlender Studien derzeit nicht zu beantworten.

 

Kommentar

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