Das „Aufschieberitis-Gen“: Der Prokrastination könnte die Veranlagung zu einem erhöhten Dopamin-Spiegel zugrunde liegen

Megan Brooks

Interessenkonflikte

5. August 2019

Die Tendenz zur Prokrastination kann – zumindest bei Frauen – eine genetische Grundlage haben. Das legen jüngste Forschungsergebnisse nahe. Die Studie wurde im Juli in der Zeitschrift Social Cognitive and Affective Neuroscience veröffentlicht [1].

Frauen, die dazu neigen, Aufgaben zu verschieben, haben demnach eine genetische Prädisposition für höhere Dopamin-Spiegel im Gehirn, was zu dem Verhaltensmerkmal beitragen könnte.

„Dopamin ist ein wichtiger Neurotransmitter, der mit der kognitiven Flexibilität in Verbindung gebracht wird. Obwohl das nicht generell schlecht ist, ist der Preis, den man dafür zahlt, eine erhöhte Ablenkbarkeit“, sagt Caroline Schlüter, Doktorandin am Institut für Psychologie der Ruhr-Universität Bochum, Deutschland, gegenüber Medscape.

Während ein höherer Dopaminspiegel die kognitive Flexibilität verbessern kann, kann er auch die Zerstreutheit verstärken, indem er „die kognitive Verarbeitung von störenden Einflüssen fördert. Das wiederum könnte uns von unserem eigentlichen Ziel abbringen und zur Prokrastination führen“, sagt Schlüter.

T-Allel sorgt für höhere Dopamin-Spiegel

Viele Menschen sind anfällig für Prokrastination, aber die genetischen Grundlagen dieser Eigenschaft sind weitgehend unbekannt, stellen die Forscher fest.

Ein Schlüsselfaktor, der die Fähigkeit einer Person beeinflusst, bestimmte Aufgaben direkt anzugehen, anstatt sie zu verschieben, ist die Fähigkeit, kognitive, motivationale und emotionale Kontrollmechanismen zu entwickeln. Diese „Meta-Kontrollmechanismen“ sind mit dopaminergen Signalen verbunden.

 
Unsere Studie deutet darauf hin, dass bei Frauen womöglich höhere Dopaminwerte die Neigung erhöhen, Aufgaben aufzuschieben. Caroline Schlüter und Kollegen
 

Dies veranlasste die Forscher, sich auf das Tyrosin-Hydroxylase (TH) kodierende Gen zu konzentrieren. Je nach Genexpression weisen die Gehirne von Individuen unterschiedliche Mengen an Neurotransmittern aus der Familie der Katecholamine auf, zu der auch Dopamin gehört.

Die 278 untersuchten gesunden Erwachsenen zeigten einen geschlechtsabhängigen Effekt des TH-Genotyps auf die willentliche Handlungssteuerung. Bei Frauen wiesen homozygote Träger des C-Allels höhere Aktionswerte (bei der willentlichen Handlungssteuerung) auf und waren weniger anfällig für Prokrastination als Träger von mindestens einem T-Allel.

Im Gegensatz dazu zeigten T-Allel-Träger eine geringer ausgeprägte willentliche Handlungssteuerung und neigten eher dazu Aufgaben aufzuschieben.

„Weil Träger des T-Allels eine höhere Tyrosin-Hydroxylase-Aktivität und erhöhte Dopaminwerte aufweisen, deutet unsere Studie darauf hin, dass bei Frauen womöglich höhere Dopaminwerte die Neigung erhöhen, Aufgaben aufzuschieben“, schreiben die Forscher.

Östrogen könnte Geschlechtsunterschied bedingen

Die Forscher halten es für denkbar, dass der erhöhte Dopamin-Spiegel bei T-Allel-Trägern die Menge der im Arbeitsgedächtnis verarbeiteten Kontext-Informationen erhöht. Das wiederum könnte die Ablenkbarkeit erleichtern und es erschweren, sich auf etwas zu fokussieren.

Bei Männern gab es allerdings keinen signifikanten Effekt des TH-Genotyps auf die willentliche Handlungssteuerung.

Östrogen könnte für diesen Geschlechtsunterschied verantwortlich sein, weil es indirekt die Dopamin-Produktion im Gehirn beeinflusst. Das könnte ein Grund sein, warum Frauen anfälliger für genetische Unterschiede im Dopamin-Spiegel zu sein scheinen, stellen die Forscher fest.

„Es ist schwer zu sagen, welche klinische Bedeutung unsere Ergebnisse haben, da wir ausschließlich mit Teilnehmern gearbeitet haben, die psychisch und neurologisch gesund waren“, sagt Schlüter.

„Es wäre jedoch sicherlich interessant, den Zusammenhang zwischen Genen und der Tendenz zum Prokrastinieren auch in klinischen Stichproben zu untersuchen. Hier könnten Patienten mit einem chronischen Dopaminmangel, wie bei der Parkinson-Krankheit oder Patienten mit einer Störung der Impulskontrolle, von Interesse sein“, sagte sie.

Dr. Bernhard Hommel vom Institute for Brain and Cognition der Universität Leiden, Niederlande, der sich die Studie für Medscape angeschaut hat, sagt, dass „ihre Logik und Begründung Sinn ergibt“. Er fügt jedoch hinzu: „Man muss aber bedenken, dass die Stichprobengröße für genetische Analysen ziemlich klein ist.“

Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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