MEINUNG

„Die Freiheit ist es wert!” Warum ein Kollege aus Frust über das TSVG und vieles mehr seine KV-Zulassung zurückgab

Christian Beneker

Interessenkonflikte

31. Juli 2019

Dr. Volker Bothe

Diesem Kollegen reicht´s. Die „neuen Regeln aus Berlin“ will er nicht mehr mitmachen. Seine Patienten hätten „keine Ahnung gehabt, wie übel mit Ärzten umgesprungen wird“, erzählt Dr. Volker Bothe (60) im Interview. Nun hat er für sich die Konsequenzen gezogen. Aus Frust über die Arbeitsbedingungen, das TSVG ( Medscape berichtete ) sowie der Druck, dass er in Telematik-Strukturen investieren muss, gibt der niedergelassene Kinderarzt aus Schwetzingen zum Oktober seine KV-Zulassung zurück. Medscape sprach mit dem entnervten und zugleich zuversichtlichen Pädiater. Nur viele seiner Kassenpatienten sind „traurig“.

Medscape: Herr Dr. Bothe, seit 23 Jahren sind Sie niedergelassener Kinderarzt in Schwetzingen. Auf einer Informationsveranstaltung Ihrer KV Baden-Württemberg Ende Juni sind sie aufgestanden und haben verkündet: „Ich gebe meine Zulassung zurück“. Warum dieser radikale Schritt?

Dr. Bothe: Auf der Veranstaltung ging es um die neuen, verpflichtenden Sprechstunden-Kontingente, die ich vorhalten muss. Dabei ist unsere Sprechstunde wartezeitfrei. Und nun soll ich in meiner Sprechstundenzeit die Tür aufmachen für wildfremde Leute ohne Anmeldung? Das geht gar nicht! Auf der Veranstaltung bin ich deshalb aufgestanden und habe gefragt, was eigentlich passiert, wenn ich den ganzen Kram nicht mitmache. „Die Staffelung der Strafen muss zwar noch festgelegt werden, aber denen, die sich dauerhaft verweigern, wird letztlich die Kassenzulassung entzogen“, war die Antwort. Da hat´s mir gereicht und ich habe gesagt: „Okay, dann könnt ihr meine Zulassung sofort zurückhaben!“

Medscape: Also eine spontane Entscheidung?

Dr. Bothe: Ja. Allerdings habe ich schon vor 15 Jahren darüber nachgedacht, eine reine Privatpraxis zu betreiben. Es ist doch so: Bevor ich für einen Basis-Scheinwert von 29,70 Euro im Quartal manche Patienten bis zu 20 Mal sehe, und mir dann auch noch die Arbeitsbedingungen diktieren lassen soll, mache ich lieber den Schritt in die Privatpraxis. Ich habe so einfach keine Lust mehr. Und nachdem ich meine offizielle Zulassungsrückgabe bei der KV abgegeben hatte, spürte ich ein unheimlich gutes Gefühl der Befreiung, während ich das Gebäude der KV verließ.

Medscape: Der Ärger gärt in Ihnen also schon eine ganze Weile.

Dr. Bothe: Allerdings. Es geht auch um die ständigen Regresse. Vor 5 Jahren wurde ich mit einem Regress bedroht, weil ich angeblich zu viel Logopädie, Physiotherapie und Ergotherapie verordnet hätte. Es drehte sich um 45.000 Euro. Da hatte die KV aber den Bogen überspannt. Weil so viele Ärzte betroffen waren, konnten sie ihre Ansprüche nicht durchdrücken.

Schon länger zuvor hatte ich versucht über die Teilnahme am Hausärztevertrag der KV und ihrer Bürokratie wenigstens teilweise zu entkommen. Aber das hat nicht geklappt – denn die KV hat verlangt, dass ich jeden HzV-Patienten, den ich behandelte, noch einmal neu anlegen soll, um ihn als HzV-Patienten gegenüber der KV zu kennzeichnen. Da habe ich am Quartalsende Stunden und Tage gesessen, um alle HzV-Patienten zu duplizieren. Das war nicht der Sinn der Übung.

Und dann kam in diesem Jahr auch noch die Anbindung an die Telematik-Infrastruktur inklusive der Konnektoren. Wir sollen die Kosten tragen und auch noch dafür haften. Dazu bin ich natürlich nicht bereit. HInzu kommt die Unsicherheit, ob Hacker es nicht auch auf Patienten-Daten abgesehen haben. Weil Spahn dann die Strafen fürs Nicht-Installieren nicht nur wie angekündigt bei 1% hält, sondern jetzt noch wie Daumenschrauben dreist immer weiter steigert, ist das für mich ein weiterer Grund keine GKV-Patienten mehr zu behandeln.

Medscape: Was sagen Ihre Patienten zu Ihrem Ausstieg?

Dr. Bothe: Kein Shitstorm, nichts. Sie sind vielmehr traurig. Sie sagen, sie wussten nicht, wie übel mit den Ärzten umgesprungen wird.

Medscape: Sie sind jetzt 60 Jahre alt. Wie stellen Sie sich Ihre Arbeit in den letzten 5 Jahren bis zum Ruhestand vor?

Dr. Bothe: Ich behandle nur noch Privatpatienten. Ich muss allerdings die Zahl meiner Privatpatienten massiv erhöhen, damit ich noch eine vertretbare Rente erwirtschaften kann. Denn bisher lag der Anteil an Privatpatienten in meiner Praxis nur bei 15%. Von dem Geld, das ich mit ihnen erwirtschafte, kann ich nur die Miete zahlen und die Gehälter meiner MFAs. Das ist auf Dauer natürlich zu wenig. Man muss bedenken, dass ich ohne KV-Zulassung auch keine Patienten der berufsgenossenschaftlichen Unfallversorgung mehr behandeln kann. Wir verlieren bis auf den PKV-Anteil alles, was wir hatten.

Medscape: Wie reagieren eigentlich Ihre Kolleginnen und Kollegen – vor allem in Hinblick auf die Privatpatienten, die Sie nun suchen?

Dr. Bothe: Damit sind sie nicht unbedingt so glücklich. Aber ich erfahre auch Solidarität. Ein Kollege aus Dortmund hat den gleichen Schritt getan wie ich und mich beglückwünscht. Vielleicht hätten es viele Kolleginnen und Kollegen selber gerne so gemacht wie ich. Ich bin sicher: Wenn sich 30% der Niedergelassenen gegen die neuen Regeln aus Berlin gewehrt hätten und nicht mitmachen würden, wäre das System zusammengebrochen und die neuen Regeln wären nicht durchgekommen.

Medscape: Ihre Entscheidung ist jetzt gut einen Monat alt. Kriechen manchmal die Zweifel hoch, zu weit gegangen zu sein?

Dr. Bothe: Mein Schritt war ja irgendwie „Harakiri“. Aber ich würde ihn niemals zurücknehmen. Wenn die Praxis daran Pleite geht, dann ist es so. Klar ist für mich: Die Freiheit ist es wert.

 

Kommentar

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