Asthma bei Kindern: Weltweite Korrelation mit der örtlichen Stickoxid-Belastung – selbst unter den WHO-Grenzwerten

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

30. Juli 2019

Asthma im Kindesalter hat weltweit epidemische Proportionen erreicht. Obschon die Analysemethoden vieler Studien verschieden sind, liefern Metaanalysen eine überzeugende Evidenz für eine Korrelation der Zunahme von Asthma bei Kindern und der Zunahme von verkehrsbedingter Luftverschmutzung, die anhand des Stickoxids NO2 ermittelt wird.

Diese Korrelation wurde bereits unterhalb des von der Weltgesundheitsorganisation WHO proklamierten tolerierbaren Grenzwertes von 40 µg NO2/m3 im Jahresdurchschnitt gezeigt.

Eine Studie aus The Lancet Planetary Health setzte die aufgrund realer Zahlen geschätzte Rate von Asthma-Neuerkrankungen bei Kindern von 1 bis 18 Jahren mit aus Satelliten-Daten gewonnenen Zahlen zur Luftverschmutzung in dem jeweiligen Gebiet in Beziehung [1].

Die Autoren um Dr. Pattanun Achakulwisut, Milken Institute of Public Health, George Washington University, USA, ermittelten etwa 4 Millionen Asthma-Neuerkrankungen pro Jahr weltweit, von denen 64% auf urbane Zentren entfallen. Sie errechneten daraus, dass etwa 13% aller Asthma-Neuerkrankungen bei Kindern mit verkehrsbedingter Luftverschmutzung assoziiert sind, was einer durchschnittlichen Rate von 170 Neuerkrankungen auf 100.000 Kinder entspricht.

Asthma und Umweltverschmutzung erstmals weltumspannend in Beziehung gesetzt

„Um aktuelle Empfehlungen zu geben bzw. Gegenmaßnahmen zu ergreifen, ist ein besseres Verständnis des Zusammenhangs von Luftverschmutzung und Asthma dringend notwendig“, kommentiert Prof. Dr. Rajen N. Naidoo, Occupational and Environmental Health, University of KwaZulu-Natal, Durban, Südafrika, in einem zur Studie veröffentlichten Editorial [2]. „Die Studie von Achakulwisut und Kollegen geht hier einen neuen Weg, indem sie geografische Daten von großer Genauigkeit verwendet, die bisher bei ähnlichen Studien so noch nicht genutzt worden sind.“

 
Um aktuelle Empfehlungen zu geben bzw. Gegenmaßnahmen zu ergreifen, ist ein besseres Verständnis des Zusammenhangs von Luftverschmutzung und Asthma dringend notwendig. Prof. Dr. Rajen N. Naidoo
 

Die medizinischen Daten, auf die Autoren zurückgreifen konnten, zeigten die Inzidenzen von Asthma, rastermäßig aufgeteilt in Felder von 250 x 250 Metern, für 194 Länder und 125 Großstädte aus dem Jahr 2015. Die mithilfe Satellitentechnik ermittelten NO2-Emissionsdaten standen für die entsprechenden Flächen sogar in einem Raster von 100 x 100 Metern aus den Jahren 2010 bis 2012 zur Verfügung. Als urbane Zentren definierten die Autoren Zonen mit mehr als 1.500 Einwohnern pro km2, analog den Vorgaben der Global Human Settlement Classification.

Mehr Stickoxid-assoziiertes Asthma in Städten als weltweites Phänomen

In die Berechnungen gingen jeweils die Bevölkerungsdichte an Kindern sowie die Inzidenz von Asthma und neu diagnostiziertem Asthma von Patienten unter 18 Jahren ein. Dabei ergab sich die höchste Belastung von 690 Fällen auf 100.000 Kinder, assoziiert mit verkehrsbedingter Luftverschmutzung, in Lima in Peru, Bogota in Kolumbien (je 580 Fälle), Mexiko City, Los Angeles, New York und Toronto (je etwa 540 Fälle).

In Ostasien lag Shanghai mit 640 entsprechenden Fällen an der Spitze, gefolgt von 6 weiteren städtischen Regionen sowie Taipeh (Taiwan), Kuala Lumpur (Malaysia), Manila (Philippinen) und Bangkok (Thailand) mit jeweils über 500 entsprechenden Fällen. Im ähnlich höchsten Bereich lagen auch Teheran (Iran), Dubai, Amman (Jordanien) und Istanbul in der nah- bis mittelöstlichen Region.

Unter westeuropäischen Städten war der Großraum London negativer Spitzenreiter mit 440 Fällen und Neapel die günstigste Stadt mit knapp 100 Fällen. Köln als einzige gezeigte deutsche Stadt nahm mit etwa 250 Fällen einen mittleren Wert ein.

Nimmt man Köln als Bezugswert, lagen zahlreiche Großstädte in den USA, Süd- und Mittelamerika, den arabischen Staaten, alle berücksichtigten chinesischen Städte sowie viele Städte in Südostasien, Tokio, Seoul (Südkorea), Moskau, St. Petersburg und einige afrikanische Großstädte darüber. Unterhalb des Wertes von Köln lagen die meisten afrikanischen, indischen und übrigen südostasiatischen Großstädte.

Je besser die Dokumentation, desto alarmierender die Ergebnisse

„Der südasiatische und weite Teile des afrikanischen Raumes leiden allerdings unter besonders schlechter Qualität der medizinischen Datenerhebung“, gibt Naidoo zu bedenken. „Insofern könnte das relativ gute Abschneiden von Städten wie Colombo auf Sri Lanka, Kalkutta in Indien oder Orlu in Nigeria über die tatsächlichen Zustände hinwegtäuschen.“

Eine weitere Berechnung von Achakulwisut und Kollegen ergab, dass 92% der Fälle von mit verkehrsbedingter Luftverschmutzung assoziierten Asthma-Neuerkrankungen bei Kindern in Regionen dokumentiert worden waren, in denen die NO2-Belastung unterhalb des von der WHO aktuell proklamierten tolerierbaren Grenzwertes von 40 µg NO2/m3 im Jahresdurchschnitt lag.

Bisherige WHO-Grenzwerte für Stickoxid müssen nach unten korrigiert werden

„Dies ist die am meisten alarmierende Botschaft dieser Studie“, urteilt Naidoo. „Denn es bedeutet, dass der offizielle Grenzwert der WHO zu hoch liegt, um die Inzidenz von Asthma-Neuerkrankungen bei Kindern beschränken zu können. Er muss deutlich herabgesetzt werden, um die zuständigen Stellen zu bewegen, Maßnahmen gegen die verkehrsbedingte Luftverschmutzung zu ergreifen.“

 
Es bedeutet, dass der offizielle Grenzwert der WHO zu hoch liegt, um die Inzidenz von Asthma-Neuerkrankungen bei Kindern beschränken zu können. Prof. Dr. Rajen N. Naidoo
 

In ihrem Fazit weisen die Autoren darauf hin, dass die hier eingesetzten Daten zur NO2-Belastung bereits mindestens 7 Jahre alt seien und damit wahrscheinlich inzwischen weit höher liegen. Verkehrsbedingte Luftverschmutzung sei somit nicht mehr auf industrialisierte Länder beschränkt, sondern gefährde verstärkt auch die Gesundheit von Kindern städtischer Regionen in Entwicklungs- und Schwellenländern.

 

Kommentar

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