Nach neuer IMPROVE-IT-Analyse und einer NNT von 11: Ezetimib plus Statin für ältere Infarkt-Patienten bald ein Muss?

Dr. Jürgen Sartorius, Sonja Böhm

Interessenkonflikte

30. Juli 2019

Nach einem akuten Herzinfarkt profitieren vor allem Patienten über 75 Jahre, wenn sie zusätzlich zu Simvastatin noch Ezetimib erhalten. Das ist das Ergebnis des 10-Jahres-Follow-ups der IMPROVE-IT-Studie sowie einer Post-hoc-Analyse nach Alter. Der Vorteil bezog sich auf die Endpunkte Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulär bedingter Tod. In puncto Verträglichkeit spielte das höhere Alter keine Rolle.

Die Autoren der IMPROVE-Studie, die 2015 veröffentlicht worden war, haben die aktuelle Post-hoc-Analyse in JAMA Cardiology publiziert. Im Rahmen der Analyse wurden 18.144 Teilnehmer in 3 Altersgruppen eingeteilt [1].

Das Team um Erstautor Dr. Richard G. Bach, Washington University School of Medicine, St. Louis, USA, hat aufgrund der Ergebnisse errechnet, dass durch die Kombination Simvastatin plus Ezetimib bei einem von 11 Patienten, der über 75 Jahre alt war, einer der definierten kardiovaskulären Studien-Endpunkte vermieden worden ist (Number Needed to Treat = 11). Bei den Patienten unter 75 Jahren lag die NNT dagegen bei 125 im Vergleich zur Simvastatin-Monotherapie.

Dr. Uwe Popert

„Aufgrund statistischer Schwächen sind die Ergebnisse einer solchen Post-hoc-Analyse, die nicht für multiples Testen adjustiert worden ist, eher als Hinweise denn als Beweise zu deuten“, kommentiert Dr. Uwe Popert, niedergelassener Allgemeinmediziner aus Kassel und Mitglied im Arbeitskreis Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) die Studienergebnisse.

 
Aufgrund statistischer Schwächen sind die Ergebnisse einer solchen Post-hoc-Analyse (…) eher als Hinweise denn als Beweise zu deuten. Dr. Uwe Popert
 

Prof. Dr. Oliver Weingärtner

Ganz anders sieht es Prof. Dr. Oliver Weingärtner, Facharzt für Innere Medizin, internistische Intensivmedizin, Kardiologie und Angiologie, Lipidologe am Universitätsklinikum Jena. Er ist von der neuen Auswertung der IMPROVE-IT-Studie begeistert: „Das ist eine tolle Studie – und ein Ergebnis, das vor allem für die Hausärzte Bedeutung hat, denn die müssen es in der Praxis umsetzen“, sagt er im Gespräch mit Medscape. Nach seiner Ansicht sollten ältere Patienten auf jeden Fall eine solche Kombinationstherapie erhalten, eine NNT von 11 sei „phänomenal“. Und eine mögliche physiologische Erklärung für die gute Wirkung der Ezetimib-Kombi bei den Älteren hat der Lipid-Experte auch (siehe Kasten).

 
Das ist eine tolle Studie – und ein Ergebnis, das vor allem für die Hausärzte Bedeutung hat. Prof. Dr. Oliver Weingärtner
 

 

LDL-Werte sinken bei allen, aber nur die über 75-Jährigen profitieren

In der aktuellen Analyse ist der praktische Nutzen des Wirkstoffes Ezetimib bei zusätzlicher Gabe zu Simvastatin vor allem auf diejenigen kardiologischen Patienten beschränkt, die zu Beginn der Studie über 75 (n = 2.798) und nach 7 Jahren Beobachtungzeitraum im Durchschnitt 85 Jahre alt waren. Die durch die Kombinationstherapie erreichte Senkung des LDL-C-Spiegels um 15 bis 17 mg/dL gegenüber der Simvastatin-Monotherapie war jedoch in allen Altersgruppen gleich, ebenso die Therapiesicherheit, berichten die Autoren.

In der Studie war der LDL-Cholesterinwert unter Monotherapie mit 40 mg Sim­vastatin (plus Placebo) täglich auf durch­schnittlich 69,5 mg/dl, unter Kombinationstherapie mit zusätzlichen 10 mg Ezetimib pro Tag auf 53,7 mg/dl gesunken. Ezetimib blockiert bekanntlich die intestinale Resorption von Cholesterin, wirkt also auf einem anderen Weg als Statine, die die Cholesterin­synthese in der Leber hemmen.

Widerspruch zur ‚The-lower-the-better-Theorie‘?

„Nach einer Metaanalyse von Navarese und Kollegen ist unterhalb von LDL-Werten von 100 mg/dl auch mit intensiver Lipidsenkung durch Statine oder PCSK9-Hemmer keine weitere Senkung der Sterblichkeit mehr nachweisbar“, ergänzt Popert. „Die ‚The-lower-the-better-Theorie‘ findet hier ihre Grenzen.“

Aufgrund der hohen Teilnehmerzahl der IMPROVE-IT-Studie sei in der Veröffentlichung in 2015 ein signifikanter klinischer Vorteil für das gesamte Patientenkollektiv errechnet worden. Die Zahl der Herzinfarkte und Schlaganfälle sank (jeweils relativ) um 14%, die der ischämischen Schlaganfälle um 21%. Die Zahl der Todesfälle war allerdings in beiden Gruppen gleich, so dass ein Rückgang der Sterblichkeit nicht belegt werden konnte. Trotzdem errechnete sich für die Zugabe von Ezetimib eine NNT von 50 (für einen der definierten Endpunkte).

Ergänzung mit Ezetimib nicht wirksamer als Statin-Hochdosierung

„Beim Vergleich der IMPROVE-IT mit der sehr ähnlichen PROVE-IT Studie fällt auf, dass die klinischen Effekte bei Hochrisiko-Patienten von Normaldosis-Statin plus Ezetimib trotz deutlicher Lipidsenkung schwächer sind als die einer Statin-Hochdosis“, wendet Popert ein. „Wobei die zusätzliche Gabe von Ezetimib wesentlich teurer ist als die schlichte Erhöhung der Statindosis, zum Beispiel auf 40 bis 80 Milligramm pro Tag Atorvastatin. Deshalb empfiehlt auch die nicht pharmagesponserte NICE-Leitlinie eine Statin-Hochdosis“, sagt Popert.

In der jetzt publizierten Post-hoc-Analyse zeigte sich nun, dass vor allem die Verbesserung der klinischen Wirkung durch die Kombination bei den über 75-jährigen Patienten signifikant war. Alle, die jünger sind, profitieren demnach nur marginal mit einer Reduktion, die unter 1% liegt – bezogen auf das Erreichen von mindestens einem der primären Endpunkte.

„Dies ist auffällig, denn bei Statinen kennen wir zum Beispiel aus der PROSPER-Studie beziehungsweise aus einer aktuellen retrospektiven Kohortenstudie von Ramos und Team eine in höherem Alter abgeschwächte Wirkung“, wundert sich Popert. „In diesen beiden Studien verringerte sich bei Patienten über 75 nach akutem Infarkt durch eine lipidsenkende Therapie zwar die Zahl der nichttödlichen Re-Infarkte. Sie beeinflusste aber weder die kardiovaskulär bedingte Sterblichkeit noch die Gesamtsterblichkeit.“ 

Warum die besseren Ergebnisse im hohen Alter?

Als eine mögliche Erklärung weisen die Autoren in Ihrer Diskussion darauf hin, dass es zu Studienbeginn für die über 18.000 Patienten in IMPROVE-IT – die nach einem in der Klinik stabilisierten ACS eingeschlossen worden waren – außer offensichtlicher klinischer Instabilität keine Ausschlusskriterien gab. Möglicherweise wurden deshalb verhältnismäßig weniger Patienten über 75 Jahren eingeschlossen, da sich viele von diesen nicht mit einer Teilnahme einverstanden zeigten.

„Spannender als diese Begründung aus der Diskussion der Studie finde ich die Frage, ob beziehungsweise warum Ezetimib im Alter besser wirken könnte“, wirft Popert ein.

Denn die Daten der 2.798 Patienten, die bei Studienbeginn über 75 Jahre alt waren, sprechen dafür, dass die Kombinationstherapie aus Simvastatin und Ezetimib für diese älteren Patienten klinisch wirkungsvoll und verträglich war. Deshalb fordern die Autoren, aus den Daten eine Empfehlung für die entsprechenden US-amerikanischen Leitlinien zu begründen.

Popert sieht dies kritisch: „Ich denke, man versucht, die ‚The-lower-the-better-Theorie‘ zu retten. Das Problem ist, dass die Studien mit teuren Add-up-Präparaten zu den Statinen mit marginalen Effekten unter LDL-Werten von 100 enttäuscht haben. Da hat man sich wohl einfach verkalkuliert“, resümiert er. Bei Patienten mit Hypercholesterinämie seien vermutlich viel größere Effekte zu erwarten.

„Eine richtig tolle Studie, die in die Leitlinien eingehen wird!“

Der Lipid-Experte Weingärtner dagegen ist von der neuen Auswertung der IMPROVE-IT-Studie begeistert und überzeugt, dass die Ergebnisse Eingang in die Leitlinien finden werden, wie er gegenüber Medscape sagt: „Das muss in die Leitlinien! Das bedeutet: Die älteren Patienten, so ab 70, 75 sollten auf jeden Fall mit einer Kombination aus Statin und Ezetimib behandelt werden!“, betont er. „Eine Number Needed to Treat von 11 ist doch ein phänomenales Ergebnis!“

Dass der Cholesterin-Resorptionshemmer Ezetimib vor allem bei älteren Patienten einen so ausgeprägten additiven Effekt hat, sei über den Cholesterinstoffwechsel leicht zu erklären, betont der Lipid-Experte: „Die individuelle Cholesterinsynthese lässt physiologisch mit dem Alter nach“, erläutert er. „Damit nimmt auch die Wirksamkeit des Statins, das die Cholesterinsynthese bremst, eher ab.“ Im Gegensatz dazu bleibe aber die Cholesterinresorption im Alter gleich oder steige sogar – zumindest im Verhältnis – an. „So nimmt der durch die Cholesterin-Resorptionshemmung mit Ezetimib erzielte Effekt mit dem Alter an Bedeutung zu.“

Das Ausmaß der altersspezifischen Zunahme des Benefits der Kombinationsbehandlung habe aber auch ihn überrascht, sagt Weingärtner. „Der Effekt ist völlig überzeugend, aber dass er so ausgeprägt ist, hätte ich nicht gedacht.“

Er erinnert daran, dass die NNT von 11 in der IMPROVE-IT-Studie bei den älteren Teilnehmern ja erzielt wurde, obwohl diese im Mittel nur Ausgangswerte beim LDL-Cholesterin um die 90 mg/dl hatten – und dieser Wert dann Simvastatin auf 70 mg/dl und mit Simvastatin/Ezetimib auf etwa 50 mg/dl gesenkt wurde.  „In der ‚normalen‘ Praxis sehen wir ja viele Koronarpatienten, die noch LDL-Wert über 160, vielleicht sogar von 200 mg/dl haben. Bei denen wird die NNT noch viel geringer sein – vielleicht nur noch bei zwei oder drei“, betont er. 

Er kann auch nicht nachvollziehen, dass das Ergebnis nun ‚madig gemacht‘ werde, weil es sich ‚nur‘ um eine Post-hoc-Analyse handele. „Natürlich war die Studie nicht von Beginn auf diese Auswertung hin ausgelegt“, räumt er ein. „Aber: Wir haben hier eine prospektive randomisierte kontrollierte Studie mit 18.000 Teilnehmern, die über acht Jahre nachbeobachtet worden sind. Mehr Evidenz geht kaum! Was will man von der medizinischen Beweisführung noch erwarten? Solche Daten haben wir für kaum ein anderes Medikament.“  

 

Kommentar

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