MEINUNG

Impfgegner doch noch überzeugen: Was man Patienten sagen kann, die einen Masernschutz ablehnen

Arthur L. Caplan PhD

Interessenkonflikte

24. Juli 2019

In Impffragen sind manche Patienten beratungsresistent. Sie pochen auf ihre Elternrechte und glauben Halbwahrheiten. Dieser US-Kollege hat Tipps, wie Ärzte konstruktiv argumentieren können.

Lesen Sie hier die Übersetzung des englischen Videos:

Hi, ich bin Art Caplan von der Abteilung für medizinische Ethik an der New York Universitiy (NYU) School of Medicine. Wir haben über das Thema ja schon in der Vergangenheit gesprochen, aber der Masern-Ausbruch, der die Vereinigten Staaten heimsucht, hält an. Viele Staaten melden Masernfälle.

In New York gibt es eine Vielzahl von Fällen, sowohl in New York City als auch in Rockland County. Ganz besonders ist die orthodoxe jüdische Gemeinde von dem Masernausbruch betroffen. Aufgrund der großen Familien mit vielen Kindern hat sich die Krankheit innerhalb dieser Gemeinschaft schnell verbreitet.

Menschen sind zum Beispiel krank geworden durch Reisende, die nicht geimpft waren und an einer Maserninfektion litten, aber nicht wussten, dass sie erkrankt waren. Mir wurde gesagt, dass es mindestens eine Flugbegleiterin gibt, die auf einem Flug nach Israel war und ins Koma gefallen ist. Sie hatte infolge ihrer Masern eine Enzephalitis. Ich weiß auch, dass es eine Reihe von Kindern gibt, die wegen Masern auf der Intensivstation liegen. Das ist keine harmlose Erkrankung

Es gab eine Zeit, da existierten in den Vereinigten Staaten keine Masern mehr. Die CDC (Centers for Disease Control and Prevention) hatte vor mehr als 12 Jahren die Ausrottung der Masern bekannt gegeben. Jetzt kämpfen wir wieder damit. Dies ist vor allem auf Ängste und Sorgen zurückzuführen, die von Menschen verbreitet werden, die die Impfung ablehnen.

Was sollten Sie nun Menschen sagen, wenn Sie mit ihnen in eine Diskussion über Impfstoffe geraten?

Inwiefern unterscheiden sich die Bedenken gegen die Impfung heute von denen, die vor 10 bis 30 Jahren vorgebracht worden sind? Die Einwände von Impfgegnern haben sich weiterentwickelt. Früher waren die Hauptanliegen von Impfgegnern sicherheitsrelevante Aspekte, insbesondere ein möglicher Zusammenhang zwischen Impfung und Autismus. Außerdem das Misstrauen gegenüber der Pharmaindustrie. Mit dem Vorwurf, dass die Pharmaindustrie mit Impfstoffen auf den Markt dränge, um damit viel Geld zu verdienen. Das sind die alten Einwände. Sie tragen wahrscheinlich dazu bei, dass Krankheiten wie Masern und Mumps wieder aufflackern oder sich Patienten weigern, sich gegen Grippe impfen zu lassen.

Es kamen auch einige neue Argumente hinzu.

Ein neues Argument ist, dass alles, was `natürlich´ ist, als gut gilt. Wir beobachten dieses Denken vor allem in gebildeten, großbürgerlichen und wohlhabenden Bevölkerungsschichten. Weniger in den Bevölkerungsschichten, die schlecht ausgebildet sind oder nicht viel über Impfstoffe wissen.

Ich denke dabei zum Beispiel an Menschen, die sich an der Schauspielerin Gwyneth Paltrow orientieren und wie sie natürliche Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel und andere natürliche Substanzen zur Behandlung oder Vorbeugung von Krankheiten verwenden. Das sind auch die Menschen, die glauben, dass die Natur gut ist und dass alles, was an negativen Dingen geschieht, nicht passieren würde, wenn wir uns besser der Natur anpassen würden, sie akzeptieren und mit ihr leben würden. Das ist eine sehr gefährliche Einstellung.  Aber es ist eine, die man erkennen und mit der man sich auseinandersetzen muss.

Medizin ist dazu da, um zu helfen, wenn die Natur uns Schaden zufügt.

Es gibt auch Leute, die sagen, dass es besser ist, Masern auf natürliche Weise zu bekommen statt sich dagegen impfen zu lassen. Das ist eindeutig falsch. Angesichts der Zahl der Krankenhausaufenthalte, der Gefahr von Hirnschäden und der tödlichen Gefahr – in einigen Teilen der Welt sterben Zehntausende von Menschen an Masern – ist nichts Gutes daran, Masern zu bekommen.

Es stimmt durchaus, dass viele Menschen, die an Masern erkranken, keine schlimmen Komplikationen erleiden.  Außer vielleicht einigen Unannehmlichkeiten wie Juckreiz, Fieber und Ausschläge. Aber insgesamt ist diese Vorstellung, dass die Natur immer gut ist, einfach falsch. Tatsächlich haben wir genau deshalb Medikamente.

Manchmal ist die Natur darauf aus, uns zu töten. Menschen und Patienten müssen verstehen, dass `die Natur´ oder `das Natürliche´ nicht immer das Beste ist. Und Sie müssen darauf vorbereitet sein, mit diesem speziellen Thema umzugehen.

Das Recht auf Selbstbestimmung und Individualismus

Das andere Argument, das neu ist, lautet: „Ich habe das Recht, das zu tun, was ich will." Wir sehen heute viel Individualismus in unserer Gesellschaft, das zeigt sich in Äußerungen wie: „Sie können mich nicht dazu bringen, mich impfen zu lassen", oder „Ich werde es nicht tun, weil ich das Beste für mich und meine Kinder will."

Ich denke, das ist bedauerlich, weil es nicht den Kern trifft. Nämlich, dass es viele Menschen da draußen gibt, die nicht geimpft werden können: Neugeborene, immungeschwächte Menschen, ältere Menschen, deren Immunsystem schwächer wird. Die müssen wir schützen. Es ist nicht richtig, zu sagen: „Mein Nachbar ist mir egal." Als Arzt sollten Sie betonen, dass der Sinn der Impfung nicht nur darin besteht, „ob man sich selbst schützen will oder nicht", sondern eben auch darin, etwas für die Gemeinschaft zu tun.

Wenn es also um Kinder geht, die geimpft werden müssen, dann hat der Staat auch das Recht zu sagen: „Sie müssen sich impfen lassen, sonst wird Ihnen eine Geldstrafe auferlegt". Auf dieser Grundlage haben wir Autokindersitze und Fahrradhelme eingeführt.

Kinder haben ein Recht auf Gesundheit

Wir denken manchmal, dass die Entscheidungen der Eltern über ihre Kinder nicht völlig unangreifbar sind. Aber die Regierung kann etwas unternehmen und Kinder schützen. Kinder haben ein Recht auf Gesundheit, und dazu gehört auch die Impfung. Dem Argument „Impfen ist Sache der Eltern, und das ist das Ende der Diskussion", muss entgegengetreten werden. Das Argument zählt nicht, wenn es um die Gesundheit von Kindern geht, und auch nicht, wenn es um die Gesundheit der Gemeinschaft geht.

Ich denke, wir konnten die Sicherheitsbedenken erfolgreich zerstreuen. Studie um Studie hat die Vorstellung als falsch entlarvt, dass Impfungen mit Autismus in Zusammenhang stehen. Auch die Klagen über `Big Pharma´ konnten wir entkräften, weil Pharmahersteller mit der Behandlung von Krankheiten viel mehr Geld verdienen als mit der Prävention von Krankheiten.

Es sind diese neueren Argumente, von denen ich denke, dass sie jetzt zum Wiederauftreten von Masern beitragen.

Wir müssen die Vorstellung ernst nehmen, dass einige Leute denken, dass das Natürliche in Ordnung ist und wir nichts dagegen tun müssen. Und wir müssen auch die Idee „Ich habe Rechte und die kann mir niemand nehmen – sie sind unveränderlich, unantastbar und niemand kann sie herausfordern", ernst nehmen. Wenn Sie mit Patienten oder Bürgern sprechen, sollten Sie bereit sein, darauf hinzuweisen.

Ich bin Art Caplan von der Abteilung für medizinische Ethik an der NYU. Danke fürs Zuschauen.

Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
 

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