Diastolischer oder systolischer Blutdruck – welcher Wert ist wichtiger zur Abschätzung des kardiovaskulären Risikos? Eine aktuelle Datenanalyse im New England Journal of Medicine bestätigt jetzt, dass beide Blutdruckwerte in etwa gleich bedeutsam sind [1].
Dr. Alexander C. Flint von der Forschungsabteilung des privaten Krankenversicherers Kaiser Permanente Northern California in Oakland, USA, und seine Kollegen haben Patientendaten ausgewertet, um abzuschätzen, welchen Effekt jeweils eine systolische bzw. diastolische Hypertonie auf einen kombinierten Endpunkt aus Myokardinfarkt und Schlaganfall (ischämisch oder hämorrhagisch) hat – dies über einen Zeitraum von 8 Jahren. Für die Jahre 2007 bis 2016 werteten sie dazu mehr als 36 Millionen Blutdruckmessungen von etwa 1,3 Millionen Menschen aus.
Sowohl ein anhaltend über 140 mmHg liegender systolischer Druck als auch ein anhaltend über 90 mmHg liegender diastolischer Blutdruck waren unabhängig voneinander mit dem kombinierten Endpunkt aus Herzinfarkt und Schlaganfall assoziiert. Eine Assoziation bestand auch für die niedrigeren Grenzwerte von 130/80 mmHg.
„Die Studienergebnisse überraschen nicht wirklich, sie bestätigen im Wesentlichen, was wir wissen“, erklärt Dr. Heribert Brück, Pressesprecher des Bundesverbandes niedergelassener Kardiologen (BNK) – und damit auch die in den Leitlinien aktuell festgeschriebenen Grenzwerte.
Diastole und Systole – welcher Wert der wichtigere ist – da gab es einen stetigen Wandel, erinnert Brück im Gespräch mit Medscape. „War es früher der systolische Wert, auf den alle fixiert waren, folgte dann eine Zeit, in der nur auf den diastolischen Wert geachtet wurde (was heute noch vielen Patienten präsent ist). Dann wurde wieder – gestützt auf Untersuchungen aus Skandinavien und aus den Beneluxländern – auf den systolischen Wert umgeschwenkt.“
„Dass jetzt auch der diastolische Wert wieder eine Renaissance erfährt, wundert mich nicht so sehr“, sagt er. Den europäischen Leitlinien entsprechend sind Systole und Diastole gleich wichtig bei der Frage, ob bei einem Patienten ein Bluthochdruck vorliegt. Zur Diagnose einer Hypertonie werden immer beide Werte einbezogen.
„Unsere Forschungsergebnisse liefern eine große Menge an Daten zu einer grundlegenden Frage, und sie geben eine klare Antwort“, stellt Hauptautor Flint in einer Pressemitteilung von Kaiser Permanente klar. Denn wie auch immer man die Daten aufbereite – sie zeigten, dass „sowohl der systolische als auch der diastolische Druck wichtig“ ist.
„Es hat lange Kontroversen darüber gegeben, was mehr zu kardiovaskulären Erkrankungen beiträgt, der systolische oder der diastolische Blutdruck, oder beide“, erklärt Koautor Prof. Dr. Deepak L. Bhatt vom Brigham and Women’s Hospital Heart and Vascular Center, Boston, USA, in der Pressemitteilung. Die umfangreiche Analyse bestätige nun, dass beide Blutdruckwerte wichtig seien. Und dass ansonsten gesunde Menschen grundsätzlich niedrige Blutdruckwerte anstreben sollten.
Ein höherer diastolischer Wert tritt eher bei Jüngeren auf
In der multivariablen Cox-Regressionsanalyse war eine systolische Hypertonie mit einem Wert von 140 mmHg oder höher positiv mit dem kombinierten Endpunkt aus Herzinfarkt und Schlaganfall assoziiert: Die Hazard Ratio (HR) betrug 1,18 (95%-KI 1,17-1,18; p<0,001).
Das Gleiche zeigte sich auch für die diastolische Hypertonie mit einem Wert von 90 mmHg oder höher: Die HR betrug hier 1,06 (95%-KI 1,06-1,07; p<0,001).
Und auch als als untere Schwellenwerte 130 bzw. 80 mmHg eingesetzt wurden, blieb die HR bei 1,18 für den systolischen und bei 1,08 für den diastolischen Blutdruck.
Ein höherer diastolischer Wert tritt eher bei jüngeren Menschen auf, ein höherer systolischer Wert eher bei älteren Menschen, auch das bestätigt die umfangreiche Analyse. Ab einem Alter von 50 Jahren spielt der diastolische Druck eine eher untergeordnete Rolle, denn bei Älteren erlaubt der systolische Wert eine verlässlichere Aussage über das Risiko von Bluthochdruck-Folgen.
Aber auch wenn der systolische Wert – vor allem im höheren Alter – der entscheidendere ist, warnt Brück, den diastolischen Blutdruck außer Acht zu lassen, dies vor allem beim Menschen jüngeren und mittleren Alters.
Auch die Amplitude ist wichtig
Entscheidend sei zudem auch die Amplitude: „Patienten sind immer wieder überrascht, dass ein Blutdruck von 130 zu 70 mmHg mit einem höheren Risiko einher geht als ein Blutdruck von 130 zu 90“, sagt Brück. Doch ein starker Druckunterschied belaste die Blutgefäße stärker und lasse ihre Wände verhärten.
Sein persönlicher Rat: „In der Praxis lege ich – gestützt auf die erwähnten Arbeiten und auf die Tatsache, dass eine höhere Amplitude auch mit einem höheren Risiko verbunden ist, siehe Framingham-Studie – größeren Wert auf den systolischen Blutdruck, wobei ich schon auch immer versuche, beide Werte in den Zielbereich zu bringen.“
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: Große Daten-Analyse: Was ist wichtiger fürs kardiovaskuläre Risiko – der systolische oder der diastolische Blutdruck? - Medscape - 23. Jul 2019.
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