Riesige Meta-Analyse: 60 Millionen Studienteilnehmer – HPV-Impfung schafft Herdenimmunität

Dr. Susanna Kramarz

Interessenkonflikte

18. Juli 2019

„Zwingende Evidenz für eine substanzielle Wirkung der Impfung“ sehen die Autorinnen und Autoren der bisher größten Metaanalyse zur HPV-Impfung, die kürzlich im Lancet publiziert worden ist [1].

In dem systematischen Review sind 1.702 Publikationen beurteilt worden, 65 Publikationen mit einer Gesamtpopulation von über 60 Millionen Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurden letztlich in die Metaanalyse aufgenommen.

Das deutliche Ergebnis der Untersuchung aus Quebec, Kanada, die wegen ihrer Größe aus einem Fond der WHO unterstützt worden ist: Innerhalb von 5 bis 8 Jahren sinkt in der gesamten Altersgruppe, in der die Impfung durchgeführt wird, die Inzidenz von anogenitalen Warzen und von CIN2+-Läsionen, fortgeschrittenen intraepithelialen Neoplasien der Zervix, erheblich, und zwar nicht nur bei den geimpften Mädchen, sondern in der gesamten Altersgruppe.

Allerdings gab es für diese Erfolge 2 Voraussetzungen: Es mussten mindestens 50% der Altersgruppe geimpft sein, und zwar Jungen und Mädchen, und die Impfung musste jeweils für mehr als einen Jahrgang angeboten werden, so dass eine möglichst große Zahl an Jugendlichen erreicht wurde.

50% geimpft, 70% weniger Infektionen

Als Folge der Impfung gingen – im Querschnitt über alle Studien berechnet – innerhalb von 5 bis 8 Jahren in der Gruppe der 13- bis 19-jährigen Mädchen HPV-Infektionen mit den High-risk-Typen 16 und 18 im Durchschnitt um 83% zurück. Bei den 15- bis 19-jährigen Mädchen wurde das Auftreten von anogenitalen Warzen um 67% reduziert, von CIN2+-Läsionen um 51%.

In der Altersgruppe von 20 bis 24 Jahren war der Effekt für alle 3 Befunde jeweils um 20 bis 50% schwächer, in der Altersgruppe von 25 bis 29 Jahren um weitere 20%.

Als Ursache für den geringeren Schutzeffekt in den höheren Altersgruppen sehen die Autorinnen vor allem an, dass hier die HPV-Impfung im empfohlenen Zeitfenster noch nicht hinreichend eingeführt war, dass also der Anteil der durch die Impfung geschützten Mädchen und Frauen geringer war.

Bei einer hohen Impfrate – von den Autorinnen definiert als mindestens 50% – wurde eine Herdenimmunität sichtbar: Anogenitale Warzen bei Jungen und Mädchen gingen hier – über die gesamte Altersgruppe hinweg – um fast 90% zurück, dagegen nur um 44% bei Mädchen und 1% bei Jungen, wenn die Impfraten schlechter waren.

Auch die Diagnose CIN2+ sank in den Ländern mit einer hohen Durchimpfungsrate um 57%, bei schlechter Impfquote war kein Effekt zu sehen.

Das bedeutet, dass auch ungeimpfte Jugendliche und Erwachsene zunehmend vor einer Infektion geschützt waren. Bei den Jungen war der Rückgang der HPV-Infektionen ebenfalls deutlich, aber weniger ausgeprägt als bei den gleichaltrigen Mädchen, was damit zusammenhängt, dass die Impfung für Jungen nicht überall bereits lange genug eingeführt ist.

Prof. Dr. Silvia de Sanjosé, Seattle, USA, Past-Präsidentin der International Papillomavirus Society, kommentiert: „Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe können dabei helfen, effektive HPV-Strategien zu implementieren und Prioritäten festzulegen. Dazu gehören: eine jahrgangsübergreifende Impfung von Jungen und Mädchen und eine Ausweitung der Impf-Empfehlung auch für Erwachsene.“[2]

Weiter sagt sie: „Besonders für Länder mit beschränkten finanziellen Möglichkeiten kann es von Vorteil sein, ein zweistufiges statt einem dreistufigen Impfschema vorzusehen. Die Autoren betonen außerdem, dass wir unsere Anstrengungen verdoppeln müssen, um alle Hindernisse finanzieller und sonstiger Art für effektive HPV-Impfprogramme aus dem Weg zu räumen.“

Insgesamt lautet ihr Urteil: „Die HPV-Impfung könnte so ein Markenzeichen für erfolgreiche Krebsprävention des 21. Jahrhunderts werden.“

In Ländern, in denen im Rahmen von Schulprogrammen geimpft wird – so in Australien und Norwegen – liegt die Impfrate bei über 90%; in einer norwegischen Kohorten-Untersuchung sanken die Infektionen mit den HPV-Impf-Typen 6/11/16/18 bei den geimpften Jugendlichen innerhalb von wenigen Jahren um bis zu 90%, bei den ungeimpften Jugendlichen um 54% .

Benefit ist in Wirklichkeit doppelt so groß

In der Metaanalyse aus Kanada wurde lediglich nach anogenitalen Warzen und Neoplasien am Gebärmutterhals gesucht. Der Benefit ist aber wesentlich größer, weil Hoch-Risiko-HPV-Viren – teilweise nach jahrzehntelanger Latenz – auch Malignome der Vagina, der Vulva, am Anus und am Penisausgang auslösen können.

Zählt man alle diese Lokalisationen zusammen, dann erkranken allein in Deutschland über 10.000 Frauen und Männer jährlich an einem Malignom, das zum überwiegenden Anteil durch eine HPV-Infektion ausgelöst wurde, über 3.000 sterben an ihrer Erkrankung.

„Nach wie vor gehen wir davon aus, dass der Schutz vor Infektionen mit den geimpften HPV-Typen für die geimpften Personen praktisch vollständig ist, auch wenn wir das in der Praxis wegen der langen Latenz der Malignome mit Sicherheit erst in einigen Dekaden sagen können“, meint Dr. Michael Wojcinski, Leiter der AG Impfen im Berufsverband der Frauenärzte e.V..

 
Nach wie vor gehen wir davon aus, dass der Schutz vor Infektionen mit den geimpften HPV-Typen für die geimpften Personen praktisch vollständig ist. Dr. Michael Wojcinski
 

Mit besonderer Spannung werden derzeit die aktuellen Ergebnisse aus Deutschland erwartet, was die veränderten und – hoffentlich – verbesserten Impfraten angeht, nachdem die Impfung seit 2018 nicht nur für Mädchen, sondern auch für Jungen von 9 bis 14 Jahren empfohlen wird.

Allerdings wird die Auswertung der KV-Daten für 2018 durch das Robert-Koch-Institut (RKI) voraussichtlich frühestens zum Jahresende 2019 abgeschlossen sein. Die letzten Publikationen des Robert-Koch-Instituts beziehen sich noch auf Auswertungen aus 2017 mit einer Impfrate von 44,6% bei den Mädchen – und einer Impfrate von 0% bei den Jungen, zusammen also 22,3% und weit entfernt von dem Mindestziel, 50% der gesamten Altersgruppe durch die Impfung zu schützen.

Verkaufszahlen der Hersteller sind nicht ausreichend aussagefähig, weil aus ihnen nicht hervorgeht, wie viele Personen geimpft wurden, wie alt die Geimpften sind und ob es sich lediglich um Bevorratungen handelt.

80% der Eltern sind mit der HPV-Impfung einverstanden

Dass der Switch der HPV-Impfung von den Frauen- zu den Kinderärzten funktioniert haben könnte, bestätigt jedenfalls der Kinder- und Jugendarzt Dr. Martin Terhardt, Mitglied der Ständigen Impfkommission, im Gespräch mit Medscape: „Man kann wohl davon ausgehen, dass nach entsprechender Aufklärung über 80% der Eltern bereit sind, ihre Kinder gegen HPV impfen zu lassen. Es ist deutlich zu merken, dass sich die öffentliche Meinung über die Impfung in der letzten Zeit entspannt hat.“

 
Man kann wohl davon ausgehen, dass nach entsprechender Aufklärung über 80% der Eltern bereit sind, ihre Kinder gegen HPV impfen zu lassen. Dr. Martin Terhardt
 

Die Probleme mit der Impfung seien derzeit eher praktisch-organisatorisch: „Die Impfung wird meist anlässlich der U11 oder der J1 durchgeführt. In dieser Altersgruppe ist die Teilnahmerate an den Früh-Erkennungsuntersuchungen allgemein aber begrenzt, bzw. die Untersuchung U11 wird auch nicht von allen Krankenkassen bezahlt“, sagt er.

Und informiert weiter: „Außerdem gibt es immer wieder Lieferprobleme beim Impfstoff, mal sind die 10er-Packungen nicht lieferbar, mal die Einzeldosen, und auch die Bestellung des Impfstoffes ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. Am einfachsten wäre es, wenn die Impfung wie andere Impfungen auch über den Praxisbedarf mitbestellt werden könnte, aber die KVen bzw. Krankenkassen einige Bundesländer lassen das nach wie vor leider nicht zu.“

Schulimpfung – gern, aber wahrscheinlich unmöglich

Ob vielleicht eine Schulimpfung ähnlich wie in Australien eine Lösung wäre, vielleicht gemeinsam mit einer Tdap-Booster-Impfung? Dazu Terhardt: „Die Ständige Impfkommission (STIKO) würde eine Schulimpfung auf freiwilliger Basis, an der sicherlich die überwältigende Mehrheit aller Kinder und Jugendlichen teilnehmen würde, unbedingt begrüßen. Aber de facto wird der Öffentliche Gesundheitsdienst in Deutschland bis auf weiteres nicht in der Lage sein, eine solche Herausforderung personell und organisatorisc zu meistern.“
 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....