Gesetzentwurf zur Hebammenausbildung: Ab 2021 nur noch als Studium – Ärzteverbände fürchten Kreißsäle ohne Hebammen

Dr. Susanna Kramarz

Interessenkonflikte

17. Juli 2019

Seit langem streben die Hebammenverbände eine Vollakademisierung der Hebammenausbildung an. Ziel ist es, Hebammen ausschließlich durch ein duales Bachelorstudium mit 50% Praxisanteil auf den Beruf vorzubereiten und alle Hebammenschulen an den Krankenhäusern zu schließen.

Das ermögliche eine Angleichung an internationales Ausbildungsniveau, erlaube eine Tätigkeit im Kreißsaal auf Augenhöhe mit den ärztlichen Geburtshelfern und trage zur Senkung der Sectiorate bei, heißt es hier. Außerdem entspreche dies den Vorgaben der EU-Richtlinie 2005/36/EG, auf deren Umsetzung in Deutschland dringend gewartet werde.

Das Bundesgesundheitsministerium (BGM) hat vor kurzem einen Gesetzesentwurf für eine Novellierung der Hebammenausbildung vorgelegt, der einen zügigen Übergang in die Vollakademisierung vorsieht [1].

Schulabsolvent/innen mit mittlerer Reife und ohne Abitur sollen – so sieht es das Gesetz vor – künftig keinen direkten Zugang mehr zur Hebammenausbildung haben. Auch für erfahrene Hebammen soll eine Weiterqualifizierung nur über einen vorherigen Bachelorabschluss führen, gegebenenfalls mit partieller Anerkennung der Berufserfahrung.

Ab 2021 sollen in den Hebammenschulen keine neuen Auszubildenden mehr aufgenommen werden. Das Studium solle voll bezahlt werden, etwa entsprechend der bisherigen Hebammenausbildung. Und die Kompetenzen der Hebammen sollen entsprechend der europäischen Richtlinie:

  • auf eine selbständige, umfassende Betreuung der Schwangeren,

  • die Beratung zur Familienplanung,

  • die Leitung von Geburten einschließlich Beckenendlagen

  • und die Untersuchung und Pflege von Neugeborenen und Säuglingen ausgeweitet werden.

Anfang Juni 2019 hat sich in erster Lesung bereits der Bundestag mit dem Thema befasst; am 26.Juni 2019 folgte eine öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Von den Abgeordneten aller Parteien wurden hier Fragen gestellt nach dem Praxisanteil im Studium, der Qualifikation der künftig benötigten Hochschuldozenten, nach den strukturellen Bausteinen auf dem Weg zur Gründung weiterer Studiengänge und danach, ob sich erfahrene Hebammen künftig noch weiterqualifizieren können, wenn ihnen der Bachelorabschluss fehlt.

Neben den Vertreter/innen der Hebammenverbände, der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaften, der GKV, der Gewerkschaften und der Krankenhausträger waren auch ein Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und ein Vorstandsmitglied des Berufsverbandes der Frauenärzte (BVF) auf Einladung des Ausschusses anwesend, außerdem Prof. Dr. Dr. Frank Louwen, Vizepräsident der DGGG und Prof. Dr. Ulrich Karck, Klinikum Stuttgart, jeweils als Einzel-Sachverständige.

Bei Anhörungen in den Bundestagsausschüssen werden die geladenen Experten von den Abgeordneten befragt und können dann ihre Positionen darlegen. Welche der Experten befragt werden, das entscheiden die Abgeordneten.

Im Verlauf der 2-stündigen Anhörung am 26. Juni 2019 wurde nicht eine einzige Frage an die Vertreter von Bundesärztekammer, DGGG und BVF gestellt, nur jeweils eine Frage an die beiden ärztlichen Einzel-Sachverständigen. Damit hatten diejenigen, die 99% der Schwangerenvorsorge und der Geburten betreuen, weniger als 5 Minuten Redezeit [2].

Abgeordnete haben kein Interesse an der Situation im Kreißsaal

„Das Ministerium hat bei dem Gesetzesentwurf erhebliche handwerkliche Fehler gemacht. Darauf haben wir in unseren Stellungnahmen mit aller Deutlichkeit hingewiesen. Jetzt haben aber auch noch die Abgeordneten gezeigt, dass sie an unserer Expertise nicht das geringste Interesse haben, ja dass sie letztlich die Situation im Kreißsaal wenig interessiert“, beschreibt Prof. Dr. Anton Scharl, Präsident der DGGG, die Situation.

 
In wenigen Jahren ist der Zusammenbruch der Geburtshilfe in Deutschland zu befürchten, wenn das Gesetz so umgesetzt werden sollte. Prof. Dr. Anton Scharl
 

„In wenigen Jahren ist der Zusammenbruch der Geburtshilfe in Deutschland zu befürchten, wenn das Gesetz so umgesetzt werden sollte, wie es jetzt vorgelegt ist. Und sowohl das Bundegesundheitsministerium als auch die Bundestagsabgeordneten geben einfach nur Vollgas, statt unsere Bedenken auch nur ansatzweise zur Kenntnis zu nehmen“, kritisiert er.

Obwohl die DGGG grundsätzlich die Möglichkeit eines Studiums der Hebammenwissenschaften unterstützt, ist die Liste der Kritikpunkte lang; DGGG und BVF haben darauf in ihren Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf hingewiesen.

So sieht der Gesetzesentwurf entsprechend der EU-Richtlinie eine umfassende Schwangerenbetreuung, eine selbständige Leitung von Geburten bis hin zur Beckenendlage und die Untersuchung und Pflege von Neugeborenen und Säuglingen durch Hebammen vor. Damit würden die Kompetenzen der Hebammen nach einem 7-semestrigen Bachelorstudium weit in Gebiete ausgedehnt, für die in Deutschland die frauen- bzw. kinderärztliche Facharztausbildung bzw. eine Ausbildung zur Kinderkrankenpflege obligatorisch ist.

EU-Richtlinie sieht keine Schließung von Hebammenschulen vor

Der wichtigste Kritikpunkt betrifft das Gesetzesvorhaben als solches. Denn die EU-Richtlinie 2005/36/EG sieht zwar vor, dass die Hebammen-Ausbildung international vergleichbar sein muss und grundsätzlich eine 12-jährige Schulbildung voraussetzt.

„Diese Richtlinie regelt aber nur die Ausbildung für Hebammen, die im Ausland tätig sein wollen, und betont ausdrücklich, dass es gar nicht beabsichtigt sei, einen einheitlichen Ausbildungsgang für Hebammen vorzuschreiben. Im Gegenteil wird in Artikel 40.2.a ausdrücklich erwähnt, dass eine zehnjährige Schulausbildung für den Beginn der Ausbildung ausreicht.“, so Scharl.

 
Es wäre also völlig in Ordnung, wie bisher Hebammenschulen für die jungen Menschen vorzuhalten, die eine schulische Ausbildung bevorzugen. Prof. Dr. Anton Scharl
 

„Es wäre also völlig in Ordnung, wie bisher Hebammenschulen für die jungen Menschen vorzuhalten, die eine schulische Ausbildung bevorzugen und keine Absicht haben, ins europäische Ausland zu wechseln. Studiengänge sind wichtig für diejenigen, die den wissenschaftlichen Ansatz suchen, sich primär oder sekundär nach der schulischen Ausbildung akademisch qualifizieren oder später ins europäische Ausland gehen wollen.“

Weiter sollen alle Hebammenschulen bereits ab 2021 keine neuen Schüler/innen mehr aufnehmen. Bis dahin sollen zusätzlich zu den bisherigen 16 Hochschul-Standorten, die ein Bachelorstudium zur Hebamme/Entbindungspfleger anbieten, und die derzeit zwischen 200 und 300 Absolvent/innen jährlich hervorbringen, so viele neue Studienplätze geschaffen sein, dass die wegfallenden 600 bis 700 Ausbildungsplätze an den Hebammenschulen kompensiert werden.

 
Es fehlen Finanzierungskonzepte und auch Interessentinnen und Interessenten. Prof. Dr. Dr. Frank Louwen
 

„Es hat schon in den vergangenen 10 Jahren nicht in ausreichendem Maße funktioniert, eine adäquate Zahl an Studierenden pro Jahr auszubilden“, so Louwen. „Dazu fehlt nicht nur geeignetes, als Hochschuldozenten qualifiziertes, promoviertes und habilitiertes Lehrpersonal, sondern es fehlen Finanzierungskonzepte und auch Interessentinnen und Interessenten. Studiengänge allein scheinen zumindest derzeit nicht ausreichend attraktiv für angehende Hebammen zu sein.“

Ohne Abitur künftig keine Ausbildung zur Hebamme vorgesehen

Die DGGG rechnet vor: Etwa 30 bis 40% der Schüler/innen an den Hebammenschulen haben derzeit kein Abitur. Für sie wäre die Ausbildung zur Hebamme künftig versperrt, wenn sie nicht den Umweg über eine Pflegeausbildung mit anschließendem Bachelorstudium gehen wollen.

In den Hebammenschulen kommen derzeit auf einen Ausbildungsplatz zwischen 10 und 70 Interessent/innen. Die 16 Hochschul-Studiengänge, die pro Jahr etwa 200 bis 300 Studienabgänger/innen entlassen, kämpfen dagegen mit Vakanzen, die auch durch diejenigen, die an den Hebammenschulen abgelehnt werden, nicht aufgefüllt werden können.

„Wenn die Hebammenschulen geschlossen werden, dann werden bereits im Jahr 2021 bis zu 500 oder mehr Auszubildende für den Hebammenberuf fehlen, das ist ein halber Jahrgang“, erläutert Louwen. „Außerdem sollen die Studierenden fast 40% weniger Zeit in ihrer Ausbildung im Kreißsaal verbringen als bisher, die Hebammenschüler/innen würden also von Anfang an ebenfalls in der Kreißsaalbetreuung fehlen.“

Weiter bemängelt er: „Und zuletzt zeigt auch noch die Erfahrung, dass von den Hebammen, die das Studium absolviert haben, bislang nur wenige in den Kreißsaal gehen; die meisten suchen sich andere Aufgaben. Eine Vollakademisierung könnte mittelfristig die Zahl der Hebammen im Kreißsaal halbieren.“

 
Eine Vollakademisierung könnte mittelfristig die Zahl der Hebammen im Kreißsaal halbieren. Prof. Dr. Dr. Frank Louwen
 

Ignoranz der Politik

Entsetzt zeigt sich die Fachgesellschaft über die Ignoranz der Politik. „Wir haben mehrfach in Stellungnahmen und Positionierungen darauf hingewiesen, dass die  Umsetzung der verpflichtenden Akademisierung, so wie es jetzt geplant ist, in den Kreißsälen die Personal-Engpässe nicht beseitigen wird, sondern dass im Gegenteil, insbesondere auch wegen der geplanten, überstürzten Abschaltung der Hebammenschulen ein Zusammenbruch der Geburtshilfe droht“, so der Präsident der DGGG.

DGGG und BVF haben sich deshalb vor wenigen Tagen gemeinsam in einem Offenen Brief an alle Bundestagsabgeordneten gewandt mit einem Appell [3] : „Die deutschen Frauenärzte fordern die Politik auf, ihrem Auftrag nachzukommen: Die Expertise von Experten anzuhören und nicht vorbestellte Antworten entgegen zu nehmen (…) Ein Nebeneinander der bewährten Hebammenschulen und des Hebammenstudiums an Fachhochschulen, Hochschulen und Universitäten ist für die nächste Dekade der einzig sinnvolle und funktionierende Weg, die Versorgung von Schwangeren und Gebärenden durch qualifizierte Hebammen sicherzustellen.“

 

Kommentar

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