Fibromyalgie: Studie liefert Hinweise auf Bedeutung des Darm-Mikrobioms – Ernährung als therapeutischer Ansatz?

Deborah Brauser

Interessenkonflikte

15. Juli 2019

Patienten mit Fibromyalgie haben anscheinend spezifische Veränderungen in ihrem Mikrobiom im Vergleich zu Gesunden, wie aktuelle Forschungsergebnisse nahelegen. Die Studie ist in der Zeitschrift Pain veröffentlicht [1].

Als ersten Hinweis für die Assoziation von Fibromyalgie und Darm-Mikrobiom fanden die Forscher heraus, dass erkrankte Frauen im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen signifikante Unterschiede bei 19 Arten von Darmbakterien aufwiesen. Zudem hatten sie höhere Serumspiegel an Butyrat und niedrigere Spiegel an Propionat.

Darüber hinaus erreichten Algorithmen für maschinelles Lernen, allein basierend auf der Mikrobiom-Zusammensetzung, eine diagnostische Vorhersage-Genauigkeit der Fibromyalgie von 87 bis 88%.

Dr. Amir Minerbi

„Das ist der erste Nachweis einer Veränderung des Darm-Mikrobioms bei nicht-viszeralem Schmerz“, schreiben die Forscher. „Wir haben eine Korrelation zwischen der Zusammensetzung und Funktion des Darm-Mikrobioms und Fibromyalgie nachgewiesen, aber es bleiben noch einige Fragen offen“, räumt Dr. Amir Minerbi, Alan Edwards Pain Management Unit, McGill University Health Center, Montreal, Kanada, gegenüber Medscape ein.

 
Das ist der erste Nachweis einer Veränderung des Darm-Mikrobioms bei nicht-viszeralem Schmerz. Dr. Amir Minerbi
 

Zu den Fragen gehöre auch, ob die Befunde spezifisch für Fibromyalgie seien oder ob sie auch für chronische Schmerzen allgemein übertragbar seien – und ob all das bei der Diagnose hilfreich sein könne, sagt Minerbi.

„Wie wissen, dass Fibromyalgie zu diagnostizieren eine große Herausforderung ist. Daher könnte ein diagnostisches Werkzeug, das auf dem Darm-Mikrobiom basiert, eine sehr nützlich Hilfe für Kliniker sein. Das öffnet die Tür für zukünftige Studien und für die Zukunft der Forschung zu chronischen Schmerzen insgesamt“, fügte er hinzu.

Unklare Pathophysiologie

Die Pathophysiologie der Fibromyalgie ist nicht gut verstanden, wie die Forscher bemerken. Es gibt „zahlreiche Hypothesen wie die von der gestörten zentralnervösen nozizeptiven Verarbeitung, veränderter peripherer Nozizeption oder systemischer Entzündung“, so die Wissenschaftler.

Als Arzt müsse man sich oft auf die von den Patienten selbst beschriebenen Symptome verlassen, was oft zu einer falschen Diagnose führen könne. Die kanadischen Forscher zitieren eine aktuelle retrospektive Kohortenstudie, die eine Rate von 66 bis 73% an falsch positiven Diagnosen für Fibromyalgie gefunden hat.  

„Die Hinweise nehmen zu, dass das Darm-Mikrobiom eine kritische Rolle bei einer Reihe von Krankheiten spielt, inklusive metabolischen, kardiovaskulären, onkologischen, neurologischen und psychiatrischen“, schreiben die Autoren. Dennoch: „Die Daten zur Rolle des Darm-Mikrobioms in der Pathophysiologie von chronischem Schmerz außerhalb des Gastrointestinaltrakts sind noch spärlich.“

„Einige der Regelkreise, die bei psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen eine Rolle spielen, sind auch bei chronischen Schmerzen involviert. Das war der Grund, warum wir die Veränderungen des Mikrobioms bei Patienten mit chronischen Schmerzen untersucht haben“, sagt Minerbi.Als Arzt müsse man sich oft auf die von den Patienten selbst beschriebenen Symptome verlassen, was oft zu einer falschen Diagnose führen könne. Die kanadischen Forscher zitieren eine aktuelle retrospektive Kohortenstudie, die eine Rate von 66 bis 73% an falsch positiven Diagnosen für Fibromyalgie gefunden hat.  

„Die Hinweise nehmen zu, dass das Darm-Mikrobiom eine kritische Rolle bei einer Reihe von Krankheiten spielt, inklusive metabolischen, kardiovaskulären, onkologischen, neurologischen und psychiatrischen“, schreiben die Autoren. Dennoch: „Die Daten zur Rolle des Darm-Mikrobioms in der Pathophysiologie von chronischem Schmerz außerhalb des Gastrointestinaltrakts sind noch spärlich.“

„Einige der Regelkreise, die bei psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen eine Rolle spielen, sind auch bei chronischen Schmerzen involviert. Das war der Grund, warum wir die Veränderungen des Mikrobioms bei Patienten mit chronischen Schmerzen untersucht haben“, sagt Minerbi.

77 Frauen mit Fibromyalgie untersucht

Zwischen Oktober 2017 und Juli 2018 nahmen die Forscher 77 Frauen mit Fibromyalgie aus Montreal in ihre Studie auf. Sie waren im Alter zwischen 30 und 60 Jahren (Altersdurchschnitt 46 Jahre). Im Mittel lag ihre Diagnose 12 Jahre zurück.

3 Gruppen von Probanden wurden zudem als gesunde Kontrollgruppen aufgenommen: weibliche Verwandte ersten Grades als genetische Kontrolle (n = 11), zum Haushalt der Patientinnen gehörende Personen (n = 20) und nicht verwandte gesunde Frauen im selben Alter wie die Patientinnen (n = 48).

Zusätzlich zur ärztlichen Befragung und weiteren Untersuchungen interviewte ein Ernährungsberater die Teilnehmer und unterwies sie in der Anwendung des 24-Stunden-Ernährungsfragebogens des National Institutes of Health.

Es gab keine signifikanten Unterschiede bei der Aufnahme von Vitaminen, Mineralien, Alkohol, Koffein, Zucker, Fettsäuren und Ballaststoffen zwischen den Gruppen. Der Qualitäts-Score der Ernährung insgesamt war ebenfalls nicht signifikant unterschiedlich.

Die Teilnehmer erhielten den Gut OM-200 kit (DNA Genotek), um Stuhlproben zu nehmen und einzufrieren. Die gefrorenen Proben wurden innerhalb von 10 Tagen in die Studieneinrichtung geliefert. Aus den Proben wurde DNS extrahiert.

 
Bemerkenswert ist, dass die Forscher maschinelles Lernen nutzten um zu zeigen, dass es ausreichen kann, den Mikrobiom-Status zu kennen, um zwischen Patienten mit Fibromyalgie und gesunden Kontrollen zu unterscheiden. Dr. Robert Bonakdar
 

Mittels Genamplifikation der 16S ribosomalen RNA (rRNA) und Sequenzierung des ganzen Genoms analysierten die Forscher das Mikrobiom der 77 Patientinnen und der 79 Kontroll-Teilnehmer.

Signifikante Unterschiede in der Zusammensetzung des Darm-Mikobioms

Es zeigte sich eine „relative Ähnlichkeit“ hinsichtlich der Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms zwischen den Patientinnen und den Kontrollgruppen. Jedoch fanden sich bei genauerer Analyse signifikante Unterschiede bei der Zusammensetzung des Mikrobioms.

19 Bakteieren-Arten unterschieden sich signifikant zwischen den Patientinnen und den nicht verwandten Studienteilnehmerinnen. Unter denen, die in geringerer Häufigkeit vorkamen, waren Faecalibacterium prausnitzii, Bacteroides uniformis, Prevotella copri und Blautia faecis.

Faecalibacterium prausnitzii ist ein Butyrat-produzierendes Bakterium. Es wurde bereits gezeigt, dass es bei vielen intestinalen Erkrankungen reduziert vorkommt. Veränderungen im Vorkommen von Bacteroides uniformis, Prevotella copri sind bereits mit Arthritis in Zusammenhang gebracht worden. Bacteroides uniformis wurde darüber hinaus in arthritischem Gelenk-Gewebe nachgewiesen und Prevotella copri in Synovialflüssigkeit bei rheumatoider Arthritis.

Allerdings wurden diese Arten bei Patienten mit Fibromyalgie in geringerer Menge gefunden. Dies stellt unter anderem die Zuordnung der Fibromyalgie zu den rheumatischen Erkrankungen infrage, meinen die Forscher.

Zu den Arten, die bei Patienten mit Fibromyalgie in größerer Menge vorkamen, zählten:

  • Intestinimonas butyriciproducens,

  • Flavonifractor plautii,

  • Butyricoccus desmolans,

  • Eisenbergiella tayi,

  • Eisenbergiella massiliensis und 

  • Parabacteroides merdae.

Der Serumgehalt an Butyl-Säure war signifikant höher und der an Propion-Säure war niedriger bei den Patientinnen im Vergleich zur nicht verwandten Kontrollgruppe (p = 0,005 bzw. 0,006). Sie hatten zudem einen nicht signifikant geringeren Gehalt an Isobutyl-Säure im Serum (p = 0,056).

Darüber hinaus gab es eine signifikante Korrelation zwischen der festgestellten Schwere der Erkrankung bezüglich Schmerzintensität und Verteilung, Fatique und kognitiven Symptomen und der Menge bestimmter Bakterienarten (Benjamini-Hochberg Falscherkennungsrate [FDR] < 0,05).

Außerdem zeigte „ein LASSO Algorithmus für maschinelles Lernen eine hohe Vorhersage-Genauigkeit nur aufgrund der Mikrobiom-Charakteristika“, berichten die Autoren. Dies resultierte in einer allgemeinen Vorhersage-Genauigkeit (unter Nutzung der Area Under the Curve/Receiver-Operating Characteristics (AUC-ROC) von 87,2%.

Den Weg für weitere Forschung bereitet

Die Studie „ebnet den Weg für weitere Untersuchungen, um die Pathophysiologie der Fibromyalgie aufzuklären, diagnostische Hilfsmittel zu entwickeln und wahrscheinlich neue Behandlungsmöglichkeiten zu erforschen“, schreiben die Forscher.

Minerbi merkt an, dass sowohl die Identität als auch die Funktion der Bakterienarten, die sich zwischen den Gruppen unterscheiden, überraschend waren. „Einige von ihnen sind in sehr interessante Prozesse involviert, die eine Rolle bei Fatigue, Schlafproblemen, kognitiven Dysfunktionen und chronischen Schmerzen spielen – alles Symptome, die wir auch bei Fibromyalgie finden“, sagt er. Die Forscher wollen nun andere chronische Schmerzzustände analysieren „und sehen, ob wir ähnliche Veränderungen im Darm-Mikrobiom finden können“.

 
Die Haupt-Botschaft für Kliniker ist, dass wir bei unseren Patienten, insbesondere denen mit komplexeren, therapieresistenten Schmerzen, an den Darm denken sollten. Dr. Robert Bonakdar
 

„Darüber hinaus ist für Patienten die wichtigste Frage, ob wir das, was wir herausgefunden haben, zu Behandlung von Fibromyalgie und zur Verbesserung der Lebensqualität nutzen können“, sagt Minerbi. Die Forschungsergebnisse seien für Patienten aber auch psychologisch von Bedeutung. Weil Fibromyalgie so schwer zu diagnostizieren ist und auf den Beschreibungen der Patienten basiert und nicht auf klinischen Untersuchungen, „glauben viele Menschen nicht, dass Fibromyalgie überhaupt existiert. Mitunter bezweifeln deshalb Familienangehörige, Freunde und selbst Ärzte, dass die Patienten tatsächlich krank sind. Daher sind unsere Erkenntnisse wichtig“, erläutert der Forscher.

Ernährungsumstellung gegen den Schmerz?

Diese Studie zum Zusammenhang von Mikrobiom und Schmerz „ist eine der besten, die ich dazu je gesehen habe“, kommentiert Dr. Robert Bonakdar, Direktor Pain Management am Scripps Center für Integrative Medizin, La Jolla, USA, gegenüber Medscape.

Seit einiger Zeit sei bekannt, dass Veränderungen des Mikrobioms verschiedene Formen des Schmerzes beeinflussen könnten, darunter entzündliche Arthritis und viszerale Schmerzsyndrome wie das chronische Beckenschmerz-Syndrom, sagt Bonakdar.

„Diese Studie fand einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Menge verschiedener Bakterienarten und der Schmerzintensität sowie auch mit Fatigue und kognitiven Dysfunktionen wie sie gewöhnlich bei Fibromyalgie gefunden werden. Speziell bemerkenswert ist, dass die Forscher maschinelles Lernen nutzten um zu zeigen, dass es ausreichen kann, den Mikrobiom-Status zu kennen, um zwischen Patienten mit Fibromyalgie und gesunden Kontrollen zu unterscheiden“, sagt Bonakdar, der nicht an den Forschungsarbeiten beteiligt war.

Dr. Robert Bonakdar

„Diese Ergebnisse könnten teilweise erklären, warum Ernährungskonzepte wie eine vermehrte Aufnahme von Polyphenolen durch Obst und Gemüse die Symptome von Fibromyalgie und die Lebensqualität verbessern können“, sagt er weiter. Dies sei in einer Studie kürzlich nachgewiesen worden. Bonakdar ist der frühere Präsident der American Academy of Pain Management (AAPM). Auf dem AAPM 2016 Annual Meeting sprach er darüber, wie sich über Ernährung Schmerzen beeinflussen lassen.

Insgesamt sei dieses Forschungsgebiet wichtig für Ärzte, „weil es in Zukunft Diagnosemöglichkeiten für schwer diagnostizierbare Erkrankungen wie Fibromyalgie liefern könnte. Eine Mikrobiom-Signatur zu haben, erlaubt es Klinikern zu verstehen, in welchem Ausmaß der Darm die Erkrankung fördert und ob geplante Maßnahmen wie Diät, Prä- und Probiotika ein erfolgversprechender Ansatz sein könnten“, erläutert Bonakdar.

Er weist auch darauf hin, dass Ärzte mit Interventionen wie Stuhltransplantationen zwar bei entzündlichen Darmerkrankungen bereits Erfahrungen haben. „Es ist aber faszinierend darüber nachzudenken, mit dieser Methode zukünftig auch Erkrankungen wie Fibromyalgie zu behandeln, die in Zusammenhang mit der Darm-Hirn-Achse stehen.“

Er merkte an, dass es derzeit noch mehr Fragen als Antworten bei der Nutzung des Mikrobioms für das Schmerz-Management gibt. „Aber die Haupt-Botschaft für Kliniker ist, dass wir bei unseren Patienten, insbesondere denen mit komplexeren, therapieresistenten Schmerzen, an den Darm denken sollten. Auch wenn nicht alle Antworten dort zu finden sind, so wissen wir doch, dass der Darm involviert ist – durch Ernährung, Stress, Medikamente und den Krankheitsprozess selbst“, sagt Bonakdar.

„Abgesehen davon ist die Empfehlung für eine Ernährung mit höherem Ballaststoff und Polyphenol-Gehalt eine Win-win-Situation um den Darm zu unterstützen, bis weitere Studien die Forschungsergebnisse bestätigen“, resümiert Bonakdar.

Dieser Artikel wurde von Bettina Micka aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
 

Kommentar

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