„Straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung“: BGH-Urteil entlastet Ärzte, stößt aber auch auf Kritik

Christian Beneker 

Interessenkonflikte

10. Juli 2019

Ärzte dürfen suizidwillige Patienten begleiten und müssen sie nicht retten. Voraussetzung: Die Ärzte haben sich davon überzeugt, dass die sterbewilligen Patienten eigenverantwortlich und wohlüberlegt den Suizid wünschen und vollziehen.

Mit dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof (BGH) 2 Ärzte von dem Vorwurf freigesprochen, „sich in den Jahren 2012 bzw. 2013 durch die Unterstützung von Selbsttötungen sowie das Unterlassen von Maßnahmen zur Rettung der bewusstlosen Suizidentinnen wegen Tötungsdelikten und unterlassener Hilfeleistung strafbar gemacht zu haben“, so das Gericht.

Mit ihrem Urteil folgten die Leipziger Richter den Entscheidungen der Landgerichte in Hamburg und Berlin. Auch sie hatten die beiden Ärzte frei gesprochen.

Dr. Klaus Reinhardt

Das Urteil trifft auf viel Zustimmung, etwa vonseiten der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, aber es trifft auch auf Widerspruch. So hat sich die Bundesärztekammer gegen die Entscheidung des Gerichts positioniert. BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt bezeichnete es als „fatal“, wenn die Bevölkerung erwarten könne, einen ärztlich assistierten Suizid beanspruchen zu können.

„Straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung“

Worum ging es?

In einem Fall in Hamburg wollten 2 Freundinnen im Alter von 85 und 81 Jahren sterben. Sie litten an schweren, aber nicht lebensgefährlichen Erkrankungen, die ihre Handlungsmöglichkeiten zunehmend einschränkten, so das Gericht.

Ein Sterbehilfeverein wollte ihnen nur dann assistieren, wenn sie ihre Einsichts- und Urteilsfähigkeit belegen konnten. Das taten sie mit einem neurologisch-psychiatrischen Gutachten, das der angeklagte Arzt verfasste, ein Neurologe und Psychiater aus Westfalen-Lippe. „Er hatte an der Festigkeit und Wohlerwogenheit der Suizidwünsche keine Zweifel“, so das Gericht.

Der Arzt blieb auch bei den beiden Frauen, während und nachdem sie die tödlichen Medikamente eingenommen hatten und er unternahm auch keine Rettungsversuche, nachdem die beiden Frauen bewusstlos geworden waren.

Die Richter erklärten, die Tatherrschaft sei stets bei den beiden Frauen geblieben. Weil der Arzt wusste, dass sie aus freien Stücken sterben wollten, sei er „nicht zu ihrer Rettung verpflichtet gewesen“, so die Richter. Auch sei nicht erkennbar gewesen, dass die Frauen kurz vor ihrem Tod ihren Willen geändert hätten.

 
Hilfe zur Selbsttötung ist und bleibt keine ärztliche Aufgabe. Das Sterben lässt sich nicht in juristische Kategorien einteilen. Dr. Theodor Windhorst
 

Im Berliner Fall litt eine 44 Jahre alte Frau an einer chronischen, aber nicht lebensbedrohlichen Krankheit. Seit ihrer Jugend verursachte das Leiden starke krampfartige Schmerzen. Sie bat ihren Hausarzt um Hilfe beim Sterben, nachdem bereits mehrere Suizid-Versuche gescheitert waren.

Der Arzt verschaffte der Patientin Zugang zu den tödlichen Medikamenten (einem Schlafmittel, das die Frau in Überdosis einnahm) und betreute die Sterbende, wie von ihr gewünscht, während des zweieinhalb Tage dauernden Sterbens.

Hier erklärten die Richter des BGH, der Hausarzt habe den Tod der Frau nicht abwenden müssen, weil sie ihr Selbstbestimmungsrecht freiverantwortlich ausgeübt habe. Dieser Umstand habe ihn von seiner hausärztlichen Schutzpflicht des Patientenlebens entbunden. Auch die Bereitstellung der Medikamente stelle sich als „straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung dar“, so der BGH.

Allerdings schreiben die Richter auch: Dass die Angeklagten mit ihrem Nicht-Handeln „möglicherweise ärztliche Berufspflichten verletzt haben, dies ist aber für die Strafbarkeit ihres Verhaltens im Ergebnis nicht vor Relevanz“.

Drohen nun berufsrechtlich Strafen?

Das Urteil rief unterschiedliches Echo hervor. Die Ärztekammern als Hüterinnen der Berufsordnungen sehen mit dem Urteil die ärztliche Aufgabe beschädigt. Dr. Theodor Windhorst, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, kritisiert die Entscheidung. „Hilfe zur Selbsttötung ist und bleibt keine ärztliche Aufgabe. Das Sterben lässt sich nicht in juristische Kategorien einteilen.“

Jeder Arzt sei ein Sterbebegleiter, der seine Patienten auch in der Stunde der Not nicht allein lasse. Aber kein Arzt sei ein „Suizidunterstützer“, so Windhorst. Der Kammerpräsident zweifelt daran, dass der Wille etwa von depressiven Patienten immer so klar ist, dass sie sich eigenverantwortlich zum Suizid entscheiden können. Und: „Wegschauen darf nicht die Grundlage des Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnisses sein.“

Bevor aber berufsrechtliche Strafen greifen würden, müsse die Kammer die Akten des Verfahrens lesen, sagt Volker Heiliger, Sprecher der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Denn die Kammer selbst habe keine Ermittlungsbefugnis und dürfe deshalb nur den so genannten „berufsrechtlichen Überhang“ prüfen. Sei das Verhalten des Arztes berufsrechtlich relevant gewesen, so drohten ihm theoretisch Strafen von einer Rüge bis hin zum Entzug der Approbation, sagt Heiliger.

Aus der Berliner Ärztekammer (ÄKB) hörte man zunächst weder Kommentare noch Hinweise auf ein mögliches berufsrechtliches Verfahren. Man müsse warten bis das Urteil geprüft ist und werde sich dann äußern, hieß es bei der ÄKB.

Sterbewunsch und Alternativen genau prüfen

Anders die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und ihr Präsident, Prof. Dr. Lukas Radbruch. Radbruch begrüßt die Entscheidung des BGH. Es wäre widersinnig „wenn der Arzt weiß, dass der Patient sterben möchte und lebenserhaltende Behandlungen ablehnt, und trotzdem diese Behandlungen durchführen müsste“, so Radbruch.

 
Wegschauen darf nicht die Grundlage des Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnisses sein. Dr. Theodor Windhorst
 

Trotzdem erwarteten Patienten mit Sterbewunsch vom Arzt auch Alternativvorschläge, so Radbruch. Sie müssten ebenso genau geprüft werden, wie der Sterbewunsch selber. Hierzu gehörten palliativmedizinische Angebote einschließlich einer psychosozialen und gegebenenfalls seelsorgerischen Begleitung „sowie Möglichkeiten der Therapiebegrenzung und, im Falle einer entsprechenden Indikation, auch die Möglichkeit einer palliativen Sedierung“, so die DGP

Das Urteil der Leipziger BGH-Richter gebe den Ärzten nun Sicherheit in der Begleitung Sterbender, resümiert die DGP: „Sie töten nicht, wenn sie in den fraglichen Situationen das Leben nicht erhalten.“
 

Kommentar

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