Auch Erwachsene mittleren und höheren Alters können wohl noch an zusätzlicher Lebenszeit gewinnen, wenn sie sich mehr bewegen – dies unabhängig davon, ob sie bereits früher körperlich aktiv oder bislang eher ein Couch-Potato waren. Und: Dies gilt nicht nur für gesunde Menschen, sondern auch für Kranke, die z.B. bereits an Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden.
Dies ist die Botschaft einer bevölkerungsbasierten Kohortenstudie, über die Alexander Mok von der University of Cambridge, School of Clinical Medicine, zusammen mit Kollegen im BMJ berichtet [1].
„Die Arbeit überzeugt vor allem durch die große Zahl an Teilnehmern und durch das longitudinale Design“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Ahrens im Gespräch mit Medscape. Er arbeitet an der Abteilung Epidemiologische Methoden und Ursachenforschung des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS, Bremen. „Als Schwäche ist zu bewerten, dass die körperliche Aktivität nur per Fragebogen erfasst worden ist.“
Besser geeignet, um das Bewegungsniveau, beispielsweise eine Woche lang, zu erfassen, seien Schrittzähler oder Akzelerometer (Beschleunigungssensoren). In der Praxis könne man dies bei einer derart großen Kohorte aber kaum realisieren, so der Experte weiter.
Zu den Ergebnissen sagt Ahrens, zwar sei der gesundheitsfördernde Effekt körperlicher Aktivität schon lange bekannt. „Bislang gab es aber kaum quantitative Daten, und genau das haben die Autoren hier versucht.“ Es sei hierbei auch nicht bei Einzelmessungen geblieben, vielmehr habe man in der Studie auch Veränderungen der Aktivität erfasst.
„Als wichtige Public-Health-Botschaft bleibt, dass man auch im höheren Alter sein Sterberisiko noch günstig beeinflussen kann, und dass man durch zusätzliche Aktivität einen weiteren Benefit hat“, so Ahrens. Die von Mok und seinen Kollegen ermittelte Dosis-Effekt-Beziehung unterstütze, dass es sich um einen kausalen Zusammenhang handle.
Bisherige Studien liefern nur unvollständige Informationen
„Körperliche Aktivität ist bekanntlich mit einem geringeren Risiko für Todesfälle, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmte Krebsarten verbunden“, schreiben Mok und seine Kollegen. Ein Großteil dieses Wissens ergebe sich jedoch aus Beobachtungsstudien, in denen Sport und Bewegung nur zu einem Zeitpunkt, meist zu Studienbeginn, erfasst worden sei. Die entsprechenden Daten zur Morbidität und Mortalität kämen dann im Laufe der Studie dazu.
Die Autoren ergänzen: „Von 1975 bis 2016 haben über 90 Prozent aller epidemiologischen Untersuchungen zu körperlicher Aktivität und Mortalität nur eine einzige Bewertung der körperlichen Aktivität zu Studienbeginn vorgenommen.“ Dies sei eine entscheidende Schwäche, wie sie konstatieren, denn das Ausmaß körperlicher Aktivität verändere sich häufig im Laufe eines Lebens.
Bislang hätten aber nur wenige Studien Bewegungsprofile bzw. sonstige Lebensstil-Faktoren engmaschig erfasst – und wenn, dann oft bei vergleichsweise kleinen Teilnehmerzahlen.
Kohortenstudie mit knapp 15.000 Teilnehmern
Diese Wissenslücken wollten die Forscher nun mit ihrer bevölkerungsbasierten Kohortenstudie schließen. Sie rekrutierten 14.599 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition-(EPIC-)Norfolk-Kohorte. Deren Alter lag zwischen 40 und 79 Jahren.
Zu Studienbeginn (1993-1997) bis 2004 erfassten die Forscher regelmäßig Lebensstil-Einflüsse bzw. Risikofaktoren. Daten zur Mortalität wurden bis 2016 erfasst. Der Median des Follow-ups lag bei 12,5 Jahren.
Anhand von Fragebögen bestimmten Mok und seine Kollegen den Energieverbrauch durch körperliche Aktivität (Physical activity energy expenditure, PAEE). Anhand bekannter Daten kalkulierten sie mit einem statistischen Modellierungsverfahren aus PAEE-Werten die körperliche Aktivität sowie die Herzfrequenz in Ruhe.
Während der Nachbeobachtungszeit von 171.277 Personenjahren starben 3.148 Teilnehmer. Stieg der PAEE-Wert während des gesamten Follow-ups an, war dies mit einem niedrigeren Gesamtsterberisiko assoziiert – und zwar unabhängig vom PAEE-Wert bei der Aufnahme in die Studie.
Erhöhte sich der Energieverbrauch durch körperliche Aktivität fünf Jahre lang pro Tag um 1 kJ/kg Körpergewicht, errechneten die Forscher als Hazard Ratio (HR) für die Gesamtmortalität 0,76, für die kardiovaskuläre Mortalität 0,71 und für die Mortalität durch maligne Erkrankungen 0,89.
Dieser Anstieg führte bei Probanden, die sich zu Studienbeginn quasi nicht sportlich betätigt hatten, nach 5 Jahren dazu, dass sie die WHO-Mindestanforderung erfüllten: Das sind 150 Minuten mittlere bis hohe körperliche Aktivität pro Woche.
Weitere statistische Analysen zeigten, dass es generell etwas bringt, sich sportlich zu betätigen, unabhängig vom Maß der körperlichen Aktivität. Verglichen mit einer im gesamten Zeitraum inaktiven Gruppe der Kohorte verringerte sich die Gesamtmortalität bei Personen, die sich nach Studienbeginn entschlossen, aktiver zu werden: Die HR betrug 0,76 (für geringe körperliche Aktivität), 0,62 (für mittlere Aktivität) und 0,58 (für hohe Aktivität) – dies jeweils verglichen mit Probanden, die inaktiv blieben.
Erhebliche Vorteile für die Lebenserwartung
„Erwachsene mittleren und höheren Alter, einschließlich Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs, können erhebliche Vorteile für ihre Lebenserwartung erzielen, falls sie sich unabhängig vom früheren Aktivitätsniveau mehr bewegen“, fassen die Autoren zusammen.
Dies gelte unabhängig von der Verbesserung bekannter Risikofaktoren, etwa der Ernährung, dem Körpergewicht, dem Cholesterin- bzw. dem Triglyzerid-Wert. „Auf Bevölkerungsebene würde die Einhaltung bekannter WHO-Empfehlungen, also 150 Minuten mäßiger bis intensiver körperlicher Aktivität, möglicherweise 46 Prozent der Todesfälle durch zu wenig Bewegung vermeiden“, so das Fazit von Mok und seinen Kollegen.
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Besser spät als nie: Mehr Sport bringt auch im höheren Alter noch ein Plus an Lebenszeit, dies selbst bei Vorerkrankungen - Medscape - 8. Jul 2019.
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