Dieser Mann muss es wissen, was heutzutage Arztsein in Deutschland bedeutet: Dr. Klaus Reinhardt ist Hausarzt und wurde auf dem 122. Deutschen Ärztetag in Münster zum neuen Präsidenten der Bundesärztekammer (BÄK) gewählt. Der 59-Jährige hat damit nach 8 Jahren die Nachfolge von Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery (67) angetreten, der nicht mehr für das Amt kandidierte.

Dr. Klaus Reinhardt
Reinhardt ist seit 25 Jahren als Facharzt für Allgemeinmedizin niedergelassen. Er ist als Hausarzt in Bielefeld tätig – und er will dies auch bleiben, trotz der politischen Mammutaufgaben, die ihm nun bevorstehen. Seit 8 Jahren ist der Vater von 4 Kindern schon Vorsitzender des Hartmannbundes, seit 4 Jahren Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer und dort seit 2016 Vorsitzender des Ausschusses Gebührenordnung. Er kennt sich also bestens aus mit dem Honorierungssystem und seinen Tücken.
Medscape wollte im Interview von Reinhardt wissen, was er nun in seiner Amtszeit als BÄK-Präsident so vorhat. Er will einige heiße Eisen anfassen: etwa die Vergütung, die Bürokratie. Auch plant er bald ein Treffen mit Jens Spahn ...
Medscape: Herr Dr. Reinhardt, wofür stehen Sie als BÄK-Präsident, was erwarten sich Ihre Unterstützer nun?
Reinhardt: Ich werde mich dafür einsetzen, dass Ärzte endlich wieder mehr Zeit für Ihre Patienten haben. Das habe ich in meiner Antrittsrede angekündigt und damit bin ich wohl durchgedrungen. Wir reden seit 20 Jahren von Bürokratieabbau. Aber es geschieht wenig. Ich gehe pragmatisch und mit ärztlicher Lebenserfahrung an diese Probleme heran und versuche Lösungen zu finden.
Medscape: Was werden Ihre ersten Schritte im neuen Amt sein?
Reinhardt: Meine beiden Vize-Präsidentinnen und ich sind seit unserer Wahl bereits mitten drin im Tagesgeschäft. Das war ein Führungswechsel bei voller Fahrt, denn die Gesetzgebung in Berlin läuft ja auf Hochtouren. Ganz oben auf meiner Agenda stehen Treffen mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Er hat mir gleich nach der Wahl per SMS gratuliert. Mir ist sehr an einer vertrauensvollen Zusammenarbeit gelegen.
Medscape: Sie haben kurz nach der Wahl erneut gefordert, dass man über die Honorierungssysteme neu nachdenken muss. EBM und DRG haben in Ihren Augen keine Zukunft. Welches ist aus Ihrer Sicht die Alternative zu den beiden Honorierungssystemen?
Reinhardt: Es geht nicht darum, fertige Alternativkonzepte durchzudrücken. Man kommt doch nur dann zu tragfähigen Lösungen, wenn sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen.
Fest steht: Unsere Vergütungssysteme sind teilweise absurd organisiert. Die DRGs haben zu einer erheblichen Produktivitätsbeschleunigung und damit zu erheblicher Arbeitsverdichtung in den Krankenhäusern geführt. Es sind inzwischen oft die Controller, die entscheiden, was die optimale Liegezeit des Patienten im Krankenhaus ist.
Reformbedarf besteht auch beim EBM. Beispielsweise ist der Quartalsbezug im EBM völlig überholt und hat keine Berechtigung mehr. So wie es derzeit ist, kann es nicht bleiben.
Medscape: Da haben auch die Kostenträger ein Wörtchen mitzureden.
Reinhardt: Allerdings. Aber sie steigen auf das Thema noch nicht ein. Sie sagen: ‚Wir haben bezahlt – und gut´. Das ist doch ein bisschen wenig. Die Kassen müssen sich früher oder später mit an den Tisch setzen und unvoreingenommen über das Thema Honorierung sprechen.
Medscape: Ein weiteres Thema, das Ihre Amtszeit prägen dürfte, ist die Digitalisierung der medizinischen Versorgung. Sind die Ärzte hier nicht schon längst rechts überholt worden, zum Beispiel mit der Erlaubnis zur Fernbehandlung?
Reinhardt: Wir haben im letzten Jahr durch eine Änderung der (Muster-)Berufsordnung den Weg für die ausschließliche Fernbehandlung frei gemacht. Die Umsetzung in den Ländern ist auf einem guten Weg. Jetzt geht es darum, Ärzte über die neuen Möglichkeiten der Fernbehandlung zu informieren. Und wir müssen Konzepte entwickeln, wie die ausschließliche Fernbehandlung in die Versorgungsstrukturen eingebunden werden kann. Daran arbeiten wir momentan unter Hochdruck.
Aber Digitalisierung ist nicht nur Fernbehandlung: Denken Sie an Gesundheits-Apps oder an das große Potential der Telemedizin. Ein ganz anderes Thema ist Big-Data, also die Möglichkeit, riesige Datenmengen zu Forschungszwecken und zur Versorgungssteuerung auszuwerten. Davon kann die Forschung enorm profitieren. Aber ich warne davor, persönliche Gesundheitsdaten zur Ware zu machen.
Wir müssen als Ärzteschaft diese Entwicklungen mitgestalten. Digitalisierung muss sich an den Bedürfnissen der Menschen ausrichten und nicht umgekehrt.
Medscape: Woran wird man merken, dass nun ein Hausarzt auf dem Präsidentensessel sitzt?
Reinhardt: Ich wurde von Ärzten verschiedener Fachrichtungen und aus unterschiedlichen Versorgungsbereichen gewählt und ich werde mich für alle Kolleginnen und Kollegen einsetzen. Aber natürlich bringe ich meine eignen hausärztlichen Erfahrungen mit in mein Amt – und das ist auch gut so.
Letztlich ist doch allen Ärzten daran gelegen, dass das spezifisch Ärztliche unserer Arbeit wieder besonderes Gewicht kriegt. Statt noch mehr Bürokratie und Fremdbestimmung wollen wir mehr Zeit für persönliche Zuwendung. Dafür werde ich mich einsetzen.
Medscape: Werden Sie als Hausarzt weiterarbeiten?
Reinhardt: Ich werde versuchen, einen Tag pro Woche in der Praxis zu verbringen, um den Patientenbezug aufrecht zu erhalten. Mal sehen, wie das gelingt.
Medscape: Der Ärztetag hat den neuen Vorstand aufgefordert, eine ständige Konferenz der „jungen Kammer“ einzurichten. Unter anderem deshalb, weil man eine sehr große Resonanz der jungen Mediziner auf die Veranstaltung „Dialog mit jungen Ärztinnen und Ärzten“ am Vorabend des Ärztetages festgestellt hat. Wie bewerten Sie den Vorstoß?
Reinhardt: Das Format ist erfolgreich und ich finde es gut. Die jungen Kollegen geben uns Input für unsere berufs- und gesundheitspolitische Arbeit. Vielleicht gelingt es uns auch, bei dem einen oder anderen Interesse für die Arbeit in der Selbstverwaltung zu wecken. Wer Einfluss nehmen und etwas bewegen will, muss sich in den Gremien einbringen. Am Ende profitieren davon alle.
Medscape: Der Präsident der Berliner Ärztekammer, Dr. Günther Jonitz ist mit der Forderung nach jährlich zwei Ärztetagen in den Wahlkampf gegangen …
Reinhardt: Entscheidend ist nicht die Anzahl von Ärztetagen pro Jahr, sondern die Frage, wie wir uns bei der Politik Gehör verschaffen. Das gilt für Ärztetage ebenso wie für das politische Alltagsgeschäft. Bundesärztekammer und Landesärztekammern müssen hier noch mehr Hand in Hand arbeiten. Ich bin überzeugt, gemeinsam können wir noch mehr Schlagkraft entwickeln.
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: Der Hausarzt auf dem Präsidenten-Sessel der BÄK hat viel vor – Dr. Klaus Reinhardt erzählt im Interview, wo es jetzt langgeht - Medscape - 3. Jul 2019.
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