Hitzewelle in Deutschland: Auch das Gesundheitssystem muss geschützt werden

Christian Beneker

Interessenkonflikte

2. Juli 2019

32, 35, 38 Grad Celsius. Der Juni 2019 war nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) der heißeste, der je registriert worden ist. Nun fordert die „Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit“ (KLUG) in einem Schreiben, das Medscape vorliegt, die Medizin und die Gesundheitsversorgung viel mehr in die Diskussionen um den Klimawandel und seine Folgen einzubeziehen – um die Patienten besser vorzubereiten, aber auch die medizinische Infrastruktur.

Nicht erst seit Dürre, Hitze und Rekordtemperaturen Deutschland heimsuchen, kümmerten sich Ärzte und die Politik zu wenig um die Rolle der Medizin und der Gesundheitsversorgung bei der Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen, meint die KLUG.

40.000 Hitzetote in Europa

Für die Aktivisten der Allianz ist dieser heiße Juni 2019 ein eindeutiges Zeichen der Klimaveränderung. Die Meteorologen haben vergangene Woche in Deutschland Temperaturen von 38 Grad Celsius und mehr gemessen.

Die extreme Hitze kann extreme Folgen haben. So verweist ein Papier des Bundesumweltministeriums vom März 2017 mit einer Empfehlung zu Hitzeaktionsplänen, die die Gesundheit der Bevölkerung schützen sollen, auf mehr als 40.000 Menschen in Europa, die schon infolge der Hitzewellen der Sommer 2003 und 2010 gestorben seien.

Auch die medizinische Infrastruktur wird höher belastet: Während der Hitzewelle im Jahr 2015 zum Beispiel zählte man im Frankfurt/Rhein-Main-Gebiet im Vergleich zum Durchschnitt aller Sommermonate 2014 bis 2018 insgesamt 17% mehr Rettungsdiensteinsätze und ein Plus von 198% allein bei den Rettungsdiensteinsätzen wegen hitzeassoziierter Erkrankungen.

Die Erderwärmung gilt inzwischen insgesamt als größte Herausforderung für die globale Gesundheit des 21. Jahrhunderts und als „medizinischer Notfall“, so die Allianz. Aber: „Das Gesundheitssystem ist nicht vorbereitet, und die Zahl der gefährdeten Personen – mit Erkrankungen, Dauermedikationen oder höherem Lebensalter – ist groß.“

„Herkömmliches medizinisches Handeln reicht bei weitem nicht aus, Ärzte müssen auch auf einen schnellen Austritt aus der Kohlewirtschaft drängen“, meint der Gummersbacher Hausarzt Dr. Ralph Krolewski, Mitglied bei KLUG.

Diskussionen zum Klimawandel: Zu selten Ärzte dabei

Bei den Diskussionen über den Klimawandel sitzen viel zu selten Ärzte mit am Tisch, kritisiert Dr. Martin Herrmann, Sprecher der KLUG. „In der öffentlichen und fachlichen Wahrnehmung des Themas fehlt die Verbindung zum Gesundheitssystem und zu medizinischer Versorgung“, sagt er.

So habe zwar etwa die Klima-Allianz Deutschland 150 gesellschaftliche Gruppen und Verbände unter dem Dach des Klimaschutzes versammelt: Kirchen, Umweltverbände, Gewerkschaften, den Verkehrsklub Deutschland und den Umweltrat Hamburg. Aber Einrichtungen der Gesundheitsversorgung, Ärzteverbände oder etwa die Bundesärztekammer (BÄK) suche man abgesehen von KLUG vergeblich.

„Das Thema war in den vergangenen Jahren auch bei den ärztlichen Verbänden unterbelichtet“, bestätigt Malte Hentsche, stellvertretender Geschäftsführer der Klima Allianz. „Es gibt da wenig Interesse.“

Längst hätten etwa Fachgesellschaften reagieren können. Aber „der Klimawandel ist in Ärzteschaft, Verbänden und wissenschaftlichen Fachgesellschaften sowie in Aus- und Weiterbildungen bisher noch wenig Thema“, schreibt auch Dr. Dieter Lehmkuhl im Bundesgesundheitsblatt .

„Deutsche Organisationen haben sich bisher nicht an den weltweiten Initiativen der Gesundheitsberufe, speziell im Vorfeld der Weltklima-Konferenzen, beteiligt. Es gibt bisher auch keine eigenen Positionspapiere der deutschen Ärzteschaft oder der medizinischen Fachgesellschaften.“

Auch das Gesundheitssystem selbst muss geschützt werden

Herrmann fordert, nicht nur die Patienten aufzuklären und zu schützen, sondern auch die Einrichtungen des Gesundheitssystems selbst vor den Folgen von Klima-Kapriolen zu bewahren. „Die gesundheitlichen Folgen von Hitze sind international gut untersucht. Allerdings gibt es für das Gesundheitssystem weder Aktionsplanungen bei Hitze oder Starkregen noch Investitionspläne, wie man Krankenhäuser schützen kann, die etwa in Überschwemmungsgebieten liegen“, sagt Krolewski.

 
Wenn die 28 Grad Celsius überschritten werden, läuft unser Hitze-Alarmplan an. Das heißt, wir kühlen bestimmte Räume auf unter 28 Grad herunter und halten sie für die Risikogruppen frei. Dr. Ralph Krolewski
 

Deshalb hat er seine Praxis in Eigenregie Klima-resilient gemacht. „Etwa die Hälfte meiner Patienten ist chronisch krank. Wenn unsere Praxis keine Hitzevorsorge-Strategie hätte, würden sie besonders leiden. Da hilft es nur, zu kühlen“, berichtet der Gummersbacher Hausarzt. „Wir machen deshalb ein Temperatur-Monitoring in allen Räumen. Wenn die 28 Grad Celsius überschritten werden, läuft unser Hitze-Alarmplan an. Das heißt, wir kühlen bestimmte Räume auf unter 28 Grad herunter und halten sie für die Risikogruppen frei.“

Tatsächlich greifen die zuständigen Bundesministerien die Forderungen der KLUG offenbar nicht auf. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) verweist auf das Bundesumweltministerium (BMU), das seinerseits auf das BMG und das Robert Koch-Institut verweist. Letzteres hat immerhin im Bundesgesundheitsblatt   den Schwerpunkt „Gesundheitliche Herausforderungen des Klimawandels“ gesetzt und auch die Probleme benannt.

Erste Schritte

Dessen ungeachtet werden auch in Deutschland erste klimarelevante Schritte in der Versorgung unternommen, um zum Beispiel den ökologischen Fußabdruck von Krankenhäusern zu verkleinern und so das Klima zu schützen.

Im Rahmen des Projekts „KLIK green“ finanziert das BMU z.B. Klimamanager für 250 Krankenhäuser. Diese sollen zum Beispiel helfen, Energielecks bei der Versorgung in Krankenhäusern und Reha-Kliniken abzudichten.

„Andere Bereiche haben ebenfalls erhebliche Einspar-Potenziale“, sagt Annegret Dickhoff, Projektleiterin im Bereich Klimaschutz im Gesundheitswesen beim BUND. So müsse die Raumlufttechnik nicht permanent mit gleicher Intensität laufen, sagt sie. „Sie kann beispielsweise an die OP-Zeiten angepasst werden.“

 
Wenn wir jetzt nicht aktiv werden, kommt es mit dem Klimawandel wie bei einer bakteriellen Infektion, die man zu spät mit Antibiotika behandelt hat. Man läuft immer hinterher.“ Annegret Dickhoff
 

Auch bei der Vermeidung von Abfällen und in der Gestaltung einer klimafreundlichen Logistik gebe es einiges zu tun, so Dickhoff. Krolewski lobt die Initiative, kritisiert aber: „Die Manager werden bezahlt. Aber für die Maßnahmen, die sie vorschlagen, fehlt den Krankenhäusern dann oft das Geld.“

Die Ärztekammern scheinen im Hinblick auf den Klimawandel alarmiert. Beim Ärztetag 2020 soll das Thema „Klimawandel und Gesundheit“ zu „einem prominenten Schwerpunktthema“ gemacht werden, so die BÄK auf Nachfrage. Bereits im Beschluss des Leitantrages des vergangenen Ärztetages in Münster heißt es, der Klimawandel sei die größte Gefahr für die globale Gesundheit. „Die drohende Klimakatastrophe wird damit auch zu einer zentralen Gesundheitsfrage des 21. Jahrhunderts.“

Auch verschiedene Landesärztekammern befassen sich mit dem Thema. Und die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin forderte Ende 2018 eine Kultur des der Schadstoffvermeidung.

Inzwischen existieren auf Empfehlung des Bundesumweltministeriums regionale Hitzealarmpläne. Und der DWD bietet mit seinem „Hitzewarnsystem“ z.B. Seniorenheimen eine Vorhersage hoher Temperaturen.

Erste Schritte also. Für Dickhoff ist es längst an der Zeit, dass Ärzte sich um ihrer Patienten Willen mehr einmischen und auch die Einrichtungen des Gesundheitssystems vor den Folgen des Klimawandels geschützt werden. „Wenn wir jetzt nicht aktiv werden, kommt es mit dem Klimawandel wie bei einer bakteriellen Infektion, die man zu spät mit Antibiotika behandelt hat“, sagt Dickhoff. „Man läuft immer hinterher.“

 

Kommentar

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