Deutschlandweit erreichen die Temperaturen Rekordwerte. In vielen Regionen überschreitet das Thermometer die Marke von 30°C. Ein Übersichtsartikel zur Diagnostik, Differentialdiagnostik und Therapie des Hitzschlags im NEJM kommt da zum richtigen Zeitpunkt [1]. Dr. Yoram Epstein und Dr. Ran Yanovich vom Heller Institute of Medical Research, Sheba Medical Center, in Tel Aviv, Israel, haben die Literatur zusammengefasst.
Klassischer Hitzschlag bei Senioren und Kindern
Die klassische Form des Hitzschlags tritt vor allem bei älteren, multimorbiden Patienten auf, die nicht mehr für sich selbst sorgen können. Kinder sind aufgrund ihres ungünstigen Verhältnisses zwischen Körperoberfläche und Gewicht ebenfalls gefährdet. Dem Organismus fehlt die Möglichkeit, sich hohen Temperaturen anzupassen.
Auch falsches Verhalten, etwa unangemessene Kleidung oder eine zu geringe Flüssigkeitsaufnahme oder Medikamente wie Betablocker, Diuretika, Calciumkanalblocker, u.a. erhöhen das Risiko. Bei den Patienten kommt es vorrangig zu Dysfunktionen des zentralen Nervensystems, seltener zur Rhabdomyolyse oder zum akutes Nierenversagen. Calcium und Kalium im Serum sind dabei normal.
Epstein und Yanovich zufolge wird ein Hitzschlag bei diesen Personen oft erst 2 bis 3 Tage nach Einsetzen der Beschwerden entdeckt. „Diese Verzögerung der Behandlung führt zu einer Mortalität von mehr als 50 Prozent“, schreiben sie im Artikel.
Sekundäre Form bei Sportlern und bei Arbeitern
Darüber hinaus erwähnen die Autoren eine anstrengungs-assoziierte Form des Hitzschlags. Sie tritt vor allem bei Sportlern, Feuerwehrleuten oder Soldaten auf. Wer im Freien arbeitet, ist ebenfalls gefährdet.
Und nicht zuletzt finden sich in der Literatur einige Fälle von Hitzschlag bei Besuchern von Open-Air-Konzerten. Bei diesen Patienten treten oft Dysfunktionen im ZNS auf. Auch eine Rhabdomyolyse, ein akutes Nierenversagen und mittelschwere bis schwere Leberfunktionsstörungen werden beobachtet.
Im Unterschied zum klassischen Hitzschlag ist Calcium im Serum niedriger, während der Kaliumwert erhöht ist. „Hier sind auch jüngere, gesunde Menschen betroffen“, so die Autoren. „Das erklärt die niedrigere Mortalität von weniger als 5%.“
Diagnose und Differenzialdiagnose
Um einen Hitzschlag zu diagnostizieren, sollte – soweit möglich – in Erfahrung gebracht werden, ob die Patienten hohen Temperaturen ausgesetzt waren und/oder sich sportlich betätigt haben.
Außerdem sind laut Epstein und Yanovich neurologische Auffälligkeiten wie Schwindel, Verwirrtheit, undeutliches Sprechen, Schwäche oder Agitation typisch. Übelkeit und Erbrechen stehen mit einem Hitzschlag ebenfalls in Zusammenhang. Im kardiovaskulären Bereich sollten Ärzte auf Hypotension, Tachykardie bzw. Tachypnoe achten. Spezifische Biomarker gibt es derzeit aber nicht.
Differenzialdiagnostisch kommen viele Erkrankungen mit neurologischen Störungen und Fieber in Betracht. Dazu zählen u.a. eine Meningitis oder eine Enzephalitis. Auch schwere Stoffwechselstörungen wie das Serotoninsyndrom, das maligne neuroleptische Syndrom, die Hyperthyreose oder Hormonstörungen durch ein Phäochromozytom sollten in Betracht gezogen werden. Starke Dehydratation führt zu ähnlichen Beschwerden.
Therapie anhand der Krankheitsphasen
Die Therapie selbst orientiert sich an der jeweiligen Phase eines Hitzschlags. Die Autoren nennen eine hypertherme-neurologische Akutphase, gefolgt von der hämatologisch-enzymatischen und der renal-hepatischen Phase. Kurzfristig droht ein Hirnödem. Nach 24 bis 48 Stunden kann es zum Nieren-, zum Leberversagen oder zur Rhabdomolyse kommen.
Ärzten empfehlen Epstein und Yanovich prähospital die üblichen Maßnahmen, je nach Situation: eine kardiopulmonale Reanimation, Benzodiazepine bei Krämpfen, 1 bis 2 Liter isotonische Flüssigkeit, eine Messung der Körpertemperatur und ggf. eine Kühlung mit Wasser.
In der Notaufnahme geht es mit kontinuierlichen Temperaturmessungen weiter. „Da sich die Prognose verschlechtert, wenn die kritische Schwelle von 40,5°C überschritten wird, muss die Temperatur unbedingt schnell und effektiv auf 38 bis 38,5°C gesenkt werden“, heißt es im Artikel.
Bäder in kaltem Wasser sind nicht immer möglich. Zur Absenkung der Körpertemperatur haben sich deshalb auf 4°C gekühlte Infusionslösungen bewährt. Antipyretische Pharmaka sollten dagegen nicht zum Einsatz kommen.
„Kein Medikament kann die Abkühlung beschleunigen“, so Epstein und Yanovich. Ob sich Dantrolen, ein Muskelrelaxans, eignet, wird derzeit untersucht. Sind die Patienten soweit stabilisiert, müssen diverse Laborparameter bestimmt werden, etwa Elektrolyte, Nieren- und Leberwerte, um Komplikationen rasch zu erkennen.
Risikopatienten informieren
Soweit muss es aber nicht kommen. In vielen Fällen sei ein Hitzschlag vermeidbar, schreiben die Autoren. Sie raten Risikopatienten, sich besser in gekühlten Räumen aufzuhalten, viel zu trinken und gelegentlich kühl zu duschen.
Angehörige sollten sich während der Hitzewellen gut um Senioren als vulnerable Gruppe kümmern. Nicht zuletzt bestehen aber auch Informationsdefizite. „Die zukünftige Forschung sollte sich auf drei Punkte konzentrieren: genetische Merkmale erkennen, die mit einem höheren Hitzschlag-Risiko in Verbindung stehen, Biomarker identifizieren und neue Behandlungen entwickeln, um ein Multiorganversagen zu vermeiden“, so die Autoren.
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Hitzschlag: Know-how rettet Leben – diese Symptome und Therapie-Optionen sollten Sie kennen - Medscape - 27. Jun 2019.
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