Ärzten fällt es mitunter schwer, mit ihren Patienten über das Thema Tod zu sprechen. Gründe gibt es dafür viele. Ein solches Gespräch ist schwierig, macht Angst. Auch den Ärzten. Aber sie sollten diese Barrieren durchbrechen. Ein Report des britischen Royal College of Physicians (RCP) mit dem Titel „Über das Sterben sprechen“ zeigt auf, dass die Gespräche, die Ärzte mit unheilbar kranken Patienten führen, besser laufen sollten. Die Autoren empfehlen, früher das Thema anzusprechen und vor allem mehr Empathie einfließen zu lassen.
Hier finden Sie ein paar Gründe warum, diese Gespräche über das Sterben so schwierig sind und was man besser machen kann:
1: Die Reaktion des Patienten
Manchen Ärzten bereitet es Probleme, mit der Reaktion des Patienten und seiner Angehörigen konfrontiert zu werden. Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf schlechte Nachrichten – manche erleben einen Schock und verleugnen einen möglichen Tod. Andere fühlen sich angegriffen oder brechen völlig zusammen.
Für einen Arzt kann es vor allem dann schwierig sein, das Thema Tod anzusprechen, wenn er keine langjährige Beziehung zu dem Patienten hat und die Besonderheiten seiner Situation nicht kennt.
Einige Patienten und ihre Familien sehen ein solches Gespräch möglicherweise als Hinweis darauf, dass sie von den Ärzten aufgegeben werden.
Auch kulturelle Unterschiede können eine Rolle spielen. Einige Nationalitäten, Religionen oder ethnische Gruppen fühlen sich mit der Aussicht, am Lebensende die Behandlungsintensität herunterzufahren bzw. die Behandlung einzustellen und palliative Maßnahmen einzuleiten, weniger wohl als andere.
2: Der passende Ort, der richtige Zeitpunkt
Manchmal sind sich Ärzte auch unsicher, wer ein solches Gespräch am besten führen sollte. Krankenhausärzte gehen manchmal davon aus, dass dies besser Aufgabe des Hausarztes sein sollte, da dieser auch die weitere Betreuung des Patienten übernehmen wird. Manche Patienten müssen erst gründlich über die Situation nachdenken, bevor sie bereit sind, Entscheidungen zu treffen.
„Manchmal begrüßen die Patienten oder ihre Familien diese Art von Gesprächen, aber manchmal werden sie davon auch überrascht“, sagt Prof. Dr. David Oliver, Clinical Vice President des RCP. In der hektischen Umgebung eines Akutkrankenhauses mit mangelnder Privatsphäre, mangelnder detaillierter Kenntnis des Patienten vor der Aufnahme, ohne etablierte Arzt-Patienten-Beziehung und unter Zeitdruck würden diese Gespräche oft in keiner guten Weise geführt. Oliver: „Auf alle Fälle nicht so, dass der Patient sich gut einbezogen fühlt.“
3: Notfallpläne durchsprechen
Seit Kurzem ist es in Großbritannien gesetzlich vorgeschrieben, dass Ärzte mit allen Patienten, bei denen ein Risiko für einen Herzstillstand besteht (selbst wenn dieses sehr gering ist), über das Thema Wiederbelebung sprechen. Manchmal führen Krankenhausärzte, die den Patienten oder die Familie vorher noch gar nicht kannten, dieses Gespräch.
Immer häufiger werden [in Großbritannien] für solche Entscheidungen ResPECT-Formulare (Recommended Summary Plan for Emergency Care and Treatment) verwendet, die den Patienten mehr mit einbeziehen. „Auch Therapie-Eskalationspläne gewinnen zunehmend an Bedeutung. „Diese verlangen von uns die Entscheidung, wie weit die Behandlung gehen soll, wenn sich der Zustand des Patienten verschlechtert“, erklärt Oliver.
4: Der Tod als Misserfolg?
Manche Ärzte betrachten den Tod möglicherweise als Versagen. Es kann für Ärzte einfacher sein, die Behandlung fortzusetzen, denn das ist es, was man ihnen beigebracht hat.
„Menschen mit chronischen Krankheiten werden häufig mit akuten Problemen in ein Krankenhaus eingeliefert und dort von einem Arzt behandelt, der sie nicht kennt. Unter diesen Umständen kann es für Ärzte schwer sein, ein solches schwieriges Gespräch zu führen. Es ist viel einfacher, die Behandlung fortzusetzen – egal wie sinnlos das ist – als ein solches Gespräch zu führen“, sagt Dr. Seamus O'Mahony, Gastroenterologe und Autor von „The Way We Die Now“. Er ergänzt: „Ärzte entscheiden sich oft für die einfachere Option der Therapiefortführung.“ Der australische Palliativmediziner Will Cairns sagt: 2 Wochen auf der Intensivstation können einem eine Stunde schwieriges Gespräch ersparen.
5: Zweifel an den eigenen Fähigkeiten
Manchmal haben Ärzte auch das Gefühl, dass sie für ein solches Gespräch nicht ausreichend geschult wurden. Es ist schwierig, die Soft Skills zu vermitteln, die dafür notwendig sind, schlechte Nachrichten zu überbringen.
„Die Zeit, die Ärzte mit der Betreuung von Patienten am Lebensende verbringen, einschließlich spezialisierter Aspekte der Palliativversorgung und schwieriger Gespräche über den Tod und das Sterben, reicht im Alltag oft nicht aus“, sagt Oliver. „Die jüngeren Ärzte, mit denen wir für unseren Report gesprochen haben, bestätigten uns zudem, dass sie nicht immer ausreichend im Umgang mit diesen heiklen Themen geschult wurden und sich daher unsicher fühlen, wenn sie in der Praxis damit konfrontiert sind.“
Die Behandlung von Patienten in ihrem letzten Lebensjahr, in den letzten Wochen und Tagen ist ein wesentlicher Teil der Arbeit vieler Ärzte, und nicht alles davon kann an Palliativmediziner delegiert werden. In vielen Krankenhäusern gibt es Schulungen zu Themen wie „Keine Reanimation“-Entscheidungen oder das Überbringen schlechter Nachrichten. „Allerdings gibt es bei diesen Angeboten noch große Unterschiede“, so Oliver.
6: Herr Doktor, wie lange lebe ich noch?
Wenn ein Arzt den Dialog über das Therapievorgehen am Lebensende initiiert, fragen die Patienten oft, wie viel Zeit sie noch haben. Doch da es schwer ist, eine genaue Prognose dazu abzugeben, vermeiden viele Mediziner das Gespräch lieber ganz.
Zu erkennen und vorherzusagen, dass ein Patient sterben wird, ist selten präzise möglich. „Ich denke, es kommt manchmal durchaus vor, dass dem Patienten eindeutig klargemacht wird, dass er sterben wird oder ein hohes Risiko hat zu sterben, aber es wird ihm nicht immer so gut vermittelt, wie es man dies könnte“, sagt Oliver.
7: Der Patient möchte nicht darüber sprechen
Es kann vorkommen, dass es nicht der Arzt ist, der zögert, das Thema Tod und Versorgung am Lebensende anzusprechen. Es können auch der Patient und/oder seine Angehörigen sein, die nicht darüber reden wollen.
„Es ist wirklich wichtig, dass den Menschen die Möglichkeit geboten wird, dieses Gespräch zu führen, und dass auch die Familien daran beteiligt sind. Aber die Patienten sollten niemals dazu gezwungen werden. Es darf nicht darum gehen, Gesprächspunkte auf einem Formular abzuhaken“, sagt Dr. Catherine Millington-Sanders, die die Arbeitsgruppe für Versorgung am Lebensende des britischen Royal College of General Practitioners leitet. „Den Patienten sollte auf ihrer Reise ein Gespräch angeboten werden, aber der Arzt muss auf deren Tempo und Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Sie sollten wissen, dass Sie als Hausarzt für sie da sind, und dass Sie sie auf ihrem schwierigen Weg unterstützen können.“
„Einige Leute wollen dieses Gespräch einfach nicht führen. Man merkt mit der Zeit, dass es Kommunikationshindernisse gibt, die immer dann auftreten, wenn man sich dem Thema auch nur nähert. Manche Menschen wollen dieses Gespräch bis zum letzten Tag nicht führen, und es liegt in unserer Verantwortung, dies zu respektieren. Doch einige Patienten ändern ihre Meinung auch. In diesen Fällen kann man ihnen eine Option offenhalten, indem man sagt „Im Moment möchten Sie vielleicht nicht darüber reden, aber wir können gerne ein anderes Mal darüber sprechen“, rät Millington-Sanders. Sie berichtet, dass aus ihrer Erfahrung vielleicht einer von 10 Patienten das Gespräch nicht möchte.
8: Ist es gut, darüber zu sprechen?
Der Report des RCP, für den die Autoren mit Patienten und medizinischem Personal gesprochen haben, deutet darauf hin, dass viele Menschen über den Tod reden möchten. Für den Todesfall vorzuplanen, hilft ihnen auch, sich bei Entscheidungen über die weitere Behandlung und Pflege sicherer zu fühlen.
Es gibt anekdotische Evidenz, dass sich Patienten nach einem realistischen Gespräch darüber, was die Zukunft für sie bereithält, besser fühlen. Es kann ihnen helfen, sich mental an das Konzept Sterben zu gewöhnen, es kann ihnen die Möglichkeit geben, offene Fragen zu klären und die Dinge anzugehen oder anzusprechen, die sie vor dem Tod noch loswerden möchten.
Bei Patienten mit chronischen oder lebensbedrohlichen Krankheiten gilt: Je früher ein Arzt den Patienten über die möglichen Konsequenzen seiner Erkrankung informiert, desto besser ist es in den meisten Fällen. „Viele Patienten begrüßen die Gelegenheit, über ihre aktuellen und zukünftigen Pflegebedürfnisse, ihre Prioritäten und ihre Pläne zu sprechen; sie möchten an Entscheidungen über ihre eigene Pflege beteiligt werden. Gleiches gilt für die pflegenden Familienangehörigen, die den Patienten unterstützen“, sagt Oliver.
9: Ein guter Tod
Wenn keine Hoffnung mehr besteht, dass weitere Behandlungen das Leben noch verlängern oder den Zustand des Patienten wirklich günstig beeinflussen können, werden Patienten palliativ betreut.
Die Palliativversorgung wird oft als letzter Schritt vor dem Tod angesehen. Aber bei der Palliativmedizin geht es nicht darum, aufzugeben. Es geht darum, für die verbleibende Zeit das bestmögliche Leben zu führen. Sie legt den Fokus darauf, dem Patienten einen guten und würdevollen Tod zu ermöglichen, seinen Alltag so angenehm wie möglich zu gestalten und die Symptome so gut wie möglich zu lindern. „Die Medizin muss die Sorge um die Sterbenden und die Linderung des Leidens in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen“, sagt O'Mahony.
Zusammen mit dem Patienten kann der Arzt Pläne für weitergehende Pflegemaßnahmen machen. Es können Gespräche darüber geführt werden, welche Behandlungen im Falle einer akuten Verschlechterung erfolgen sollen und welche nicht. Dies kann auch der Familie des Patienten helfen. Zum einen wissen sie, was sie erwartet, zum anderen verstehen sie die Wünsche ihres Angehörigen besser.
10: Vernetzte Pflege
An der Betreuung am Lebensende sind viele Menschen beteiligt, nicht nur Ärzte. „Patienten verbringen nur wenig Zeit mit ihren Hausärzten, daher ist es wichtig, in Gespräche auch das unterstützende Netzwerk des Patienten, wie Pfleger und Angehörige, einzubinden. Diese Phase der Begleitung liegt nicht nur in der Verantwortung eines einzelnen Arztes“, sagt Millington-Sanders. Sie weiß: „Die Patienten fühlen sich besser, wenn sie wissen, was sie wollen, und sich auch die Fachkräfte um sie herum darüber im Klaren sind. Über den Tod und das Sterben selbst hat man keine Kontrolle, aber eine gute Planung der Pflege unter Einbeziehung aller Beteiligten ist die bestmögliche Option.“
Wir leben in einer alternden Gesellschaft. Deshalb ist es von zunehmender Relevanz, angemessene und realistische Gespräche zu führen und den Patienten eine gute Versorgung am Lebensende zu bieten.
Dieser Artikel wurde von Nadine Eckert aus www.medscape.com übersetzt und angepasst.
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Diesen Artikel so zitieren: Gespräche über den Tod machen Angst – Ärzten wie Patienten. 10 Probleme plus Lösungen für die Kommunikation am Lebensende - Medscape - 26. Jun 2019.
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