Thrombozytenhemmer nach Gehirnblutungen: Risiko für erneute Blutungen nicht erhöht – also weiter verordnen?

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

21. Juni 2019

Eine thrombozytenhemmende Therapie nach intrazerebralen Blutungen scheint das Risiko neuerlicher Blutungen nicht zu erhöhen. Rezidive traten bei Patienten, die ihre Thrombozytenhemmung fortgesetzt hatten, ähnlich häufig auf wie bei Patienten, die die Therapie beendet hatten.

 
Al-Shahi Salman und Kollegen sollten zu einer qualitativ hochwertigen pragmatischen Studie beglückwünscht werden. Dr. Wendy Ziai und Dr. Alexander Tsiskaridze
 

Zu dem Ergebnis kommen Forscher der RESTART-Collaboration unter Leitung von Prof. Dr. Rustam Al-Shahi Salman, University of Edinburgh, in The Lancet Neurology [1]. Basis war die randomisierte, multizentrische, prospektive Studie RESTART (REstart or STop Antithrombotics Randomised Trial) mit 537 Patienten.

„Al-Shahi Salman und Kollegen sollten zu einer qualitativ hochwertigen pragmatischen Studie beglückwünscht werden“, schreiben Dr. Wendy Ziai von der Johns Hopkins University und Dr. Alexander Tsiskaridze von der Ivane Javakhishvili Tbilisi State University in Georgia in einem begleitenden Kommentar [2].

RESTART weist nach Ansicht beider Kommentatoren jedoch mehrere Einschränkungen auf: „Die Studie erreichte nicht die erforderliche Stichprobengröße von 720 Probanden mit einer Nachbeobachtungsdauer von mindestens 2 Jahren.“ Deshalb hätten Forscher das maximale Follow-up verlängert, um – wie im Studiendesign gefordert – auf 1.064 Personenjahre zu kommen.

Längeres Follow-up, möglicher Selektionsbias

Dass es nach 2-jährigem Follow-up zu keinen weiteren Ereignissen im Sinne des primären Endpunkts gekommen war, sei „nicht plausibel“, schreiben die Editorialisten. Sie sehen darin eine mögliche statistische Schwäche der Studie.

Ziai und Tsiskaridze weisen zudem auf einen möglichen Selektionsbias bei der Rekrutierung hin. Für die Studie sei nur jeder zwölfte infrage kommende Patient eingeschlossen und randomisiert worden. „26 Prozent der teilnahmeberechtigten Patienten wurden nicht die Studie aufgenommen, weil ihr Arzt sich nicht sicher war, ob eine Thrombozytenhemmung angewendet werden sollte, und 30 Prozent wurden aus anderen Gründen ausgeschlossen“, heißt es im Editorial.

Deshalb seien weitere, groß angelegte Studien erforderlich. Trotz der genannten Schwächen bewerten Ziai und Tsiskaridze die Veröffentlichung als „äußerst vielversprechend für die Frage, ob eine neuerliche Thrombozytenhemmung in der subakuten Phase nach einer intrazerebralen Blutung über 5 Jahre hinweg sicher ist“.

Randomisierte Studie mit 537 Patienten

Zum Hintergrund: Bekanntlich verringern Thrombozytenhemmer schwerwiegende vaskuläre Ereignisse bei Menschen mit okklusiven Gefäßerkrankungen wie der Atherosklerose. Gleichzeitig erhöhen sie das Risiko von Blutungen.

„Es ist unklar, ob bei Patienten nach intrazerebralen Blutungen eine Thrombozytenhemmung sicher durchgeführt werden kann“, schreiben Al-Shahi Salman und Kollegen. „Wir wollten deshalb die relativen und absoluten Auswirkungen einer solchen Therapie auf rezidivierende intrazerebrale Blutung abschätzen und herausfinden, ob dieses Risiko die Reduktion okklusiver Gefäßereignisse übersteigt.“

Für die RESTART-Studie rekrutierten sie von 2013 bis 2018 an 122 Kliniken Großbritanniens 537 Teilnehmer. Die Patienten waren 69 bis 82 Jahre alt, und 33% waren Frauen. Alle Personen hatten im Vorfeld Thrombozytenhemmer bzw. Antikoagulantien erhalten. Die stationäre Aufnahme erfolgte aufgrund intrazerebraler Blutungen. Zu dem Zeitpunkt beendeten die behandelnden Ärzte alle antikoagulativen Therapien.

Mit einer computergestützten Randomisierung (1:1) wurden die Patienten danach in 2 Gruppen eingeteilt – mit oder ohne Thrombozytenhemmung. Al-Shahi Salmans Team begleitete die Teilnehmer bis zu 5 Jahre nach Studienbeginn (Median: 2,0 Jahre) und erfasste neuerliche intrazerebrale Blutungen als primärem Endpunkt.

 
Das Risiko einer rezidivierenden intrazerebralen Blutung ist wahrscheinlich zu gering, um die bekannten Vorteile der Thrombozytenhemmung für die Sekundärprävention zu überbieten. Prof. Dr. Rustam Al-Shahi Salman
 

Bei 12 von 268 Personen (4%) im Studienarm mit Thrombozytenhemmung trat ein solches Ereignis auf, verglichen mit 23 von 268 Teilnehmern (9%) ohne Therapie. Als Hazard Ratio (HR) geben die Autoren 0,51 an. 18 (7%) Teilnehmer im Therapiearm erlitten schwerwiegende Blutungen unterschiedlicher Art, verglichen mit 25 (9%) Teilnehmern ohne Arzneimittelgabe. Hier lag das HR bei 0,71. Schwerwiegende Gefäßverschlüsse traten bei 39 (15%) versus 38 (14%) aller Patienten auf.

„Das Risiko einer rezidivierenden intrazerebralen Blutung ist wahrscheinlich zu gering, um die bekannten Vorteile der Thrombozytenhemmung für die Sekundärprävention zu überbieten“, fassen die Autoren zusammen.

Mikroblutungen nicht mit höherem Rezidivrisiko assoziiert

Die Wissenschaftler um Al-Shahi Salman berichten außerdem von einer Subgruppenanalyse der RESTART-Studie [3]. 254 Teilnehmer (48%) wurden per MRT-Standardprotokoll untersucht, davon befanden sich 122 in der Gruppe mit Thrombozyten-Memmern und weitere 132 im Studienarm ohne Medikation. Die Anzahl nachweisbarer Mikroblutungen war nicht mit später auftretenden intrazerebralen Blutungen assoziiert.

 
Diese Ergebnisse unterstreichen, dass wir … uns nur auf Daten aus randomisierten kontrollierten Studien verlassen sollten. Dr. Hanne Christensen
 

Dies sei „in der Tat überraschend“, denn Kliniker hätten Mikroblutungen bislang als Risikofaktor für wiederkehrende intrazerebrale Blutungen mit Wiederaufnahme der anti-thrombozytären Therapie bewertet, schreibt Dr. Hanne Christensen von der Universität Kopenhagen in einem weiteren Kommentar [4].

„Diese Ergebnisse unterstreichen, dass unser pathophysiologisches Verständnis unvollständig ist und wir uns nicht auf einzelne klinische Beobachtungsdaten verlassen sollten, sondern nur auf Daten aus randomisierten kontrollierten Studien“, ergänzt Christensen.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....