„Kinder sind besonders von den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels betroffen (…). Der Ausstoß von Treibhausgasen hat negative körperliche und psychologische Folgen für sie – dies durch Wetterextreme, Hitzestress, schlechte Luftqualität, Infektionskrankheiten und Probleme bei der Versorgung mit Nahrung und Wasser.“ Mit dieser Mahnung unterstützen 15 US-amerikanische Gesundheitsorganisationen, darunter die American Academy of Pediatric, und 80 führende Ärzte und Wissenschaftler in einer gerichtlichen Stellungnahme eine Klage von 21 Kindern und Jugendlichen gegen die US-Regierung [1].
Die jungen Menschen werfen der Regierung vor, durch fehlende Maßnahmen gegen den Klimawandel ihr Grundrecht auf Leben, Freiheit und Eigentum zu verletzen.
„Wir schulden es unseren Kindern“
2015 reichten die 19-jährige Kelsey Juliana und ihre Mitstreiter im Alter von 8 bis 19 Jahren beim Bezirksgericht in Oregon Klage gegen die USA, vertreten durch Präsident Barack Obama, ein. „Die Regierung wusste seit Jahrzehnten, dass der Ausstoß von Kohlendioxid das Klima katastrophal verändert“, heißt es in der Begründung, „trotz dieses Wissens verursachte und verstärkte sie diese Gefahr durch die Förderung, Produktion, Verbrennung und Export von fossilen Brennstoffen.“
Das Gericht hat die Wissenschaftler als „Amici Curiae“ zur Stellungnahme eingeladen. Amici Curiae sind keine Gutachter im Sinne des deutschen Rechts, sondern eine Art parteiische Sachverständige im öffentlichen Interesse.
In einem Beitrag im New England Journal of Medicine erläutern die Organisatoren der Stellungnahme, warum sie als Mediziner die Klage unterstützen: „Der Klimawandel ist der größte Notfall für die Gesundheit der Bevölkerung in unserer Zeit. Er ist besonders schädlich für Ungeborene, Säuglinge, Kinder und Jugendliche.“ [2]
Die medizinische Gemeinschaft müsse diese Gefahr erkennen und ihre Stimme erheben: „Wir schulden es unseren Kindern, dass wir sie schützen.“
Erhöhte Säuglingssterblichkeit an sehr heißen Tagen
Bereits im Mutterleib sei extreme Hitze ein Risikofaktor für Schwangerschaftskomplikationen und Geburtsfehler. „Zudem kann das Quecksilber, das bei der Verbrennung von Kohle freigesetzt wird, zu verminderten kognitiven und motorischen Fähigkeiten führen“, schreiben die Autoren.
Säuglinge seien besonders anfällig für Hitzeperioden: Studien hätten gezeigt, dass an sehr heißen Tagen die Säuglingssterblichkeit um 25% steige. Schulkinder und Jugendliche seien von Luftverschmutzung und hohen Ozonwerten stärker betroffen als Erwachsene, weil sie eine höhere Atemfrequenz haben und sich mehr im Freien aufhalten.
„Kinder, die früh in ihrem Leben solchen Schadstoffen ausgesetzt waren, haben ein höheres Risiko für eine verminderte Lungenfunktion als Teenager.“ Das betreffe besonders Kinder aus unteren Schichten.
Und schließlich berge der Klimwandel durch extreme Wetterereignisse auch Risiken für die seelische Gesundheit. Von den 200.000 Kindern, die sich vor dem Hurrikan Katrina in Sicherheit bringen mussten, erfüllten von den Vorschulkindern 50%, von den Mittelstufe-Kindern 71% die Kriterien für eine Posttraumatische Belastungsstörung.
Die Autoren resümieren: „Die Kinder von heute werden voraussichtlich, wenn sie älter werden, eine schlechtere Gesundheit haben als die heutigen Erwachsenen, weil sich die Folgen des Klimawandels weiter verschärfen.“
Auch deutsche Ärzteorganisationen warnen
Die deutsche Medizininitiative „Allianz Klimawandel und Gesundheit" (KLUG) sieht auch in Deutschland bereits gesundheitliche Auswirkungen des Klimawandels. „Bei uns sind aber eher ältere Menschen und chronisch Kranke betroffen", sagt Dr. Dieter Lehmkuhl, Vorstandsmitglied und Psychiater, „für sie sind die zunehmenden heißen Tage ein Risiko."
So habe der Hitzesommer 2003 rund 3.500 vorzeitige Todesfälle zur Folge gehabt. „Das größte umweltbedingte Risiko für die Gesundheit ist in Deutschland aber die Luftverschmutzung, vor allem Feinstaub." Hierfür seien auch Kinder und Jugendliche anfälliger, sagt Lehmkuhl, „die gesundheitlichen Folgen der Luftverschmutzung werden vermutlich bisher noch unterschätzt."
KLUG fordert unter anderem eine Verkehrswende, den schnellen Ausstieg aus der Kohleverbrennung bis spätestens 2030 und Klimaneutralität bis 2035.
Auch der Marburger Bund forderte kürzlich auf seiner Hauptversammlung den Stopp des Menschen-gemachten Klimawandels: „Das Klima ist ein entscheidender direkter und indirekter Faktor für die menschliche Gesundheit. Erderwärmung und Luftverschmutzung tragen jetzt und zukünftig zu einer Steigerung des Risikos für unsere Gesundheit bei.“
Ende Mai hat der Deutsche Ärztetag beschlossen, das Thema Klimawandel und Gesundheit im kommenden Jahr zu einem Schwerpunktthema zu machen. Die Initiative „doctors for future“ hatte auf dem Ärztetag demonstriert und Mediziner dazu aufgerufen, sich stärker zu Wort zu melden.
Auch in Deutschland gibt es bereits Klagen wegen fehlender Maßnahmen gegen den Klimawandel:
2015 verklagte ein peruanischer Bauer den Energiekonzern RWE, weil sein Haus durch den steigenden Wasserspiegel eines Gletschersees bedroht sei.
2018 reichten 11 Einzelpersonen beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesregierung ein, weil gesetzliche Vorschriften zur Bekämpfung des Klimawandels fehlten.
Im selben Jahr klagten 3 Landwirtsfamilien mit Unterstützung von Greenpeace gegen die Bundesregierung, weil sie durch den Klimawandel ihre Existenz bedroht sehen.
Alle Verfahren sind noch offen.
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: Klimawandel als „größter Notfall für die Gesundheit“: US-Ärzte unterstützen Klimaklage von jungen Menschen gegen die Regierung - Medscape - 19. Jun 2019.
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