Jedes Jahr kommt es zu 376 Millionen neuen Infektionen mit Trichomonaden, Chlamydien, Gonokokken oder Syphilis – so die neueste Schätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Verbreitung dieser 4 häufigen sexuell übertragbaren Infektionen (STI), die jetzt im Bulletin der WHO veröffentlicht worden ist [1].
Seit den letzten veröffentlichten Daten der WHO zu sexuell übertragbaren Infektionen (2012) gab es weder bei den Raten für Neuinfektionen noch bei den bestehenden Infektionen einen deutlichen Rückgang. Vielmehr lag die Zahl der Infizierten 2016 sogar gut 5% höher als bei der Schätzung von 2012.
„Das ist eine stille und gefährliche Epidemie“, stellte Dr. Melanie Taylor, Epidemiologin der Abteilung für reproduktive Gesundheit und Reproduktionsforschung der WHO, auf einer Pressekonferenz der WHO in Genf dazu fest. „Denn auf den Tag umgerechnet heißt das: Jeden Tag kommt es weltweit zu einer Million Neuinfektionen mit sexuell übertragbaren Erkrankungen.“
Chlamydien-Infektionen mit Abstand am häufigsten
Die Arbeit von Taylor und Kollegen zeigt weiter, dass es unter Männern und Frauen (Alter 15-49 Jahre) im Jahr 2016 insgesamt 127 Millionen Neuerkrankungen durch Chlamydien gab, 87 Millionen Neuerkrankungen durch Gonorrhoe, 6,3 Millionen Neuerkrankungen durch Syphilis und 156 Millionen Neuerkrankungen durch Trichomoniasis.
Die Zahl der Infizierten ist jedoch geringer, da Reinfektionen und Co-Infektionen häufig sind, so Taylor. Zwar stecken sich jedes Jahr etwa gleich viele Frauen und Männer neu an. Weil die Bakterien bei Frauen hartnäckiger sind, kommen Neuinfektionen bei Männern deutlich häufiger vor.
Mit einer Trichomonaden-Infektion leben nach der WHO-Schätzung weltweit 5,3% der Frauen und 0,6% der Männer. Chlamydien haben 3,8% der Frauen und 2,7% der Männer. Bei Gonorrhö und Syphilis sind es weniger als 1%.
In Afrika ist Trichomoniasis besonders verbreitet – 11,7% der Frauen leiden daran. In der Europa-Region – die bis Tadschikistan an der chinesischen Grenze reicht – sind von den 4 untersuchten STIs Chlamydien am weitesten verbreitet: bei 3,2% der Frauen und 2,2% der Männer.
Die Daten basieren auf der Auswertung von 130 Studien, die zwischen 2009 und 2016 zu Chlamydien, Gonorrhoe und Trichomoniasis durchgeführt wurden und für Syphilis auf nationalen Schätzungen, die mit der Spectrum-STI-Datenbank erstellt wurden.
Einer von 25 Menschen leidet an einer sexuell übertragbaren Infektion
„Umgerechnet leidet einer von 25 Menschen weltweit an mindestens einer dieser sexuell übertragbaren Infektionen und einige der Erkrankten haben auch mehrere dieser Infektionen gleichzeitig“, betonte Taylor.
Sie wies darauf hin, dass STIs einen großen Einfluss auf die Gesundheit von Erwachsenen und Kindern weltweit haben. „Gonorrhoe, Trichomoniasis, Chlamydien und Syphilis sind behandelbar, sie lassen sich durch Antibiotika heilen.
Unglücklicherweise aber treten die meisten dieser Infektionen ohne Symptome auf. Entsprechend sind sich viele Infizierte eines Risikos nicht bewusst und lassen sich deshalb auch nicht testen“, erläuterte Taylor. „Das Risiko, die Erkrankung auf den Sexualpartner zu übertragen oder als Schwangere auf das Ungeborene, ist deshalb hoch“, fügte sie hinzu.
Unbehandelt können STI Totgeburten und den Tod von Neugeborenen verursachen, zu Infertilität bei Männern und Frauen führen, sie können Eileiter-Schwangerschaften und neurologische und kardiovaskuläre Erkrankungen hervorrufen. Eine STI-Infektion erhöht auch das Risiko, sich mit HIV anzustecken.
„Allein die Syphilis verursachte 2016 schätzungsweise 200.000 Totgeburten bzw Todesfälle bei Neugeborenen. Sie ist damit eine der Hauptursachen für den Tod von Babys weltweit“, berichtete Taylor.
Taylor spricht von einer globalen Bürde durch STI und fügt hinzu: „Man muss sich auch klarmachen, dass in unserer Erhebung virale Infektionen – also Herpes, HPV und HIV – überhaupt nicht eingeschlossen sind.“ Zusätzlich sind nach Erkenntnissen der WHO Hunderte Millionen Menschen von Herpes- oder Humanen Papillomviren infiziert.
Erschwingliche Tests, frühe Therapie und Ermutigung zum Testen
„Sexuell übertragbare Infektionen sind viel verbreiteter als wir denken. Es wird ihnen aber zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Menschen, die an einer sexuell übertragbaren Infektion leiden, werden stigmatisiert, wir haben deutliche Mängel in der Versorgung und – was noch viel wichtiger ist – wir versagen bei der Prävention.“, machte Dr. Teodora WI, die für STI zuständige Ärztin bei der Abteilung für reproduktive Gesundheit und Reproduktionsforschung der WHO deutlich.
STI verbreiten sich überwiegend durch ungeschützten Sexualkontakt. Einige – darunter Chlamydien, Gonorrhö und Syphilis – können auch während der Schwangerschaft und Geburt oder, im Falle der Syphilis, durch Kontakt mit infiziertem Blut oder Blutprodukten und durch i.v.-Drogenkonsum übertragen werden. „Sexuell übertragbare Infektionen lassen sich durch sichere Sexualpraktiken vermeiden. Wir müssen offen über Sexualität reden, über sexuelle Gesundheit und Selbstschutz aufklären und auch für die Verwendung von Kondomen werben“, betonte WI.
Erschwingliche Tests und frühzeitig einsetzende Therapien seien dabei entscheidend. „Wir müssen Menschen, die sexuell aktiv sind auch ermutigen, sich auf mögliche sexuell übertragbare Infektionen testen zu lassen“, sagte WI. Wichtig sei, nach noch besseren Präventionsmöglichkeiten zu suchen, die Versorgung zu verbessern, Point-of-care-Diagnostika zu entwickeln und in neue Therapien und in die Impfstoff-Entwicklung zu investieren.
WI erinnerte auch daran, dass die Datenlage verbessert werden muss. Denn für die Erstellung der globalen Schätzung standen mehr Daten von Frauen als von Männern zur Verfügung: „STI-Prävalenzdaten sind für Männer weltweit nach wie vor spärlich“, so WI.
Alle bakteriellen STIs können mit allgemein verfügbaren Medikamenten behandelt und geheilt werden. Jüngste Engpässe bei der weltweiten Versorgung mit Benzathin-Penicillin machten es allerdings schwer, Syphilis zu behandeln. Die schnell zunehmende antimikrobielle Resistenz in der Therapie der Gonorrhoe stellt ebenfalls eine wachsende Gesundheitsgefährdung dar und kann schließlich dazu führen, dass die Krankheit nicht mehr behandelbar ist.
„Wir sehen einen besorgniserregenden Mangel an Fortschritten bei der Eindämmung der Ausbreitung sexuell übertragbarer Infektionen weltweit“, sagte Dr. Peter Salama, WHO-Direktor für flächendeckende Gesundheitsversorgung. Er bezeichnete die neuesten Verbreitungsdaten als „Weckruf“ und forderte gemeinsame Anstrengungen „damit jeder Mensch überall medizinische Dienste in Anspruch nehmen kann, um diesen Krankheiten vorzubeugen und sie zu behandeln“.
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: An jedem Tag eine Million Neu-Infektionen weltweit – WHO warnt mit neuen Zahlen vor „stiller“ STI-Epidemie - Medscape - 14. Jun 2019.
Kommentar