MEINUNG

Mutationen entscheiden über Überleben beim anaplastischen Gliom: Warum Onkologen nach der EORTC-CATNON-Studie umdenken müssen 

PD Dr. Georgia Schilling

Interessenkonflikte

10. Juli 2019

Überraschendes Ergebnis vom ASCO wird „Therapiealltag bei Hirntumoren verändern“: Die erste molekulare Analyse der EORTC-CATNON-Studie zum anaplastischen Gliom – erklärt von PD Dr. Georgia Schilling.

Transkript des Videos von PD Dr. Georgia Schilling:

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Georgia Schilling. Ich bin die leitende Oberärztin in der Onkologie der Asklepios-Klinik Hamburg-Altona. Ich möchte Ihnen heute eine Präsentation vom diesjährigen ASCO-Kongress vorstellen aus dem Bereich Neuroonkologie von Martin Van Den Bent. Und zwar geht es um die Interimsanalyse Nummer 2 der CATNON-Studie: lang erwartet, zumindest für mich. Ich habe mich gefreut, dass das jetzt präsentiert wurde, wenn auch mit für mich sehr überraschenden Ergebnissen.

Es geht um die 2. Interimsanalyse der CATNON-Studie, einer Intergroup-Studie der EORTC, und um die ersten molekularen Analysen in diesem Patientengut, bei anaplastischen Gliomen ohne 1p/19q-Codeletion. Die EORTC hatte 2 Studien bei den Grad-3-Gliomen: einmal die Codeletion-Studie, welche aber frühzeitig geschlossen wurde, weil ein Arm eine alleinige Strahlentherapie beinhaltete und wir aus anderen EORTC-Studien ja wissen, dass eine sequentielle Therapie aus Chemotherapie und Radiotherapie oder umgekehrt gerade bei den codeletierten Patienten große Vorteile im Overall Survival zeigt. Und die 2. Studie war eben die Gegenstudie bei den nicht codeletierten anaplastischen Gliomen. Das war die CATNON-Studie. Eine Phase-3-Studie im 2x2-faktoriellen Design. Nach der Operation wurde zunächst randomisiert ein Arm Strahlentherapie plus konkomitante Temozolomid-Gabe, eine alleinigen Strahlentherapie-Arm. Und dann gab es noch eine 2. Randomisierung, ob danach noch adjuvantes Temozolomid gegeben wurde oder nicht.

Die 1. Interimsanalyse wurde vor 2 Jahren auf dem ASCO präsentiert. Da konnte gezeigt werden, dass 12 Zyklen additives Temozolomid das Outcome der Patienten verbessert haben. Man hat darauf hingewiesen, dass man noch die Rolle der IDH-Mutation beleuchten und den MGMT-Status prüfen wird – und natürlich auch, welche Rolle die konkomitante Temozolomid-Gabe bei den Grad-3-Gliomen spielt.

Unser Klinikalltag ist so, dass wir die jungen Patienten mit einem anaplastischen Gliom doch so behandeln wie bei Glioblastomen. Das heißt, ein Stupp-Schema machen mit einer konkomitanten und einer additiven Temozolomid-Phase. Aber das sollte ja (durch die Studie) beantwortet werden. Deshalb war die 2. Interimsanalyse, die am 3. Juni präsentiert worden ist, so heiß erwartet und so spannend.

Man hat die Ergebnisse der molekularen Analysen publiziert, die MGMT-Methylierung und den IDH-1- beziehungsweise IDH-2-Mutationsstatus. Ausgewertet wurden über 750 Patienten. Die Analyse fand geplant statt nach 356 Ereignissen und einem medianen Follow-up von 56 Monaten – das ist ganz schön lang.

Wie gesagt, in der 1. Interimsanalyse konnte ein Benefit für die adjuvante Temozolomid-Gabe gezeigt werden über 12 Monate; länger als die klassische Stupp-Therapie war. Es war aber noch nicht konklusiv, was die konkomitante Gabe angeht.

Zu den Ergebnissen: Das 5-Jahres-Gesamtüberleben betrug 50,2% mit kombinierter erster Therapiephase und 52,7% ohne konkomitantes Temozolomid: für mich sehr überraschend. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass es keinen Benefit gibt. Aber so ist die Studie. Es gab noch mehr Überraschungen für mich.

Die IDH-Mutationen, die nachgewiesen wurden, betrugen 70%. Das finde ich extrem hoch im Patientengut mit anaplastischen Gliomen. In 70% wurde auch eine MGMT-Methylierung nachgewiesen. Auch das ist viel höher, als wir es in der Realität sehen.

Was kam noch heraus? Dass die konkomitante Gabe von Temozolomid keinen Benefit gezeigt hat in der gesamten Studienpopulation. Man hat gesehen, dass es Überleben mit IDH-Mutationen so viel besser ist als ohne, nämlich 116 Monate für die mutierten Fälle versus 19 Monate ohne die Mutation. Und man konnte zeigen, dass die IDH-Mutation prädiktiv war für die adjuvante und für die konkomitante Temozolomid-Gabe. Wir müssen wahrscheinlich umdenken.

Das Fazit ist: Konkomitantes Temozolomid ist in der gesamten Studienpopulation ohne Effekt. Aber es gibt eine Benefit für die IDH-mutierten Patienten. Und auch, was die additive Temozolomid-Gabe angeht, konnte das verbesserte Overall Survival nur bei den IDH-mutierten Patienten gezeigt werden. Wir müssen wahrscheinlich umdenken: weggehen von der MGMT-Methylierung. Wir müssen diese Ergebnisse erst mal in einen Kontext setzen. Aber ich bin überzeugt, dass diese Studie unseren Therapiealltag verändern wird.

Damit ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und fürs Zuhören. Bis zum nächsten Mal!

Kommentar

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