Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), Prof. Dr. Claus F. Vogelmeier, war Erstautor der neuen COPD-Leitlinie (S2k) (wie Medscape berichtete). Im Interview, das auf dem Jahrestreffen der DGIM im Mai in Wiesbaden stattfand, erklärt der Chef der Abteilung für Pneumologie (Standort Marburg) im Universitätsklinikum Gießen und Marburg für Medscape die wichtigsten neuen „Kernbotschaften“ der Leitlinie, die eine moderne Therapie von COPD-Patienten gewährleisten sollen. Ausdrücklich warnt er vor dem falschen Einsatz von Kortikosteroiden und Antibiotika. Und wie denkt er über Früherkennung, Sport und das Potential von E-Zigaretten?

Prof. Dr. Claus F. Vogelmeier
Medscape: Was sind die wichtigsten Punkte, die Ärzte mit Hilfe der neuen COPD-Leitlinie künftige in ihre Therapie einbeziehen sollten?
Prof. Vogelmeier: Die erste Kernbotschaft der deutschsprachigen COPD-Leitlinie ist, dass sich der behandelnde Arzt wirklich Mühe geben sollte, herauszufinden, wie die Krankheit seines Patienten tatsächlich heißt. Das hört sich trivial an, aber die Symptomatik ist nun mal meist unspezifisch. Typisch für einen COPD-Patienten ist Luftnot bei Anstrengung, aber das kann man bei sehr vielen Krankheiten haben. Der Arzt muss also herausfinden, ob wirklich eine COPD vorliegt.
Medscape: Gibt die Leitlinie dafür eine Hilfestellung?
Prof. Vogelmeier: Zum einen muss der Arzt die Symptome vom Asthma abgrenzen. Das gelingt mit einer Mustererkennung, die in der Leitlinie sehr schön ausgeführt ist. Außerdem muss man sich auch Mühe geben, Differentialdiagnosen außerhalb der Erkrankungen von Atemwegen und der Lunge im Blick zu haben. Ich denke dabei in erster Linie an die kardiovaskulären Erkrankungen, die ja die gleiche Symptomatik haben können. In der Leitlinie ist auch ausgeführt, wie man die Diagnose stellt. Wir gehen als Besonderheit auch auf die technischen Möglichkeiten ein, die wir in Deutschland haben.
Medscape: Was ist in dieser Hinsicht besonders an der deutschen Leitlinie?
Prof. Vogelmeier: Die internationalen Leitlinien setzen alle auf die Spirometrie als alleiniges Kriterium. Das zielt ein bisschen kurz, wenn man zusätzlich eine Bodyplethysmographie machen kann, hat man noch weitere Informationsquellen, die man nutzen kann. Denn es gibt sicher Patienten, die ein reines Lungenemphysem haben, bei denen man in der Spirometrie wenig sieht. Trotzdem haben sie schon deutliche Einschränkungen, die man dann in der Bodyplethysmographie mit Parametern abbilden kann, die Überblähung messen.
Medscape: Welche neuen Vorgaben gibt es für die Therapie?
Prof. Vogelmeier: Die Leitlinie stellt ganz klar heraus, dass man in 2 Kategorien denken muss – der medikamentösen und nicht-medikamentösen Therapie. Beide sind gleich wichtig. Für die medikamentöse Therapie gibt es das Primat der Bronchodilatation – als Einzel- oder als Kombinationstherapie. Kortikosteroide sollte man allerdings nur einsetzen, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind.
Medscape: Werden im Moment noch zu viele Kortikosteroide verordnet?
Prof. Vogelmeier: Ja, wir wissen inzwischen, dass in Deutschland noch zu viele Patienten mit inhalierbaren Kortikosteroide (ICS) behandelt werden, obwohl sie von ihrer Stadieneinteilung keine idealen Kandidaten sind für diese Therapie.
Medscape: Sie werden also falsch behandelt?
Prof. Vogelmeier: Genau. Die Idee wäre, nur Patienten der ICS-Therapie zuzuführen, bei denen diese Behandlung eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit hat.
Medscape: Woran kann man das erkennen?
Prof. Vogelmeier: Das zwingende Kriterium dafür ist, dass Patienten Exazerbationen haben. Man kann ganz banal im Umkehrschluss sagen: Wenn ein Patient keine Exazerbationen aufweist, ist er kein Kandidat für ein ICS.
Medscape: Wie geht man also idealerweise vor?
Prof. Vogelmeier: Man fängt mit Bronchiodilatatoren an. Wenn der Patient immer noch Exazerbationen hat, dann wäre das klassischerweise eine Eskalation und eine ICS-Therapie würde folgen. Als neuer Biomarker, der nicht in der deutschen Leitlinie steht, weil die Daten noch nicht solide genug waren, kann die Messung von eosinophilen Granulozyten im peripheren Blut eingesetzt werden. Das heißt: Patienten mit hohen Levels von Eosinophilen im peripheren Blut haben eine hohe Chance, dass sich durch die Gabe von inhalierbaren Kortikosteroiden ihre Exazerbationsfrequenz signifikant senken lässt. Wenn die Werte niedrig sind, ist die Erfolgswahrscheinlichkeit der ICS eher gering.
Medscape: Wird dieser Bluttest von den Krankenkassen bezahlt?
Prof. Vogelmeier: Der Test kostet nicht viel. Ein Differentialblutbild ist für Allgemeinärzte finanziell ohne Weiteres machbar und keine Belastung für das Praxisbudget. Die Aussagefähigkeit eines solchen Tests ist meines Erachtens hoch. Für uns Pneumologen ist dies der erste Biomarker, den wir zur Verfügung haben, der durchaus therapeutische Konsequenzen nach sich zieht. Fazit ist also: Hat der Patient Exazerbationen, ist das die potentielle Eintrittskarte für eine ICS-Behandlung. Sind außerdem die eosinophilen Granulozyten im Blut erhöht, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Patient auch auf die Kortikosteroide anspricht.
Medscape: Werden auch immer noch zu viel Antibiotika in der COPD-Therapie verabreicht?
Prof. Vogelmeier: Was den Einsatz von Antibiotika bei Exazerbationen betrifft, sind wir in der Leitlinie inzwischen sehr restriktiv. Wir haben darin verankert, dass man diese nur geben soll, wenn man klinische Hinweise darauf hat, dass der Patient eine bakterielle Infektion hat, also gelb-grüner bis tief grüner Auswurf. Je grüner, desto höher ist der Anteil an neutrophilen Granulozyten.
Medscape: Haben nicht die meisten COPD-Patienten eine chronische bakterielle Bronchitis?
Prof. Vogelmeier: Früher was es so, dass fast alle Patienten Symptome einer chronischen Bronchitis aufwiesen. Aber das ist deutlich zurückgegangen. Auch leidet nicht mehr jeder Patient unter Exazerbationen. Trotzdem wird häufig noch reflexartig ein Antibiotikum verschrieben, wenn der Patient von respiratorischer Seite her schlechter wird.
Medscape: Gefährdet man durch den übertriebenen Einsatz den COPD-Patienten, etwa weil sich Resistenzen bilden?
Prof. Vogelmeier: Zum einen ist meist für Antibiotika die Evidenz nicht gegeben. Wenn man sie wiederholt unnötig einsetzt, führt das potentiell nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für die Allgemeinheit zu Problemen.
Medscape: Für die Einteilung des Schweregrads einer COPD-Erkrankung wurde das Stadium 0 in der neuen Leitlinie abgeschafft, obwohl dies viele Patienten betrifft. Was hat das für Konsequenzen?
Prof. Vogelmeier: Diese Diskussion wird sehr intensiv geführt. Wir wollen natürlich als Pneumologen solche Patienten möglichst früh detektieren um Einfluss auf den Verlauf einer solchen Erkrankung zu nehmen. Die Idee des Konzepts „Stadium 0“ war dafüreinfach nicht zielführend. Es ist schwierig, den idealen Zeitpunkt für präventive Maßnahmen oder den Beginn einer medikamentösen Therapie zu definieren. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass es bei symptomfreien Patienten keinen Beleg dafür gibt, Lungenfunktionstests durchzuführen als eine Art Screening. Was allerdings von vielen Kollegen favorisiert wird ist das so genannte „early case finding“.
Medscape: Wie funktioniert das? Man kann ja nicht jeden, der ein bisschen hustet, zu einem Lungenfacharzt schicken.
Prof. Vogelmeier: Verschiedene Arbeitsgruppen versuchen gerade Fragebogen-Systeme zu entwickeln. Deren Ziel ist es, dass bei Erreichen eines bestimmten Punktwertes der Patient zum Spezialisten geschickt wird, der ihn evaluiert.
Ein anderer Weg ist das Lungenkrebs-Screening, was derzeit zur Debatte steht. Auf diesem Weg würde man sicher viele Patienten finden, die noch keine richtige oder nur eine geringe COPD-Symptomatik haben. Bei der Computertomographie, die für ein Screening gemacht wird, würde der Arzt deutliche Zeichen finden, wenn in den Atemwegen etwas nicht in Ordnung ist, oder sich ein Emphysem-zeigt. Das heißt mit der Bildgebung können wir beim Entdecken der frühen Stadien Fortschritte machen. Wir müssen Wege finden, wie wir die Patienten möglichst früh diagnostizieren.
Medscape: Gestatten Sie noch eine Schlussfrage zu Lebensstil und Prophylaxe: Glauben Sie, es ist einfacher, sich mehr zu bewegen oder das Rauchen aufzuhören?
Prof. Vogelmeier: (lacht) Ehrlich gesagt, glaube ich, dass es einfacher ist, sich mehr zu bewegen. Da bin ich sogar ziemlich sicher. Rauchen ist ein echtes Problem. Und man sollte vorsichtig sein, mit dem Finger auf andere Leute zu zeigen, um Schuldzuweisungen zu machen und schlimme Raucher zu verurteilen, weil sie nicht willig sind, aufzuhören. Das ist nicht der richtige Ansatz, weil das Suchtpotential von Nikotin sehr hoch ist.
Stattdessen brauchen wir in Deutschland eine Infrastruktur, die den Menschen hilft. Zum Beispiel in Entwöhnungszentren, in denen Pneumologen, Psychologen, Verhaltenstherapeuten und Psychiater individuell auf Menschen eingehen, damit sie von Zigaretten loskommen. Außerdem brauchen wir eine entsprechende Gesetzgebung, die wir deutschlandweit noch nicht haben. Stattdessen gibt es einen Flickenteppich. In jedem Bundesland herrschen andere Regeln für Rauchverbote.
Medscape: Und was halten Sie von E-Zigaretten?
Prof. Vogelmeier: Da müssen wir 2 Aspekte betrachten. Studien zeigen, dass Sie die Eintrittspforte in eine Suchtkarriere sein können. Daher bin ich der Meinung, dass man Jugendliche von E-Zigaretten fernhalten sollte. Eine andere Nummer ist, dass wir inzwischen erste wissenschaftliche Belege haben, dass Raucher mit Hilfe von E-Zigaretten das Rauchen aufhören können.
Die Quoten sind immer noch nicht toll, aber signifikant besser als ohne die Unterstützung von E-Zigaretten. Daher sollte man darüber nachdenken, wie man mit diesem Konzept noch bessere Erfolge erzielen kann. Ich denke, es ist eine faire Aussage, wenn der Raucher es schafft auf eine E-Zigarette umzusteigen, ist sein Gefährdungspotential voraussichtlich deutlich reduziert.
Medscape: Birgt der Dampf für Patienten, die bereits eine COPD haben, besondere Risiken?
Prof. Vogelmeier: Das wissen wir nicht. Über die schädigende Wirkung der Inhaltsstoffe von E-Zigaretten ist nur sehr wenig bekannt. Aus Tierversuchen können wir ableiten, dass E-Zigaretten auch ein Emphysem verursachen können. Natürlich unterscheidet sich aber die Nager-Lunge von der menschlichen Lunge. Bei aktiven Zigarettenrauchern, die schon eine COPD haben, müssen wir jedoch alles dafür tun, dass sie von den normalen Zigaretten wegkommen. E-Zigaretten können dabei möglicherweise helfen.
Medscape: Vielen Dank für das Gespräch.
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: COPD endlich optimal behandeln: DGIM-Präsident erklärt die Top-Diagnostik, Vorteile von Biomarkern und warnt vor Fehlmedikation - Medscape - 12. Jun 2019.
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