Chronische Obstipation als Symptom der Glutensensitivität und Zöliakie: Wie es dazu kommt, und was Patienten hilft

Petra Plaum

Interessenkonflikte

12. Juni 2019

Bregenz – Chronische Obstipation ist viel häufiger ein Symptom von Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten als bisher angenommen. Darauf hat Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Professorin für Klinische und Experimentelle Ernährungsmedizin und Bereichsleiterin Ernährungsmedizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, beim internationalen Ernährungskongress „Nutrition 2019“ in Bregenz hingewiesen [1].

Prof. Dr. Yurdagül Zopf

„Für diese Patienten ist vermeintlich Gesundes oft nicht gut und kann Entzündungen und Beschwerden auslösen“, berichtete Zopf. Wer mit Vollkornprodukten, viel Obst und Gemüse mehr leide als zuvor, bei dem sollten Ärzte auch an eine Reaktion auf Gluten und/oder fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole (FODMAP) oder andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten denken.

Von einer chronischen Obstipation ist in der aktuellen S2k-Leitlinie dann die Rede, wenn ein Patient mehr als 3 Monate lang seine Stuhlentleerung als unbefriedigend empfindet. 2 der folgenden Leitsymptome müssen für die Diagnose vorhanden sein:

  • starkes Pressen,

  • harter oder klumpiger Stuhl,

  • eine subjektiv unvollständige Entleerung,

  • eine subjektive Obstruktion oder

  • dass manuelle Manöver erfolgen müssen, um die Defäkation zu erleichtern.

Die Beschwerden müssen bei mindestens jeder 4. Stuhlentleerung vorliegen. Alternativ gilt auch als chronische Verstopfung, wenn weniger als 3 Stuhlentleerungen pro Woche vorkommen. Die Prävalenz liegt bei 15% der europäischen Bevölkerung, wobei Frauen und Ältere deutlich überrepräsentiert sind.

Eine Verstopfung kommt selten allein

Sofern Bestandteile des Weizens die Ursache der Verstopfung sind, klagen die Patienten nach Zopfs Erfahrung auch häufig zusätzlich über Symptome wie Depressionen, Stimmungsschwankungen, Erschöpfung, Gelenk-, Kopf- oder Muskelschmerzen. „Obstipation kann auch ein Symptom der Zöliakie sein, die noch immer im Durchschnitt erst nach 10 Jahren diagnostiziert wird“, so Zopf.

 
Obstipation kann auch ein Symptom der Zöliakie sein, die noch immer im Durchschnitt erst nach 10 Jahren diagnostiziert wird. Prof. Dr. Yurdagül Zopf
 

„Es ist auch bedenklich, wie viele Patienten, die lange unter ,Reizdarmsyndrom‘  geführt wurden, eine Zöliakie haben.“ Eine chronische Obstipation kommt aber auch bei Menschen mit Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Glutensensitivität vor, verdeutlichte Zopf. Die Prävalenz dieser Sensitivität liegt bei etwa 6% der deutschen Bevölkerung.

Die genauen Mechanismen, die zur Erkrankung führen, sind noch unbekannt. „Es wird davon ausgegangen, dass die Glutene toxische Effekte auf die Mukosa haben können“, informierte Zopf, „sowie dass Amylase-Trypsin-Inhibitoren die angeborene Immunantwort triggern.“

Amylase-Trypsin-Inhibitoren, kurz ATI, schützen Getreide natürlicherweise gegen Schädlinge. Besonders hohe ATI-Konzentrationen werden in den glutenhaltigen Getreidesorten Weizen, Roggen und Gerste gefunden, während die glutenfreien Nahrungsmittel, wie zum Beispiel Soja, Quinoa, Buchweizen, Reis, Hafer, Mais, Hirse oder Amaranth, einen sehr geringen ATI-Gehalt aufweisen.

Seit Jahren zeigen Studien am Mausmodell, dass ATI Entzündungsreaktionen verstärken können – ATI-reiche Lebensmittel aktivieren Makrophagen, Monozyten und dendritische Zellen. Dieser Prozess scheint bei manchen Menschen beschwerdefrei abzulaufen, bei anderen nicht.

„Ob die Verstopfung oder andere Symptome an den ATI liegen, ist noch unklar. Oft sind Blut- und Hauttests auf Allergien unauffällig“, so Zopf. „Eine reine ATI-freie Diät gibt es noch nicht.“ Eine glutenarme oder -freie Diät, die somit auch stark ATI-reduziert ist, käme dem immerhin schon nahe und könne Patienten womöglich helfen.

Mehr FODMAP, mehr Beschwerden?

Manchmal ist es aber wohl doch nicht (nur) das Getreide, das die Verdauung ausbremst, sondern ein Inhaltsstoff, der auch in anderen, als gesund geltenden Lebensmitteln steckt: fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole, kurz FODMAP. Eine Ernährungsweise, die arm an FODMAP ist, lindert oft die Beschwerden.

Was dieses Ziel schwer zu erreichen macht, ist, dass FODMAP-Quellen neben Getreide auch Milch, Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Süßstoffe und Nahrungsergänzungsmittel sind.

„Diese kurzkettigen Kohlenhydrate sind wenig bis gar nicht im Dünndarm resorbierbar“, erklärte Zopf, „die Abbauprozesse durch Darmbakterien im terminalen Ileum und Colon verursachen bei manchen Menschen gastrointestinale Beschwerden, zum Beispiel Blähungen oder auch Verstopfung.“

Diese Symptomatik nimmt zu, weil auch der FODMAP-Anteil der Diät hierzulande zugenommen hat, verdeutlichte Zopf: „Der Fruktose-Konsum ist angestiegen, möglicherweise auch der Weizenanteil der Ernährung, Inulin gibt es in Nahrungsergänzungsmitteln und Functional Food, Polyole sind Fertigmahlzeiten zugesetzt.“

Beim Verdacht, dass die Obstipation an FODMAP liegt, müssen Patienten in Bezug auf die Eliminationsdiät umfassend beraten und behutsam begleitet werden, sonst ist ein Nährstoffmangel möglich.

Ob eine FODMAP-arme Diät gastrointestinale Beschwerden lindern kann, hat Zopf kürzlich mit einer Gruppe von Kollegen erforscht. 19 symptomatische Patienten mit Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Glutensensitivität und 10 gesunde Erwachsene bekamen je 2 Wochen lang eine FODMAP-arme Diät, anschließend eine glutenfreie Diät. Beide Kostformen verbesserten das Wohlbefinden, und eine veränderte Zusammensetzung der Darmflora ließ sich nach jeder Intervention nachweisen.

Die Wissenschaftler schlussfolgerten, dass „Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Glutensensitivität eine multifaktorielle Ätiologie“ habe, „aufgrund eines funktionalen Effekts, der durch FODMAP verursacht wird, kombiniert mit einer milden, durch Gluten getriggerten Immunreaktion und einer Dysbalance der Mikrobiota.“

Anamnese, Eliminationsdiät, Prä- und Probiotika

Patienten mit Obstipation und unspezifischen anderen Symptomen sind in Zentren gut aufgehoben, vermittelte Zopf am Ende ihres Vortrags – zum einen zum Ausschluss einer Zöliakie, zum anderen zur Beratung zu möglichen anderen Ursachen. „Wir sollten FODMAP austesten, aber nicht blind“, betonte sie.

 
„Ob die Verstopfung oder andere Symptome an den ATI liegen, ist noch unklar. Prof. Dr. Yurdagül Zopf
 

Bewährt habe sich an ihrer Klinik eine 2-wöchige Eliminationsdiät, gefolgt von einer behutsamen Wiedereinführung, dann – je nach Diagnose – die Adaptation an den geeigneten Ernährungsstil.

Neben Ernährungsumstellungen und Medikamenten kämen auch prä- und probiotische Therapien infrage: „Wir arbeiten viel damit, und von E. coli Nissle profitieren viele Patienten mit Obstipation“, so Zopf. Einer neuen Studie zufolge können Lactobacillus-Gaben die entzündlichen Reaktionen auf ATI vermindern, zumindest bei Mäusen.

Auch sonst ist noch viel rund um mögliche unliebsame Folgen des Weizenkonsums zu erforschen. Die Diagnostik, so Zopf, muss viel besser werden: „Serologische Tests sind extrem unbefriedigend.“

Viele Personen mit chronischer Obstipation und anderen Beschwerden fühlten sich schon entlastet, wenn sie ernst genommen werden und wenn sie hören: „Bei Ihrer Verstopfung konsumieren Sie lieber keine Vollkornprodukte und nicht jedes Obst und Gemüse – wir schauen erst mal, ob Sie das überhaupt vertragen.“
 

Kommentar

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