60% der jungen Männer in der Schweiz erreichen die Normwerte der Weltgesundheitsorganisation WHO im Spermiogramm nicht. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher um Rita Rahban vom Institut für Genetik & Evolution der Universität Genf in Andrology [1]. Basis war eine Kohorte mit über 2.500 jungen Rekruten.
Dr. Alfred Senn vom Institut für Genetik & Evolution der Universität Genf rät allerdings, diese Ergebnisse mit Augenmaß zu interpretieren, denn es seien aktuell keine Aussagen zur Fruchtbarkeit einzelner Personen möglich. „Insgesamt deuten die Ergebnisse aber darauf hin, dass sich die Spermienqualität junger Männer in der Schweiz in einem kritischen Zustand befindet und dass ihre zukünftige Fruchtbarkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit beeinträchtigt wird“, ergänzt der Coautor.
Sein Kollege Prof. Dr. Serge Nef kommentiert: „Es ist wichtig zu verstehen, dass sich der Zeitaufwand für die Empfängnis signifikant erhöht, wenn die Spermienkonzentration eines Mannes unter 40 Millionen Spermien pro ml liegt.“ Ein Mann, dessen Spermienkonzentration unter 15 Millionen pro ml liege, könne als unfruchtbar eingestuft werden und habe ungeachtet der Fruchtbarkeit seiner Partnerin mit größerer Wahrscheinlichkeit Probleme bei der Zeugung. Bei Unfruchtbarkeit kommt es bekanntlich nach 12 Monaten regelmäßigen ungeschützten Geschlechtsverkehrs nicht zu einer Schwangerschaft.
Erstmals Daten für die Schweiz
Genau hier sehen Forscher Probleme: In den letzten 50 Jahren wurde in der westlichen Welt ein deutlicher Rückgang der Spermienzahl beobachtet. Einem älteren Review und einer Metaanalyse zufolge hat sich die Spermienkonzentration bei Männern in Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland zwischen 1973 und 2011 um mehr als die Hälfte verringert (wir berichteten).
Daten für die Schweiz gab es bislang nicht. Allerdings hat sich die Zahl der unfruchtbaren Paare, die sich für eine künstliche Befruchtung entscheiden, zwischen 2002 und 2010 von 3.000 auf über 6.000 pro Jahr verdoppelt.
Vor diesem Hintergrund wollten Rahban und ihre Kollegen wissen, ob die Spermienqualität hier von Bedeutung ist. Ihre Kohorte umfasste 2.523 junge Männer im Alter von 18 bis 22 Jahren. Die Teilnehmer gaben Proben ihres Samens im Rahmen der Rekrutierung ab. Sie füllten zudem einen Fragebogen zur Gesundheit, zum Lebensstil, zur Ernährung und zur Bildung aus. Ihre Eltern machten ähnliche Angaben, hier wurde auch der Verlauf der Schwangerschaft abgefragt.
60 Prozent unterschritten beim Ejakulat die WHO-Normwerte
Die Samenqualität wird durch 3 wichtige Parameter definiert:
die Spermienkonzentration (Anzahl der Spermien pro ml),
ihre Beweglichkeit und
ihre Morphologie.
Laut „WHO laboratory manual for the Examination and processing of human semen“ liegen die Normwerte :
bei mindestens 15 Millionen Spermien pro ml,
mindestens 32% müssen vorwärtsbeweglich sein und
mindestens 4% eine ovale Form aufweisen.
17% der jungen Männer hatten eine Spermienkonzentration unter 15 Millionen pro ml, und bei 25% waren weniger als 40% der Spermien beweglich. Die Rate an morphologisch normalen Formen lag bei 40% der Probanden unter 4%.
60% der Männer erreichten nicht die WHO-Normwerte in einem oder in mehreren Bereichen. Bei 5% waren sogar alle 3 Faktoren betroffen.
Die Autoren schreiben, eine Stärke der Arbeit sei, dass es im Vergleich zu ähnlichen europäischen Studien nicht nur Daten aus Städten gebe, sondern aus allen Regionen der Schweiz. Als Schwäche erwähnen sie, dass aus manchen Regionen nur wenige Probanden an der Studie teilgenommen hätten.
Auf der Suche nach möglichen Risiken fanden Rahban und ihre Kollegen nur eine Assoziation mit mütterlichem Rauchen während der Schwangerschaft. Regionale Effekte – die Probanden wurden dabei einzelne Kantonen zugeordnet – gab es nicht.
Offene Fragen zur Fruchtbarkeit mit Follow-up klären
Die Forscher planen, ihre Kohorte mindestens 10 Jahre weiter zu begleiten, um herauszufinden, warum sich in der Schweiz Fälle von Hodenkrebs häufen. Als mögliche Risikofaktoren kommen Umwelteinflüsse in Betracht.
Es geht auch um die Frage, wie viele Kinder gezeugt werden. „Angesichts des Trends, dass Paare später Kinder bekommen, wird sich die geringe Spermienzahl bei jungen Männern in der Schweiz in Verbindung mit der sinkenden Fruchtbarkeit älterer Frauen auf die Empfängnisraten und die künftigen Generationen auswirken“, vermutet Rahban.
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: 60% unter der WHO-Norm – Studie enthüllt miese Spermienqualität bei Schweizer Rekruten - Medscape - 11. Jun 2019.
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