Frauen, die weder unter- noch übergewichtig sind, wenn sie schwanger werden, haben das geringste Risiko für Kaiserschnitte, Gestationsdiabetes und Entwicklungsstörungen des Kindes. Dies zeigt eine aktuelle Publikation der multinationalen LifeCycle Project-Maternal Obesity and Childhood Outcomes Study Group in JAMA [1]. Der Effekt ist weitgehend unabhängig davon, wieviel die Schwangere in den folgenden 9 Monaten zunimmt.
Die (Gewichts-)Beratung von Frauen mit Kinderwunsch – deutlich vor Schwangerschaftsbeginn – könnte daher künftig wichtiger werden. Hinzu kommt, dass Beratungskonzepte, die die Gewichtszunahme während der Schwangerschaft regulieren sollen, bisher nicht erfolgreich waren.
In die Metaanalyse wurden 25 Publikationen mit rund 200.000 Schwangerschaften einbezogen. Ausgewertet wurden ungünstige Ereignisse („adverse outcomes“). Hierunter zählten Präeklampsie, Schwangerschaftshochdruck, Gestationsdiabetes, Kaiserschnitt, Frühgeburt und ein Geburtsgewicht unterhalb der 10. beziehungsweise oberhalb der 90. Perzentile.
Bei einem BMI zwischen 20 und 25 kg/m² lag das Risiko für ungünstige Ereignisse knapp über 30% – und zwar für eine Gewichtszunahme zwischen 6 und 20 Kilogramm. Das Risiko stieg auf über 40%, wenn die Frau weniger als 8 kg oder mehr als 24 kg zugenommen hatte.
Bei untergewichtigen Frauen lag das Risiko bei über 40%, wenn die Frauen weniger als 12 kg zunahmen. Nahmen die Frauen dagegen 12 kg und mehr zu, so sank das Risiko konstant unter 40%.
Bei übergewichtigen Frauen lag das Risiko immer über 40%, unabhängig vom Ausmaß der Gewichtszunahme. Bei einem BMI über 40 sank das Risiko niemals unter 50%, auch dann nicht, wenn die Frauen nur sehr wenig an Gewicht zulegten. Das Risiko stieg hingegen auf über 70% bei einer Gewichtzunahme von 15 kg oder mehr.
Kaiserschnitte vermeiden – schon vor der Schwangerschaft
Aufschlussreich ist auch die Analyse der einzelnen Risikofaktoren. So lag die Kaiserschnittfrequenz bei den unter- und normalgewichtigen Schwangeren im Mittel bei 12,6 bzw. 14,1% und stieg erst ab einer Gewichtszunahme von 18 bzw. 22 kg geringfügig an.
Bei einem BMI zwischen 30 und 35 stieg die Kaiserschnittfrequenz ab einer Gewichtszunahme von 25 kg auf 40%, und bei Frauen mit einer schweren Adipositas – einem BMI über 40 – lag sie, abhängig von der Gewichtszunahme zwischen 35 und 45%.
Dazu kommentiert Prof. Dr. Frank Louwen, Frankfurt, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), dass auch in Deutschland die Perinatal-Erhebungen eine Korrelation zwischen BMI und Sectiorate sehen: „In Deutschland sind 53% aller Frauen übergewichtig, 23% adipös.“
Louwen weiter: „Frauen, die schon vor der Schwangerschaft schwer adipös sind, haben nach der in der JAMA publizierten Metaanalyse eine Kaiserschnittrate von fast 40 Prozent, normalgewichtige Frauen eine von weniger als 20 Prozent“.
Die Ergebnisse bestätigten, dass die Bekämpfung von Übergewicht vor dem Start der Schwangerschaft eine wesentliche Maßnahme sei, um die zu hohe Kaiserschnittfrequenz in Deutschland spürbar zu senken. Diesbezüglich verweist er auch darauf, dass die DGGG derzeit eine Leitlinie zum Thema „Adipositas in der Schwangerschaft“ erarbeitet.
Gestationsdiabetes, Schwangerschaftshypertonie, Präeklampsie: Bei Normalgewicht sehr selten
Aber auch abgesehen von der Kaiserschnittfrequenz machte sich das Körpergewicht der Mütter in der Risikostatistik bemerkbar: Präeklampsie, Bluthochdruck und Schwangerschaftsdiabetes traten nur bei 2,6%, 3,0% und 1,1% der normalgewichtigen Frauen auf. Bei Adipositas Grad II (BMI 35 bis 39,9) wurden sie bei 13,9%, 10,5% und 6,6% der Frauen diagnostiziert.
Die Abhängigkeit von der Gewichtszunahme in der Schwangerschaft fiel hingegen moderat aus: Präeklampsie-Raten von 20% wurden bei schwer adipösen Schwangeren sowohl bei einer sehr geringen (3 kg) als auch bei einer höheren (13 kg) Zunahme beobachtet.
Das Gleiche galt bei den stark adipösen Frauen auch für Gestationshypertonie und -diabetes. Nur bei mittlerem Übergewicht stellten die Autoren einen linearen Zusammenhang zwischen Gewichtszunahme und Diabetes-Risiko fest.
Kindliches Über- und Untergewicht
Ein deutlicher Zusammenhang zeigte sich dagegen über alle Gewichtsklassen hinweg zwischen dem Gewicht des Kindes und der Gewichtszunahme der Mutter. So kam bei untergewichtigen Müttern und einer Gewichtszunahme von weniger als 10 kg mehr als jedes vierte Kind untergewichtig zur Welt. Und auch bei einer deutlichen Gewichtszunahme der Mutter lag in knapp 20% das kindliche Gewicht bei der Geburt trotzdem noch unterhalb der 10. Perzentile.
Das Risiko, mit einem Körpergewicht oberhalb der 90. Perzentile geboren zu werden, stieg sowohl mit dem Ausgangsgewicht der Mutter als auch mit der Gewichtszunahme. Es lag unter 10% bei Normalgewichtigen mit geringer Gewichtszunahme und stieg auf knapp 40% bei adipösen Müttern mit einer hohen Gewichtszunahme.
Die Autoren folgern, dass es nur einen sehr schwachen Zusammenhang zwischen Gewichtszunahme in der Schwangerschaft und Schwangerschaftsrisiken gibt. Sie fordern, dass die Leitlinien über die empfohlene Gewichtszunahme während der Schwangerschaft diskutiert werden sollten, und dass es individuelle Risikoeinschätzungen brauche.
Beratung während der Schwangerschaft wirkungslos
Vor diesem Hintergrund sind die enttäuschenden Ergebnisse des in Bayern mit großem Aufwand durchgeführten GeliS-Projekts aufschlussreich, die vor wenigen Monaten publiziert wurden: In der Interventionsstudie „Gesund leben in der Schwangerschaft“ (GeliS) unter Leitung von Prof. Dr. Hans Hauner, München, waren 2.286 schwangere Frauen in Bayern 3-mal intensiv und individuell zu Ernährung und Bewegung in der Schwangerschaft beraten worden.
Letztlich hatten die Beratungen aber keinen Einfluss auf die Gewichtszunahme der Mütter, auf die Inzidenz von Gestationsdiabetes, Bluthochdruck und Frühgeburtsbestrebungen.
Die Ergebnisse der aktuellen JAMA-Publikation bestätigt auch die viel beachtete SCOPE-Studie aus dem Jahr 2014. In dieser groß angelegten prospektiven Kohortenstudie mit über 5.000 Erstgebärenden haben Wissenschaftler aus Großbritannien, Irland und Neuseeland Faktoren identifiziert, die mit nachfolgenden gesunden Schwangerschaften assoziiert sind.
Sie haben festgestellt, dass die Normalisierung des Gewichts, ein normaler Blutdruck und der Verzicht auf Alkohol schon vor der Schwangerschaft wesentlich dafür verantwortlich ist, dass sich während der Schwangerschaft keine Komplikationen und Risiken entwickeln.
Lebensstil lange vor der Schwangerschaft korrigieren
„Die einzige Möglichkeit, die wir in der Konsequenz sehen, ist die, alle Frauen lange vor der konkreten Familienplanung zu beraten und zu einem gesunden Lebensstil zu ermuntern“, erläutert die Frauenärztin Dr. Marianne Röbl-Mathieu, München, Protagonistin des Preconception Counselling in der Kassenärztlichen Vereinigung, des Berufsverbands der Frauenärzte, des Bayerischen Gesundheitsministerium und von vielen anderen Institutionen.
„Frauen mit einem normalen Gewicht haben viel weniger Probleme in der Schwangerschaft, seltener Bluthochdruck und Schwangerschaftsdiabetes, und sie brauchen deutlich seltener einen Kaiserschnitt. Außerdem haben auch ihre Kinder bessere Voraussetzungen, um selbst schlank und metabolisch gesund zu bleiben.“
Deshalb sei es, so Röbl-Mathieu, wesentlich, junge Frauen bei jedem sich bietenden ärztlichen Gespräch zu ermutigen, normalgewichtig und körperlich aktiv zu bleiben und mit diesen Gewohnheiten irgendwann in ihre Schwangerschaften zu gehen. „Werden die Frauen erst beraten, wenn sie schon schwanger sind, ist es für die Vermeidung von Risiken für Mutter und Kind oft zu spät.“
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: Neue Studie: In der Schwangerschaft ist es meist zu spät – nur Gewichtsberatung vorher kann Komplikationsrisiko senken - Medscape - 12. Jun 2019.
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