Zeit für die Reanimation 2,0? Herzdruckmassage ohne Beatmung ist sogar effektiver – weil sie Laien leichter fällt

Dr. Angela Speth

Interessenkonflikte

6. Juni 2019

Die Herzdruckmassage ohne Mund-zu-Mund-Beatmung bei Menschen mit Herzstillstand muss neue Richtlinie werden! Mit dieser Forderung reagiert die Deutsche Herzstiftung auf eine schwedische Studie zur Laien-Reanimation [1]. Die Forscher haben festgestellt: Sind die Vorgaben einfacher, trauen sich Ersthelfer viel eher eine Wiederbelebung zu, so dass die Überlebenschancen der Patienten steigen.

 
In den ersten Minuten nach einem Herzstillstand ist nicht die Beatmung entscheidend, sondern den Blutfluss durch Herzdruckmassage wieder in Gang zu bringen. Prof. Dr. Dietrich Andresen
 

„In den ersten Minuten nach einem Herzstillstand ist nicht die Beatmung entscheidend, denn die Sauerstoffvorräte im Körper reichen noch für 7 bis 8 Minuten. Entscheidend ist, den Blutfluss durch Herzdruckmassage wieder in Gang zu bringen, damit der Sauerstoff ins Gehirn gelangt“, sagte Prof. Dr. Dietrich Andresen, der Vorstandsvorsitzende der Herzstiftung, im Gespräch mit Medscape.

Laien sind leicht mit der Komplexität der Aufgaben überfordert

Wie der Leiter der Kardiologie am Ev. Hubertus-Krankenhaus/Herzmedizin Berlin erläutert, ist der Nutzen einer Beatmung nicht nur ungewiss, sondern kann geradezu kontraproduktiv sein. Denn die meisten Laien sind, zumal in einer heiklen Notfallsituation, mit der Komplexität der Aufgaben überfordert, wenn sie glauben, zusätzlich zur Herzdruckmassage auch noch beatmen zu sollen. Und bevor sie etwas falsch machen, machen sie lieber gar nichts.

Ein Team um Dr. Gabriel Riva von der Karolinska-Universität Stockholm wollte feststellen, ob und wie sich die Häufigkeit und die Formen der Reanimation sowie das 30-Tage-Überleben der Patienten während 3 aufeinander folgenden Perioden verändert haben: von 2000 bis 2005, von 2006 bis 2010 und von 2011 bis 2017.

 
Pro Minute Herzstillstand sinken die Überlebenschancen um 10 Prozent. Prof. Dr. Dietrich Andresen
 

Grundlage waren die Daten von 30.445 Patienten mit Herzstillstand, deren Reanimation an das landesweite schwedische Register für Herz-Lungen-Wiederbelebung gemeldet worden war. Darin speisen Rettungsteams aller 21 Distrikte die Angaben gemäß einem Standardprotokoll ein. Für die Studie wurden 2 Varianten einer Reanimation verglichen: Herzdruckmassage mit Beatmung und Herzdruckmassage ohne Beatmung.

Die Rate der alleinigen Herzdruckmassage hatte sich versechsfacht

Ergebnis: Im Beobachtungszeitraum von 2000 bis 2017 erhöhte sich die Zahl der Menschen eklatant, die vor dem Eintreffen des Notfallwagens eine der beiden Reanimationsformen erhielten: von 40,8% über 58,8% bis auf 68,2%. Parallel sank die Zahl der nicht reanimierten Herzstillstand-Patienten von 59% auf 32%.

Für die Variante „alleinige Herzdruckmassage“ fanden die Forscher sogar eine versechsfachte Rate: Sie stieg von 5,4% erst auf 14%, dann auf 30,1%. Nur geringfügig erhöhte sich die Anwendung der Kombination Herzdruckmassage plus Beatmung, und zwar von 35,4% über 44,8% auf 38,1%.

Das sei ein enormer Anstieg der Reanimation durch Laien, lautet das Fazit der Deutschen Herzstiftung in einer Mitteilung. Den Grund dafür sieht Andresen darin, dass die Hürden für die Erste Hilfe abgebaut wurden: „Gleichzeitig Herzdruckmassage und Beatmung machen zu müssen, lähmt ungeschulte Laien.“

Diese Erfahrung stammt aus eignen Untersuchungen gemeinsam mit der Berliner Feuerwehr. „Zumal die Mund-zu-Mund-Beatmung Überwindung kostet; viele fürchten sich vor Infektionen. Besonders die Vorstellung, sich mit Aids anzustecken, wirkt abschreckend“, berichtet der Kardiologe.

 
Die Ergebnisse sprechen dafür, in den Leitlinien verstärkt eine Reanimation mit Herzdruckmassage ohne Beatmung als Option zu empfehlen. Dr. Gabriel Riva und Kollegen
 

Häufig gäben Befragte auch an, Widerwillen dagegen zu empfinden, eine fremde Person mit dem Mund zu berühren. Wieder andere haben Angst vor Fehlern, etwa dem hilflosen Menschen, der vor ihnen liegt, bei der Herzdruckmassage die Rippen zu brechen.

Nur 5.000 von 65.000 Patienten mit plötzlichem Herzversagen überleben

Die Folgen sind fatal: „Viele Ersthelfer wählen nur die 112 und warten dann untätig aufs Rettungsteam, statt selbst mit einer Reanimation zu beginnen“, bedauert Andresen. So haben nur 40% der ungefähr 65.000 Menschen, die jährlich in Deutschland ein plötzliches Herzversagen erleiden, das Glück, von Anwesenden wiederbelebt zu werden, bevor der Notfallwagen eintrifft.

Das ist einer der Gründe, warum mehr als 60.000 dieser Patienten sterben. „Pro Minute Herzstillstand sinken die Überlebenschancen um 10 Prozent“, stellt Andresen fest. Zudem könne Nichtstun für den Notfallpatienten nach wenigen Minuten schon schwerste bleibende Hirnschädigungen bedeuten.

Wie er erläutert, sind die häufigsten Ursachen von Herzstillstand ein Infarkt oder Kammerflimmern. Einem Drittel der Fälle von Kammerflimmern liegt ein Herzinfarkt zugrunde.

Dass sich die erhöhte Bereitschaft zur Reanimation sehr vorteilhaft auf die 30-Tage-Überlebensraten auswirkt, zeigte die schwedische Studie ebenfalls: Mit Herzdruckmassage plus Beatmung stiegen die Chancen von 9,4% über 12,5% auf 16,2%, mit alleiniger Herzdruckmassage von 8% über 11,5% auf 14,3%.

Beide Formen der Wiederbelebung waren mit einer Verdoppelung der Überlebensraten verknüpft im Vergleich zu Patienten, die keinerlei Reanimation erhielten. Zwar waren die Überlebenschancen nach Herzdruckmassage plus Beatmung im Vergleich zu alleiniger Herzdruckmassage insgesamt signifikant höher, allerdings nur geringfügig: 13,8% zu 13,5%, dagegen lediglich 5,8%, wenn keine Reanimation erfolgte.

Die schwedischen Forscher plädieren für eine Vereinfachung der Leitlinien

„Die Ergebnisse sprechen dafür, in den Leitlinien verstärkt eine Reanimation mit Herzdruckmassage ohne Beatmung als Option zu empfehlen, weil dies mit erhöhten Reanimations- und Überlebensraten assoziiert ist“, schreiben die Autoren.

Prof. Dr. Dietrich Andresen

Dem schließt sich die Herzstiftung an, nicht ohne in diesem Zusammenhang auf einen Faktor hinzuweisen, über den sich viele Laien unsicher sind: Die Kleidung des Patienten brauche nicht entfernt zu werden.

 
Je einfacher die Erste Hilfe wird, desto mehr Menschen trauen sie sich zu: Puls prüfen, 112 wählen, dann drücken, drücken, drücken ... Prof. Dr. Dietrich Andresen
 

Eine Mund-zu-Mund-Beatmung sollte nur von Personen angewendet werden, die nachhaltig ausgebildet sind und die einzelnen Schritte sicher beherrschen, bestätigt Andresen und fügt hinzu: Aber welche Laien sind schon gut geschult?

Handlungswissen geht ebenso verloren wie Faktenwissen, weshalb ein einmaliges Training nicht ausreiche. Insofern sei es schade, dass noch nicht alle Hilfsorganisationen, etwa das Deutsche Rote Kreuz, die neuen Erkenntnisse in den Erste-Hilfe-Kursen für Führerscheinanwärter umsetzen, sondern unverändert die Kombination beider Maßnahmen lehren.

Werden die Ergebnisse in die deutschen Leitlinien von 2020 eingehen?

Jedoch, es besteht die Aussicht auf Änderung: Im Jahr 2020 wird die nächste überarbeitete Version der bisherigen Reanimations-Leitlinien von 2015 erscheinen, erfährt man auf der Website des Deutschen Rats für Wiederbelebung – German Resuscitation Council (GRC), dem vor allem Anästhesisten und Intensivmediziner angehören. Als Kardiologe würde Andresen für eine Revision im Sinn der schwedischen Studienergebnisse plädieren.

„Aus eigener Erfahrung, aber auch aus Studien wissen wir schon länger, dass viel mehr Menschen den Mut haben bei Herzstillstand zu reanimieren, wenn sie die alleinige Herzdruckmassage ohne Mund-zu-Mund-Beatmung anwenden können“, resümiert Andresen. „Je einfacher die Erste Hilfe wird, desto mehr Menschen trauen sie sich zu. Und jetzt kann sie auf eine ganz simple Formel gebracht werden: Puls prüfen, 112 wählen, dann drücken, drücken, drücken ...“
 

Kommentar

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