Wenn die Arbeit Ärzte krank macht – Ärztetag fordert bessere Arbeitsbedingungen, aber auch mehr Selbstfürsorge

Christian Beneker

Interessenkonflikte

5. Juni 2019

Münster – „Was? Sie sind krank? Aber Sie sind doch Arzt!“, so zitierte der niedersächsische Arzt Dr. Thomas Stiller auf dem 122. Ärztetag einen seiner Patienten [1]. Dass Ärzte einzig wegen ihres Berufes stets gesund bleiben, gehört allerdings zu den Irrtümern, denen offenbar nicht nur Patienten aufsitzen. Auch viele Ärztinnen und Ärzte selbst glauben das.

Zu diesem Schluss muss man kommen, wenn man die Referate und die Debatte auf dem diesjährigen Ärztetag in Münster zum TOP II verfolgte: „Wenn die Arbeit Ärzte krank macht“.

Aber: Wie die ärztliche Arbeit nicht mehr krank machen könnte, war umstritten: Gehören die äußeren Arbeitsumstände geändert? Oder müssen sich die Ärzte selbst ändern, anders führen und mit sich selbst fürsorglicher sein? Oder beides?

Ärzte haben ein Recht auf Arbeitssicherheit

Jedenfalls nehmen Ärztinnen und Ärzte derzeit offenbar Arbeitsbedingungen in Kauf, die in der Industrie niemals akzeptiert würden. Das sagte Prof. Dr. Monika A. Rieger vom Institut für Arbeitsmedizin der Universität Tübingen. „Ärzte arbeiten unter Umständen, unter denen kein Arbeiter in einem Autowerk einen Motor zusammenschrauben würde. Ärzte fordern zu wenig ein.“

Tatsächlich sei zum Beispiel die Handhaltung des Operateurs bei laparoskopischen Operationen eine schädliche Zwangshaltung. Sie könnte durch ein ergonomisches Griffstück und eine variable Tischhöhe entschärft werden. „Ärzte haben ein Recht darauf, dass sie nicht in Zwangshaltungen operieren müssen!“, betonte Rieger.

 
Ärzte arbeiten unter Umständen, unter denen kein Arbeiter in einem Autowerk einen Motor zusammenschrauben würde. Prof. Dr. Monika A. Rieger
 

Auch die Arbeit mit OP-Robotern und der elektronischen Patientenakte seien aus arbeitsmedizinischer Sicht mit Vorsicht zu genießen, weil die gesteigerte Informationsdichte und das Multitasking hohe Ansprüche an die Aufmerksamkeit der Ärzte stellen. „Daran muss man denken, wenn man solche Neuerungen implementiert“, sagte Rieger.

Indessen machen auch psychische Belastungen die Arbeit zur Krankheitsquelle. So kann ein unausgewogenes Verhältnis von Anstrengung und Lohn sowie von Anforderung und Unterstützung bei der Arbeit zu psychischen Erkrankungen führen, zu Herz-Kreislauferkrankungen oder zu Sucht.

Prof. D. Harald Gündel von der Universitätsklinik für psychosomatische Medizin setzt beim Verhalten der Betroffenen an. „Was können wir selbst dafür tun, um gerne zur Arbeit zu gehen? Um gute Mitarbeiter zu gewinnen und sie zu behalten? Wie kann ich gesund bleiben und dabei meine Resilienz stärken?“

Denn der wichtigste Prädiktor für wirtschaftlichen Erfolg in einer Kultur ständiger Optimierung und des Erfolgsdrucks sei die psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz, zum Beispiel das Aufgehoben-Sein in einem Team.

Es fehlt Ärzten oft an Selbstfürsorge

Aber das fordert zum Beispiel kompetentere (Team-)Führung. „Warum gehen Mitarbeiter plötzlich heraus aus den Arbeitskontexten?“, fragte Gündel. „Da kann schon ein Gespräch, das schlecht geführt wurde, den Ausschlag gegeben haben.“

Wie schlecht offenbar viele Ärzte geführt und geschützt werden, dokumentieren auch Zahlen, die Gündel vorlegte: Danach erleben 25% der Chirurgen in Deutschland in ihrer Arbeit übermäßigen Stress. Bei Pädiatern liegt dieser Wert bei 28,4% und bei Internisten gar bei 62,1%. Das Problem der Ärzte: Sie setzen das Wohlergehen ihrer Patienten obenan – und ignorieren oft das eigene Befinden.

Bei diesem Fehler haben sie sogar die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf ihrer Seite. Die Deklaration von Genf aus dem Jahr 2017 formuliert: „Ich werde auf meine Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können.“ Von Selbstfürsorge kein Wort.

Dr. Klaus Beelmann von der Ärztekammer Hamburg schlug vor, in den WHO-Text einzufügen, dass Ärzte nicht nur um ihrer Patienten willen, sondern auch um ihrer selbst willen auf ihre Gesundheit achten sollten. Wie schwierig das ist, zeigen die Zahlen, die Beelmann mitgebracht hatte. Er stellte die Interventionsprogramme der Landesärztekammern für suchtkranke Ärztinnen und Ärzte vor – „aus Fürsorge und Patientenschutz“, wie es hieß.

 
Im Studium glaubt man, alle Krankheiten zu haben, im Beruf glaubt man, gar keine mehr zu haben. Dr. Klaus Beelmann
 

„Wenn Ärzte krank sind, sind sie Patienten“, betonte Beelmann. „der Weg zu dieser Erkenntnis ist nicht leicht, die Psychodynamik des Weges ist heimtückisch – denn im Studium glaubt man, alle Krankheiten zu haben, im Beruf glaubt man, gar keine mehr zu haben.“ Wird ein Arzt suchtkrank, fällt es ihm besonders schwer, die eigene Bedürftigkeit anzuerkennen.

In rund 50% aller Fälle sind Ärzte, die an dem Programm teilnehmen, alkoholabhängig, in 30% alkohol- und medikamentenabhängig. Aber: Nur jährlich 150 Ärztinnen und Ärzte nahmen bisher dieses umfangreiche Programm wahr. Dabei ist es sehr erfolgreich – in 70% aller Fälle hat die Intervention Erfolg.

Diskussionen und Beschlüsse: Von „besseren Arbeitsbedingungen“ bis „Schulungsangeboten zur Selbstfürsorge“

Die folgende Diskussion der Vorträge auf dem Ärztetag und die Beschlüsse zeigen, worin die meisten Delegierten den Ansatz für mehr gesunde Ärzte sieht: in besseren Arbeitsbedingungen. Zwar betonte Gündel noch einmal, Ärzte sollten immer wieder zurücktreten, „um zu sehen, was ich ändern kann“, und er forderte von den Kammern die Möglichkeit zu kontinuierlicher Supervision für Ärzte.

Aber je länger die über dreistündige Diskussion dauerte, umso mehr Stimmen forderten weniger Arbeits- und Zeitdruck oder bessere Honorare. „Wir müssen uns gegen die Arbeitsbedingungen wehren, Resilienz hin oder her,“ resümierte eine Stimme aus dem Kreis der Delegierten.

Der Ärztetag forderte denn auch in einer Reihe von Beschlüssen bessere Arbeitsbedingungen und weniger Bürokratie – aber auch, „verstärkt Schulungsangebote zur Selbstfürsorge und Resilienz in Anspruch zu nehmen“, wie es in einem Beschlusstext heißt. Zudem soll Resilienz und Selbstfürsorge in die Ausbildung aufgenommen werden. Eine kontinuierliche Supervision für Ärzte lehnte der Ärztetag dagegen ab.

 

Kommentar

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