500 kcal täglich mehr: Studie bestätigt, stark verarbeitete Lebensmittel lassen uns mehr essen und so zunehmen

Antje Sieb

Interessenkonflikte

4. Juni 2019

Wer sich hauptsächlich von stark verarbeitetem Fertigessen ernährt, isst offenbar deutlich mehr als bei einer Ernährung aus frischen Produkten. Das konnten US-Forscher um Dr. Kevin Hall vom National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases in Bethesda in einer Studie an gesunden Versuchspersonen zeigen [1].

Dr. Stefan Kabisch

„Ein kausaler Zusammenhang zwischen Übergewicht und Fertiggerichten lässt sich daraus mit Einschränkungen ableiten“, sagt dazu der Ernährungsmediziner und Studienarzt Dr. Stefan Kabisch vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam.

Frische Kost oder Fertigessen

Hall und seine Kollegen hatten 20 Versuchsteilnehmer in ihrer Klinik auf 2 unterschiedliche Diäten gesetzt:

  • Die eine Hälfte ernährte sich 2 Wochen lang hauptsächlich von stark verarbeiteten Lebensmitteln wie Cornflakes, Fertigpizza, Kartoffelpüree aus der Tüte oder Fischstäbchen.

  • Die zweite Gruppe bekam nur Essen aus frischen Zutaten mit viel Obst, Gemüse und Nüssen.

Nach 2 Wochen wurde der Speiseplan getauscht. Alle Teilnehmer durften jeweils so viel essen, wie sie wollten, und taten das auch: Mit Fertigessen futterten sie im Schnitt aber fast 500 kcal täglich mehr als mit frischer Kost, und legten fast ein Kilo an Gewicht zu.

 
Ein kausaler Zusammenhang zwischen Übergewicht und Fertiggerichten lässt sich daraus mit Einschränkungen ableiten. Dr. Stefan Kabisch
 

Dabei hatten die Wissenschaftler keine Mühen gescheut und die Kostformen so gut wie möglich aneinander angepasst, so dass sie prozentual etwa gleich viel der wichtigen Nährstoffe enthielten. Allerdings waren bei gleichem Zuckergehalt im Fertigessen mehr zugesetzte, also schnell verfügbare Zucker enthalten.

Und auch bei den Ballaststoffen gab es Unterschiede: Zum Fertigessen gab es zwar Ballaststoffdrinks, aber die frischen Mahlzeiten enthielten deutlich mehr unlösliche Ballaststoffe.

Verarbeitungsgrad und Übergewicht

Einen Zusammenhang zwischen Übergewicht und stark verarbeiteten Lebensmitteln hatte man schon aus Beobachtungsstudien vermutet: Je höher der Anteil solcher Lebensmittel an der Ernährung, desto eher trat Übergewicht auf. Auch die Sterblichkeit wurde bereits mit Fertigpizza und Co in Verbindung gebracht.

Wie sich solch ein Zusammenhang erklären lässt, ist allerdings noch unklar – häufig wurden bisher höhere Gehalte an Fett, Zucker und Salz als potenzielle Ursache vermutet. Hall und seine Kollegen hatten versucht, Unterschiede bei den Nährstoffen möglichst auszuschließen. Trotzdem enthielt die Fertigkost geringfügig weniger Eiweiß.

Deshalb vermuten die Wissenschaftler, dass die sogenannte Protein-Leverage-Hypothese zum Teil erklären könnte, warum die Probanden bei der Fertigkost mehr Kalorien zu sich nahmen. Diese Hypothese geht davon aus, dass der Mensch so lange weiter isst, bis er eine bestimmte Proteinmenge verzehrt hat. Dazu passt, dass die Probanden die zusätzlichen Kalorien eigentlich nur in Form von Fett und Kohlenhydraten zu sich genommen hatten. Die gegessene Proteinmenge blieb bei beiden Ernährungsformen gleich.

Möglicherweise mussten die Versuchspersonen bei Fertigessen insgesamt etwas mehr essen, um ihren Proteinhunger zu stillen, spekulieren die Forscher. So lasse sich die erhöhte Kalorienaufnahme aber nur teilweise erklären.

Ein weiterer Erklärungsansatz: Die Fertiglebensmittel wurden im Schnitt schneller verzehrt. Sie haben eher eine weichere Konsistenz und müssen weniger zerkaut werden – auch das könnte ein Grund für Überessen sein, glauben die Autoren.

Zudem könnten auch weniger unlösliche Ballaststoffe und mehr schnell verfügbare Zucker im Fertigessen durchaus den Appetit beeinflussen, erklärt Kabisch. Auch wenn der Gesamtzuckergehalt gleich sei, hätten die freien Zucker andere Effekte: Das wirke sich biologisch unterschiedlich aus und führe dann weniger zur Sättigung, sondern bewirke eher ein Appetit-anregendes Erlebnis.

Fertigessen: Weniger Geld, weniger Aufwand

Weniger verarbeitete Lebensmittel in der Ernährung könnten möglicherweise gegen Übergewicht und Diabetes helfen, vermuten Hall und seine Kollegen. Als generelles Auswahlkriterium tauge der Verarbeitungsgrad allein aber nicht, sagt Kabisch: „An der Stelle würde dann Honig als nicht verarbeitetes Produkt als extrem gesund eingeschätzt, das ist definitiv auch nicht richtig.“

 
Dann würde Honig als nicht verarbeitetes Produkt als extrem gesund eingeschätzt, das ist definitiv auch nicht richtig. Dr. Stefan Kabisch
 

Innerhalb einer Produktgruppe sei es aber durchaus sinnvoll, die weniger verarbeiteten Produkte zu bevorzugen – oder sogar nur die Zutaten zu kaufen und selbst zu kochen und zu backen.

Das Problem: In der vorliegenden Studie kostete die frische Ernährung deutlich mehr als das Fertigessen. „Der Markt wird das allein nicht regeln, politische Maßnahmen sind notwendig“, sagt Kabisch dazu. Zuckersteuer oder gesunde Mehrwertsteuer sind z.B. Vorschläge, die eine gesündere Ernährung auch zur preiswerteren Ernährung machen sollen.

 
Der Markt wird das allein nicht regeln, politische Maßnahmen sind notwendig. Dr. Stefan Kabisch
 

Ein Faktor bleibt allerdings: „Was man einberechnen muss, ist natürlich die Arbeitszeit, die ich beim Kochen selbst investiere.“ Nach Kabischs Einschätzung ernährt sich der Durchschnittsdeutsche allerdings nicht von über 80% stark verarbeiteten Lebensmitteln, wie das die Teilnehmer der aktuellen Studie taten. „Es wird in Deutschland doch noch mehr mit natürlichen Zutaten gekocht.“

 

Kommentar

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