Münster – Dr. Thorsten Kehe, Vorsitzender der Geschäftsführung der Märkischen Gesundheitsholding, hatte auf der Veranstaltung für junge Ärzte am Vorabend des 122. Deutschen Ärztetages in Münster einen schweren Stand [1]: „Sowas gibt´s. Bei uns gibt es aber sowas nicht!“, sagte er auf die Frage, ob die Geschäftsführung in seinem Hause bei den OP-Mengen Vorgaben macht – und erntete ironisches Gelächter aus dem mit jungen Medizinern überfüllten Raum.
„Die Versorgung von morgen – wie wollen die nächsten Generationen die Patientenversorgung sicherstellen?“, so das Thema des Dialogs mit jungen Ärzten, der in diesem Jahr bereits zum vierten Mal stattfand.
Man müsse keine Vorgaben machen und könne auch über die Motivation der Ärzte und Pflegenden die Versorgungsqualität verbessern und Ziele erreichen, legte Kehe nach.
Ärzte bräuchten ohnedies mehr ökonomischen Sachverstand. So müssten Fragen der Ökonomie im Krankenhaus getrennt werden von den Gefahren der Kommerzialisierung. Will sagen: Ökonomie – ja; schließlich müssen auch Kliniken rechnen, um zu existieren. Aber Kommerzialisierung, das heißt, Medizin um des Gewinnes wegen – nein. Schließlich ist die Patientenversorgung kein Geschäft.
Für diese Unterscheidung hatten die jungen Ärzte und Studierenden zwar Verständnis, aber ihre Erlebnisse im Klinikalltag sprechen offenbar oft eine andere Sprache. „Bei Helios und Asklepios denken alle nur ans Geld“, so eine protestierende Stimme aus dem Publikum.
Ein anderer Kommentator beklagte die Leere, die die Abwesenheit medizinethischer Fragen im Krankenhaus hinterlasse: „In genau diesen leeren Raum zieht die Ökonomisierung ein.“ In manchen Krankenhäusern würden gar Patienten operiert, die es nicht oder noch nicht nötig haben, „nur um die OP-Säle am Laufen zu halten“, hieß es.
Patienten kommen nicht, um die Vorgaben der Chefärzte zu erreichen
Zudem vermissten die jungen Mediziner bessere Führungsqualitäten bei ihren Vorgesetzten und eine bessere funktionierende Weiterbildung in den Kliniken. Mancherorts müssen die Assistenten für eigenes Geld die nötigen Fortbildungen an Wochenenden einkaufen und nachholen, war aus dem Auditorium zu hören. Eine Aufgabe, die eigentlich in den Krankenhäusern erfüllt werden sollte.
Vor diesem Hintergrund riefen die jungen Mediziner in Münster nach grundsätzlichen Lösungen: Bessere Führung auf den Stationen der Klinken (eine Forderung, die Kehe im Übrigen teilt), mehr Kooperation mit anderen Gesundheitsberufen und Schluss mit den „Listen“ der OP-Vorgaben. „Schließlich kommen die Patienten nicht ins Krankenhaus, um die Vorgaben der Chefärzte zu erreichen“, forderten die Zuhörer. Klare Worte also darüber wie die jungen Mediziner in Zukunft ihre Arbeit tun wollen – und wie nicht.
Auch Klinik-Vorstand Kehe glaubt, ein Systemwechsel bei der Krankenhausversorgung nach dem Modell Dänemarks könnte helfen. „Mit rund 1.600 Krankenhäusern haben wir zu viele. Eine Konzentration der Versorgung würde auch für bessere Qualität sorgen.“ Dänemark reduziert die Zahl der vielen Krankenhäuser im Land auf wenige große Häuser.
Freud und Leid der Niedergelassenen
Was die Zukunft der ambulanten Versorgung angeht, warb die Ärztin und Personalberaterin bei Russell Reynolds Associates, Dr. Anne Wichels-Schnieber, dafür, alte Zöpfe abzuschneiden. „Die Arbeitswelt der Ärzte wird sich massiv verändern“, sagte Wichels-Schnieber im Hinblick auf die Digitalisierung und künstliche Intelligenz in der medizinischen Versorgung.
„Die Frage ist, wollen wir das alles über uns kommen lassen oder wollen wir es gestalten?“ Es gebe viele digitale Lösungen, die das Leben des niedergelassenen Arztes leichter machen könnten, sagte Wichels-Schnieber. Sei es der Algorithmus, der den Dienstplan koordiniert oder die Software, die die Dokumentation erleichtert.
Offenbar hatten die jungen Niedergelassenen auf der Veranstaltung aber andere Fragen. Die HNO-Ärztin Eva-Maria Ebner bekannte sich zur Niederlassung. „Ich wollte immer schon meine eigene Chefin sein“, sagte sie. Denn sie habe so mehr Zeit für die Patienten. „Im Krankenhaus hatte ich nicht einmal Zeit, mich den Patienten vor der OP vorzustellen.“ Für den besseren Patientenkontakt nimmt sie als Niedergelassene auch in Kauf, dass sie anfangs sehr wenig Freizeit hatte und sich auch um die Gesundheit der Praxisfinanzen kümmern muss. „Jetzt lebe ich quasi meinen Traum!“, resümierte Ebner.
Und das unternehmerische Risiko? Es sei für die Ärzte, die von den Beiträgen der Versicherten leben, im Vergleich mit einem Imbiss-Inhaber gering, betonte Dr. Pedram Emami, Diskussionsleiter und Präsident der Ärztekammer Hamburg.
Am Schluss der Veranstaltung äußerten sich einige der jungen Mediziner ratlos. „Wir legen immer den Finger in die Wunde und dann passiert doch nichts“, sagte einer der jungen Ärztinnen nach der Veranstaltung zu Medscape: „Um wirklich ein Ergebnis zu haben, das wir mitnehmen können, wäre eine andere Struktur der Veranstaltung hilfreich“, schlug ein anderer vor, „zum Beispiel in Form von Workshops, in denen Resultate erarbeitet und dann im Forum vorgestellt und diskutiert werden.“
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Diesen Artikel so zitieren: Der Finger in der Wunde: Junge Ärzte beklagen die Kommerzialisierung in der Medizin - Medscape - 29. Mai 2019.
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