Münster – Ein Präsident in Abschiedsstimmung und ein kämpferischer Bundesgesundheitsminister: Am Dienstag, 28. Mai 2019, eröffnete der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, in Münster den 122. Deutschen Ärztetag [1].
Montgomery wird im Laufe des Ärztetages abtreten. Und die Delegierten werden unter bisher 3 Kandidaten und einer Kandidatin den neuen Kopf der Bundesärztekammer (BÄK) wählen. Die für den Donnerstag geplante Wahl dürfte der Höhepunkt des diesjährigen Ärztetages sein.
Zur Wahl stehen (wir berichteten):
Dr. Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN) und Vizepräsidentin der Bundesärztekammer,
Dr. Gerald Quitterer, Präsident der Ärztekammer Bayern,
Dr. Klaus Reinhardt, Vize-Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, und
Dr. Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin.
Montgomery: Zutiefst überzeugt von der Selbstverwaltung
Vor den Delegierten erinnerte Montgomery in seiner Rede an die „Fülle von Gesetzesentwürfen, Ideen und Vorstellungen, in atemberaubendem Tempo“, die in den zurückliegenden Monaten aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) kamen. Vor allem die Bestimmungen des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) kritisierte Montgomery erneut.
„Musste beim TSVG die Anhebung der Pflichtstundenzahl der Vertragsärzte von 20 auf 25 wirklich sein?“ Und: „Tat der enteignende Eingriff in die Besitzverhältnisse der gematik wirklich Not?“
Der scheidende Präsident bekannte sich als „zutiefst überzeugt“ von der Selbstverwaltung und ihrer Fähigkeiten. Ihre Probleme etwa mit dem Vorankommen der elektronischen Gesundheitskarte rührten nicht von einer Unfähigkeit und von Problemen der Selbstverwaltung an sich her, „sondern von nicht erfüllbaren, politisch gemachten Vorgaben“, sagte Montgomery.
Auch kritisierte er die Zweifel der Politik an der Professionalität der Ärzteschaft. Es brauche keine neuen Gesundheitsberufe, sondern mehr Ärzte und mehr Studienplätze, so Montgomery unter dem Beifall der Delegierten.
Ähnlich auch das Gesetz, das eine eigene Psychotherapeutenausbildung schaffen will. Dies sei ein „völlig überflüssiges Gesetz“, weil es die Psychotherapie aus dem Spektrum der ärztlichen Leistung herauslöse. Dabei sei Psychotherapie „etwas zutiefst Ärztliches“. Sigmund Freud, ein Arzt, würde sich „im Grabe umdrehen“, wenn er die Gesetzgebung in Deutschland sähe, sagte Montgomery.
Kein Wunder, dass der BÄK-Präsident denn auch die Regelung des Hebammengesetzes zur Voll-Akademisierung des Berufes kritisierte. Anstelle eines Hebammenstudiums brauche es „mehr praktische Ausbildung, klare Haftungsregelungen und klare Verantwortlichkeiten“, so Montgomery.
Einigkeit mit den Beschlüssen des BMG signalisierte Montgomery mit Spahns Vorstoß zur Impfflicht gegen Masern oder mit den Regelungen zur Organtransplantation. „Es war stark, wie Sie beim Organspendegesetz Krankenkassen, Leistungserbringer und Politik zusammengebracht haben“, so Montgomery in Richtung des Bundesgesundheitsministers.
„Man muss auch das Positive sehen!“
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) konterte mit energischen Worten: „Ich bin der erste Bundesgesundheitsminister seit fast 20 Jahren, der den Einstieg in die Entbudgetierung geschafft hat!“, rief er den Delegierten mit Verweis auf das TSVG zu.
Laut TSVG erhalten Ärzte, die neue Patienten aufnehmen, erstmals ihre Arbeit unbudgetiert vergütet. Hausärzte, die einen dringenden Facharzttermin vermitteln, erhalten 10 Euro extrabudgetär. Das „Sprechstundenproblem“ sei eine Realität und kein „gefühltes Problem“, sagte Spahn.
Ebenso warf sich der Minister für eine bei der Ärzteschaft denkbar unpopuläre Regelung in die Bresche – die Landarztquote. „Eine Gesellschaft hat bei dem teuersten Studium, das das Land zu bieten hat, das Recht, zu fragen, ob die damit finanzierten Ärzte auch dort ankommen, wo sie gebraucht werden.“
Und die 51%ige Übernahme der gematik durch den Bund verteidigte Spahn mit den nur langsam mahlenden Mühlen der gematik und ihrer Aufgabe, die Telematik-Infrastruktur auf die Beine zu stellen. „Nach 14 Jahren sind wir nicht da, wo wir sein müssen“, kritsierte Spahn. Nun müsse Tempo gemacht werden.
In ein paar Jahren werden die heutigen Kritiker prüfen können, „ob ich etwas gerissen habe bei der gematik“, so Spahn. „Und wenn ich nichts vorangebracht habe, dann habe ich auch die Torte im Gesicht, ich trage dann dafür die Verantwortung.“
Schließlich erinnerte Spahn an die wachsende Gewalt in den Praxen und Krankenhäusern. „Wir wollen den strafrechtlichen Schutz auch auf diese Delikte ausdehnen“, kündigte Spahn an und setzte hinzu: „Eine Gesellschaft, die dieses Problem politisch regeln muss, hat eigentlich schon verloren.“
Eigene Gesundheit im Blick
Tatsächlich werden die Delegierten in diesem Jahr auch ihr eigenes Ergehen und ihre eigene Gesundheit in den Blick nehmen. „Wenn die Arbeit Ärzte krank macht“, lautet das Thema von 3 geplanten Vorträgen. Sie werden auch beim entsprechenden Passus der Deklaration von Genf anknüpfen: „Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können.“
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Diesen Artikel so zitieren: Ärztetag eröffnet mit Kritik an TSVG, aber auch Lob für Spahn – Gesundheitsminister verteidigt gematik-Übernahme - Medscape - 29. Mai 2019.
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