Alter ist der wichtigste Risikofaktor für Krebs – aber bis zu welchem Lebensjahr macht die Früherkennung Sinn?

Dr. Klaus Fleck

Interessenkonflikte

24. Mai 2019

Wiesbaden – Je älter ein Mensch, desto größer sein Risiko, an Krebs zu erkranken. Das bedeutet: Während die onkologische Primärprävention bereits in jungen Jahren beginnen und lebenslang erfolgen sollte, gewinnt die Krebsfrüherkennung mit zunehmendem Alter an Bedeutung – zumindest bis Anfang/Mitte 70. Was dies für die Praxis bedeutet, erläuterte die Internistin PD Dr. Anne Letsch von der Berliner Charité beim diesjährigen 125. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Wiesbaden [1].

Zahl alter Menschen mit Krebs nimmt zu

Insbesondere ab dem Rentenalter steigt das Krebsrisiko deutlich und im weiteren Verlauf kontinuierlich an. „Das Alter ist der wichtigste Risikofaktor für die Entstehung von Krebserkrankungen, und damit wird es in Zukunft immer mehr alte krebskranke Menschen geben“, so Letsch.

 
Das Alter ist der wichtigste Risikofaktor für die Entstehung von Krebserkrankungen. PD Dr. Anne Letsch
 

So zeigen die Krebsregisterdaten des Robert Koch-Instituts (RKI), dass in Deutschland 2 Drittel aller Krebserkrankungen Frauen und Männer betreffen, die älter als 65 Jahre sind. „Ab einem Alter von 70 Jahren erkranken eine von 4 Frauen und einer von 3 Männern an Krebs“, berichtete die Berliner Internistin.

Krebserkrankungen bei Männern betreffen am häufigsten die Prostata, die Lunge und den Darm, bei Frauen sind es Brust, Darm und Lunge. Insgesamt liegt das Risiko, während des gesamten Lebens an Krebs zu erkranken, bei Frauen bei 38% und bei Männern bei 44%.

Die Gründe für das im Alter steigende Krebsrisiko sind vielfältig, wie Letsch erläuterte: „Dazu zählen etwa eine genomische Instabilität, Veränderungen der Telomere, epigenetische Veränderungen oder eine veränderte interzelluläre Kommunikation.“

Als besondere, von jedem selbst zu beeinflussende Risikofaktoren hob die Internistin Rauchen, Alkoholkonsum und Übergewicht hervor. So könnten einer Analyse aus Großbritannien zufolge dort 19% aller Krebserkrankungen vermieden werden, wenn niemand mehr rauchen würde, und eine Reduktion des Alkoholkonsums könnte jährlich rund 12.800 Krebsfälle vermeiden. Beispiele für mit Übergewicht assoziierte bösartige Neubildungen sind das Ösophaguskarzinom und das Endometriumkarzinom.

Nationale Dekade gegen den Krebs

Möglichst viele Krebsneuerkrankungen zu verhindern (Primärprävention) und die Früherkennung zu verbessern (Sekundärprävention) ist Ziel der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) initiierten und Anfang dieses Jahres gestarteten Nationalen Dekade gegen Krebs.

Um die Krebsfrüherkennung weiterzuentwickeln sollen dabei u.a. die informierte Inanspruchnahme von GKV-Krebsfrüherkennungsprogrammen gesteigert werden, aber auch die Programme hinsichtlich ihres Nutzens (vor allem zur Mortalitätssenkung) evaluiert werden – unter Einbindung der epidemiologischen Landeskrebsregister.

Früherkennung heißt in der Regel, dass die Diagnose bereits vor dem Auftreten erster Symptome gestellt werden kann. „Ist eine dann einsetzende frühe Behandlung erfolgreich, so ist dies in der Regel mit einem Gewinn an Lebenszeit verbunden. Bei nicht erfolgreicher Behandlung hingegen wurde die Diagnose lediglich vorverlegt und der Patient hätte ohne diese möglicherweise länger unbeschwerter gelebt“, gab Letsch zu bedenken.

Was die GKV erstattet

Von der GKV werden folgende Krebsfrüherkennungs-Untersuchungen erstattet:

  • Gebärmutterhalskrebs: jährliche Genitaluntersuchung für Frauen ab 20 Jahre

  • Brustkrebs: jährliche Untersuchung mit Inspektion und Palpation von Brust und regionären Lymphknoten für Frauen ab 30 Jahre und Mammografie-Screening alle 2 Jahre für Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren

  • Hautkrebs: Hautkrebs-Screening alle 2 Jahre für Männer und Frauen ab 35 Jahre

  • Prostatakrebs: jährliche Genitaluntersuchung für Männer ab 45 Jahre

Darmkrebs: jährliche Untersuchung mit immunologischem Test auf okkultes Blut im Stuhl (iFOBT) für Männer und Frauen ab 50 bis 54 Jahre sowie Koloskopie für Männer und Frauen ab 55 Jahre (Wiederholung nach 10 Jahren) oder alternativ Test auf okkultes Blut im Stuhl (iFOBT) alle 2 Jahre

Frauen besser motiviert

Die Bereitschaft, Krebsfrüherkennungs-Untersuchungen (KFE) in Anspruch zu nehmen, scheint zumindest bei den Frauen relativ hoch zu sein: Die Berliner Internistin zeigte die Ergebnisse von Patientenbefragungen durch das RKI, nach denen immerhin 78% der Frauen über 65 Jahre angaben, jemals an einer KFE teilgenommen zu haben. Bei den Männern über 65 bejahten dies lediglich 71,7%.

 
Ab einem Alter von 70 Jahren erkranken eine von 4 Frauen und einer von 3 Männern an Krebs. PD Dr. Anne Letsch
 

Gute Aufschlüsse gab eine weitere Befragung von Über-55-Jährigen zu den Gründen, warum das Angebot KFE – hier konkret einer Koloskopie – bisher nicht angenommen wurde. 58% von ihnen gaben an „weil ich keine Probleme mit dem Darm habe“, 31% antworteten „weil ich es persönlich nicht für notwendig halte“ und 21% sagten „weil es mir unangenehm ist“. In diesen Fällen besteht also noch reichlich Raum für ärztliche Aufklärungsarbeit.

Nutzen des Screenings über 75 bislang eher fraglich

Fraglich ist allerdings, ob Koloskopien und andere Formen des Krebsscreenings auch noch über einem Alter von 75 Jahren sinnvoll sind. Letsch verwies auf eine Simulationsstudie, bei der eine Fortsetzung des Darmkrebs-Screenings nach weiteren 10 Jahren (also im Alter von 85 und 95 Jahren) bei vorher unauffälliger Untersuchung lediglich 0,3 Sterbefälle auf je 1.000 Patienten verhinderte.

Auch für andere Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung würden mehr epidemiologische Daten gebraucht, um deren Nutzen für Über-75-Jährige zu belegen.

Lungenkrebs-Screening für Hochrisikogruppen

Als neues Früherkennungs-Angebot dürfte es in absehbarer Zeit ein Lungenkrebs-Screening für Hochrisikogruppen geben: In der belgisch-niederländischen NELSON-Studie mit mehr als 15.000 Teilnehmern wurde bei starken Rauchern ein Basisscreening gemacht und anschließend 3 weitere Male eine Low-Dose-Computertomografie, nämlich nach einem Jahr, nach 2 und nach 2,5 Jahren.

Das Screening senkte das Risiko, an einem Lungentumor zu sterben, im Vergleich zu einer zweiten Gruppe ohne Screening um knapp 30% nach 10 Jahren.

Primärprävention durch Lebensstil-Änderungen

Ein Drittel bis die Hälfte aller Krebserkrankungen, so schätzen Experten, ließe sich vermeiden, wenn die Menschen gesünder leben würden. Konkrete Empfehlungen zur Primärprävention bzw. der individuellen Senkung des Krebsrisikos gibt z.B. der von der WHO koordinierte Europäische Kodex zur Krebsbekämpfung (European Code Against Cancer).

Selbst zu beeinflussende Krebsrisikofaktoren sind neben dem Tabak- und Alkoholkonsum sowie Übergewicht ebenso mangelnde Bewegung, ungesunde Ernährung (zu viel Fett und Zucker, zu viel rotes Fleisch), übermäßige Sonnenstrahlung und durch Impfungen vermeidbare Infektionen (z.B. HBV und HPV).
 

Kommentar

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