Seit 2011 ist Prof. Dr. Frank-Ulrich Montgomery Präsident der Bundesärztekammer (BÄK). Nun läuft seine Amtszeit aus. Eine Bewerberin und 3 Bewerber wollen die Nachfolge des Hamburger Kammerpräsidenten auf dem Chefsessel der BÄK antreten. Am Ärztetag in der kommenden Woche in Münster wird gewählt. Wer sind die 4 Ärzte, die sich als Montgomery-Nachfolger bewerben?
Dr. Martina Wenker ist Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN) und Vizepräsidentin der BÄK. Sie wurde 1958 in Göttingen geboren und studierte auch dort Medizin. Die Pneumologin war Assistentin am St. Bernward Krankenhaus in Hildesheim. Seit 1991 ist Wenker Oberärztin in der Lungenklinik Diekholzen bei Hildesheim.

Dr. Günther Jonitz
Dr. Günther Jonitz, ebenfalls Jahrgang 1958, ist seit 1999 Vizepräsident der Berliner Ärztekammer und im Vorstand der Bundesärztekammer. Der Chirurg wurde in München geboren, studierte in Berlin und Bochum Medizin. Jonitz arbeitet heute in der Chirurgie des Krankenhauses Moabit in Berlin.
Dr. Gerald Quitterer wurde 1956 im bayerischen Eggenfelden geboren. Er ist seit 2018 Präsident der Bayerischen Landesärztekammer und ist im Vorstand des Bayerischen Hausärzteverbandes. Quitterer studierte in München Medizin. Er arbeitet als Hausarzt in eigener Praxis in Eggenfelden.
Dr. Klaus Reinhardt wurde 1960 in Bonn geboren. Er ist Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, im Vorstand der Bundesärztekammer und Vorsitzender des Hartmannbundes. Reinhardt studierte Philosophie und Jura in Bonn und danach Medizin in Padua. Der Allgemeinmediziner arbeitet in eigener Praxis in Bielefeld.

Dr. Klaus Reinhardt
4 Fragen stellte Medscape den 4 Kandidaten. Hier sind ihre Antworten:
Frage 1: Weshalb bewerben Sie sich?
Wenker: „All die Jahre, in denen ich mich in der ärztlichen Berufspolitik engagiere, haben mir gezeigt, dass ich nur etwas verändern kann, wenn ich mich an den richtigen Stellen mit konstruktiven Vorschlägen für ein Thema einsetze“, schreibt sie. „So wie ich das bisher als Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen auf Landesebene getan habe, möchte ich das im Namen der Ärzteschaft zukünftig auch auf Bundesebene als Präsidentin der Bundesärztekammer tun.“
Jonitz verweist auf seine Erfahrung. „Die Gesundheitspolitik hat die Versorgung in die Krise der weichen Rationierung geführt“, so der Berliner Kammerpräsident. „Die Standespolitik kann helfen, dies zu ändern. Meine Überlegungen zu einer anderen Gesundheitspolitik finden bislang bis hin zum Deutschen Ärztetag großen Anklang.“
Quitterer meint kurzerhand, es sei für ihn „an der Zeit“, sich zu bewerben. Und: „Weil mich mein berufspolitisches Engagement dorthin führt. Weil ich der Ärzteschaft eine Stimme geben möchte.“
Reinhardt verweist zur Begründung auf sein bisher großes berufspolitisches Engagement in vielen Positionen und seine Leidenschaft für die Sache. „Da ich selbst noch immer hausärztlich tätig bin und täglich mit den Problemen des Gesundheitssystems konfrontiert werde, freut es mich nun umso mehr, gemeinsam mit meinen Kolleginnen und den Landesärztekammer-Präsidentinnen Dr. Ellen Lundershausen und Dr. Heidrun Gitter die Präsidiumswahl als Team anzutreten.“
Frage 2: Welche Themen gehören aus Ihrer Sicht am dringlichsten auf die Agenda der BÄK?
Wenker würde im Fall ihrer Wahl die Themen mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und den gesundheitspolitischen Sprechern der Bundestagsfraktionen „die aktuell am dringlichsten sind“, gerne „vis-à-vis“ besprechen, wie sie schreibt. Dazu zählt sie: die Förderung der Organspende, die unbedingt freiwillig bleiben muss, wie sie betont. Die Widerspruchslösung hält sie für den falschen Weg. Der Ärztemangel könne durch Kooperationen mit anderen Gesundheitsberufsgruppen bekämpft werden – aber ohne, dass ärztliche Tätigkeiten „ausgelagert“ werden, meint sie weiter. Und bei der Digitalisierung setzt sie auf ärztlichen Sachverstand, aber auch auf die Steuerung von KI und „Big Data“.

Dr. Gerald Quitterer
Eine starke Selbstverwaltung zu erhalten und die ärztliche Freiberuflichkeit zu schützen, sieht Wenker ebenfalls als eine dringliche Aufgabe. Und aktuell und konkret: Eine Impfpflicht soll her und dazu die Maßnahmen, sie durchzusetzen und zu kontrollieren.
Jonitz gibt sich kämpferisch. Er will als Präsident die „klare Benennung der Ursachen der Krise“. Die Versorgung müsse verbessert werden, statt falsche Strategien der Kostensenkung anzuwenden, wie die Politik es tue. Er fordert: Schluss mit falschen Anreizen durch Ausgaben-orientierte Budgets und Profitorientierung und das Ende von Wettbewerb anstelle von Zusammenarbeit. „Solange die Grundfehler nicht zumindest adressiert sind, ist die kleinteilige Politik Teil des Problems“, sagt er.
Wird er Präsident, möchte er neu über die Rolle und Herausforderungen der Ärzteschaft nachdenken. „Die Rolle des Alleinverantwortlichen ist vorbei“, meint Jonitz und verweist auf das Vorbild anderer Länder. „Medizin, Patienten und Rahmenbedingungen haben sich zum Teil grundlegend verändert, unser Selbstbild und die Art, in der Politik gemacht wird, nicht. Das muss überdacht werden.“
Außerdem will er sich an die Strukturen des eigenen Hauses machen. Die Arbeit der BÄK müsse neu definiert werden – und zwar als „Arbeitsgemeinschaft der Landesärztekammern und des Deutschen Ärztetages“. Deshalb soll zum Beispiel ein zweiter Berliner „Arbeits-Ärztetag“ im Herbst eines jeden Jahres her. Der öffentliche Ärztetag im Mai würde dagegen gekürzt.
Jonitz vermisst zudem offenbar eine gewisse Ordnung: „Die politische Arbeit muss zielgerichtet und systematisch werden“, fordert er.
Quitterer betont ähnlich wie Wenker ebenfalls die klassischen Themen der Ärzteschaft. Zuallererst geht es ihm um „unsere originären Aufgaben wie Weiterbildung, Berufsordnung, Qualitätssicherung, um den Ärztinnen und Ärzten einen verlässlichen Rahmen für Ihre Berufsausübung zu geben“, schreibt der bayerische Hausarzt. Und er sucht den „Schulterschluss aller Ärztinnen und Ärzte, um unsere Interessen nach innen und außen zu vertreten. Nicht zuletzt, der Politik zu zeigen, dass wir ein freier Beruf sind, den es im Sinne der Versorgung unserer Patientinnen zu schützen gilt.“
Reinhardt, der Hartmannbund-Chef, würde sich im Falle seiner Wahl besonders dafür einsetzen, dass Ärztinnen und Ärzte wieder mehr zu ihren eigentlichen Tätigkeiten kommen. „Wir brauchen mehr Zeit für ärztliches Handeln“, schreibt er. „Zuwendung, Wissen und Sorgfalt brauchen als wertvolle ärztliche Ressource einen Rahmen, damit sie sich entfalten können. Und sie brauchen Zeit.“ Darum will er sich im Falle seiner Wahl dafür einsetzen, dass die für ärztliches Handeln notwendigen Freiräume „wieder Maßstab allen gesetzgeberischen aber auch selbstverwaltenden Handelns“ werden.
Außerdem brauche es eine „strukturierte und klar zielorientierte Diskussion über Fehlanreize im Honorarsystem, den Abbau von Bürokratie, über eine intelligente Patientensteuerung und über klar definierte Grenzen der Ökonomisierung des Gesundheitssystems und des Arztberufes“, betont Reinhardt. „Greifbare Ergebnisse einer solchen Debatte sind am Ende auch ein wichtiger Beitrag gegen den Ärztemangel und für mehr Motivation der kommenden Ärztegeneration.“
Frage 3: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn beschränkt die Selbstverwaltung (TSVG, evtl. Eingriff in den Leistungskatalog durch das BMG, Übernahme von 51% der Gematik, etc). Warum kann die Ärzteschaft dies nicht verhindern? Was wäre nötig, um der Ärzteschaft mehr Durchsetzungskraft zu verschaffen?

Dr. Martina Wenker
Wenker fordert hier vor allem mehr Einigkeit in der ärztlichen Kommunikation. „Wenn Sie in den Medien schauen, finden Sie viele Stellungnahmen von Verbänden, Ärztekammern, Kassenärztlichen Vereinigungen und anderen Institutionen wie Krankenkassen und Interessengemeinschaften“, sagt sie.
Verschiedenen Meinungen seien zwar förderlich. „Wenn wir als Ärzteschaft aber die Politik auf Bundesebene erreichen wollen, müssen wir mit einer Stimme sprechen“, so Wenker. Deshalb will sie mehr mit ärztlichen Verbänden und Fachgesellschaften zusammenarbeiten, um auf Bundesebene gemeinsame Lösungen präsentieren zu können.
Jonitz pocht vor allem auf das ärztliche Selbstbewusstsein. Man müsse „das Wesentliche des Arzt-Seins deutlicher betonen“, schreibt er. „Wir haben uns viel zu sehr stigmatisieren und in die Defensive drängen lassen. Das Gute am Arzt-Sein auch öffentlich herauszustellen, erhöht das Selbstvertrauen und das Ansehen und wirkt gegen den Ärztemangel.“
Mehr Durchsetzungskraft gewinnt aus Jonitz Perspektive, wer klarmacht, was gute Medizin ist: evidenzbasierte Medizin. Und, wer erklärt, wer die Patienten wie und mit welchen Ressourcen versorgt. „Diese Fragen beschäftigen die Politik am meisten. Solange 80 Prozent aller Kosten durch ärztliche Entscheidungen ausgelöst werden, haben wir dort Möglichkeiten und Verantwortung“, so Jonitz.
Die Ärzteschaft brauche „bessere Konzepte zur Beantwortung der Fragen rund um die Versorgung generell“.
Quitterer mahnt ähnlich wie Wenker mehr Geschlossenheit unter den Ärzten an. Es brauche „eine gemeinsame Darstellung dessen, was wir tagtäglich für unser Gesundheitssystem leisten und wie die Selbstverwaltung den Staat entlastet. Populismus kann die Ärzteschaft nicht verhindern, aber wir können unsere Profession noch mehr in den Vordergrund stellen.“
Populismus kann die Ärzteschaft nicht verhindern, aber wir können unsere Profession noch mehr in den Vordergrund stellen.
Reinhardt betont, die Ärzteschaft dürfe die Eingriffe der Politik auf keinen Fall hinnehmen: „Es gilt, sich dagegen zu wehren.“ Wie Wenker pocht er auf Geschlossenheit. „In welchem Maße uns dies gelingen wird, hängt allerdings ganz wesentlich auch davon ab, inwieweit wir es fertigbringen, die große Zahl der unterschiedlichen ärztlichen Interessenverbände in den wesentlichen Punkten zu gemeinsamen Positionen zusammenzuführen!“, erklärt er.
„Es muss uns gelingen deutlich zu machen, wer eigentlich für ‚die Ärzteschaft‘ spricht. Nur dann wird unsere Stimme auf Dauer auch wirklich Gewicht haben.“
Frage 4: Welche Themen liegen Ihnen persönlich am Herzen?
Wenker wirbt für eine starke Umweltmedizin. Die Umwelt habe großen Einfluss auf die Gesundheit „und wir können an ganz vielen Stellschrauben drehen, um bessere und gesündere Lebensverhältnisse zu schaffen“, sagt sie.
Ebenfalls ein Anliegen ist ihr die Palliativ- und Schmerzmedizin, um einen würdigen Abschied zu ermöglichen und den ärztlich assistierten Suizid gar nicht erst zur Option werden zu lassen. „Ärztlich assistierter Suizid (...) stellt meines Erachtens eine große Gefahr für ein vertrauensvolles Verhältnis von Arzt und Patient dar.“
Jonitz beschäftigt vor allem eine neue Definition des Arzt-Seins: „Ich möchte, dass wir als verfasste Ärzteschaft in der Politik genauso souverän, kompetent und human agieren wie wir es im ärztlichen Alltag der Patientenversorgung auch tun bzw. tun wollen“, schreibt der Berliner Chirurg.
„Nur mit einem neuen politischen Konzept und einer neuen Definition unseres Arzt-Seins, weg vom Heldentum hin zum humanen Könner und Befähiger, werden wir die Patientenversorgung aufrechterhalten können.“
Quitterer liegt vor allem der Nachwuchs am Herzen und die Reform des Zugangs zum Medizinstudium. Außerdem eine „Positionierung gegen die Kommerzialisierung unseres Gesundheitswesens“ und der sinnvolle Umgang mit Digitalisierung und künstlicher Intelligenz.“
Reinhardt meint: „Ganz besonders wichtig ist es mir natürlich, das Projekt ‚GOÄ‘ zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Es ist aus meiner Sicht eine Selbstverständlichkeit, dass der freie Beruf des Arztes eine eigenständige, angemessene und zeitgemäße Gebührenordnung, unabhängig von allen sozialrechtlichen Vorgaben, hat – so wie alle anderen freien Berufe auch.“
Die Wahl wird in der nächsten Woche stattfinden. Der neue Präsident beziehungsweise die neue Präsidentin wird sein/ihr Amt sofort nach der Wahl antreten.
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Diesen Artikel so zitieren: 4 Fragen, 4 Antworten – Medscape stellt die Bewerber für den Präsidenten-Sessel der BÄK vor - Medscape - 22. Mai 2019.
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