Keine Wurst, kein Weißbrot, stattdessen viel Obst und Gemüse – das Buffet auf der Jahrespressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) in Berlin war bewusst zusammengestellt. Denn mit einer solchen Ernährung hilft man dem Darm, eine gesunde Flora aufzubauen, erläuterte Prof. Dr. Andreas Stallmach, Direktor der Klinik für Innere Medizin am Universitätsklinikum Jena [1].
Warum dies wichtig ist, und welche Therapiemöglichkeiten sich über die Darmflora bieten, war Schwerpunktthema der Pressekonferenz. Dabei gibt es Anlass zu viel Optimismus – aber auch Angebote, vor denen die DGVS explizit warnt.
Moderne Ernährung reduziert die Vielfalt an Bakterien
Das „Mikrobiom“ besteht bei jedem Menschen aus mindestens 160 verschiedenen Arten von Bakterien und auch aus Pilzen. Ohne deren Hilfe könnte wir keine Nährstoffe aus der Nahrung verarbeiten und aufnehmen.
Doch das Mikrobiom reagiert empfindlich auf das, was es im Darm vorgesetzt bekommt: „Die heute übliche hochkalorische Ernährung mit wenigen Ballaststoffen verschiebt das bakterielle Gleichgewicht“, sagte Prof. Dr. Christian Trautwein, Mediensprecher der DGVS und Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Stoffwechselerkrankungen und Internistische Intensivmedizin am Universitätsklinik RWTH in Aachen.
Bestimmte Bakterienstämme können sich dadurch besser vermehren, andere werden zurückgedrängt. Die Folge: Die Vielfalt an Bakterien im Darm nimmt ab. „Ein solcher Verlust an Diversität ist für jedes Ökosystem ein negativer Faktor.“
Die „Western Style Diät“ gilt deshalb als Grund für die Zunahme an Erkrankungen der Verdauungsorgane. Jährlich werden laut DGVS 2,5 Millionen Menschen in Deutschland deshalb im Krankenhaus behandelt. Bis 2030 wird diese Zahl nach DGVS-Schätzungen um 20 bis 25% zunehmen.
Krankheiten wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa breiten sich über die Altersgruppen aus und betreffen mittlerweile schon Kleinkinder, berichtete Stallmach. Eine „Verbesserung“ des Mikrobioms könnte helfen, diese Zunahme aufzuhalten, meinte er. Das Problem ist: „Wir wissen heute noch nicht, was ein gutes Mikrobiom ist.“ Denn die Darmflora ist hoch individuell, wie ein Fingerabdruck.
Noch keine Grundlage für generelle Mikrobiom-Analysen
Deshalb rät die DGVS auch eindeutig davon ab, sein Mikrobiom auf eigene Kosten analysieren zu lassen. „Dafür fehlt bisher die wissenschaftliche Grundlage“, sagt Stallmach. Im schlimmsten Fall leiteten unseriöse Anbieter aus den Ergebnissen Ernährungsempfehlungen ab, die die Lebensqualität einschränkten oder sogar zu einer Mangelernährung führen könnten.
„Das Mikrobiom hat ein großes Potenzial“, sagt Trautwein, „aber heute ist es einfach noch zu früh, daraus konkrete Therapien abzuleiten.“
Allerdings kann man schon etwas tun, um sein Mikrobiom zu stärken – außer der bereits genannten gesunden Ernährung. Besonders kritisch für die Darmflora sind nämlich Behandlungen mit Antibiotika. „Diese sollte man nur nehmen, wenn sie wirklich medizinisch notwendig sind“, sagt Stallmach. „Sie werden aber nach wie vor zu häufig genommen – auch bei Virusinfekten, bei denen sie wirkungslos sind.“
Die langfristigen Nebenwirkungen auf das Mikrobiom würden dabei oft vergessen. Die DGVS empfiehlt, eine Antibiotika-Behandlung immer mit der parallelen Einnahme von Probiotika zu kombinieren.
Fäkaler Mikrobiota-Transfer bei C. difficile-Infektionen und entzündlichen Darmerkrankungen
Liegt bereits eine Erkrankung vor, helfen Probiotika aber nicht. Hier ist der „Fäkale Mikrobiota-Transfer“ (FMT) von einem gesunden Spender eine Therapieform, in die viele Patienten große Hoffnungen setzen. Für die Behandlung einer bestimmten Erkrankung ist sie inzwischen auch das Mittel der Wahl, nämlich bei einer wiederholten Infektion mit Clostridioides difficile: Bis zu über 90% der Patienten erlangen dadurch laut einer Studie aus Dänemark Beschwerdefreiheit.
Auch bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gibt es vielversprechende Studienergebnisse einer Metaanalyse: 8 Wochen nach einem FMT waren 37% der Patienten beschwerdefrei – gegenüber 18% in der Placebo-Gruppe. Im Herbst dieses Jahres startet eine Langzeitstudie zu FMT bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. „Kurzfristig ist dieser aber noch keine Therapieoption“, sagte Stallmach.
Über das Mikrobiom Darmkrebs bekämpfen?
Auch bei der Entwicklung von Darmkrebs spielt das Mikrobiom offenbar eine Rolle, wie eine italienisch-brasilianische Studie und eine Studie unter der Leitung der Universität Heidelberg zeigen. So reichern sich bestimmte Bakterien an Tumoren und ihren Vorstufen an, vor allem so genannte Fusobakterien. Sie fördern die Zellteilung von Tumorzellen und tragen zu tumorfördernden Entzündungen bei.
Daten von Patienten zeigen, dass eine Besiedelung mit Fusobakterien mit einem reduzierten Überleben assoziiert ist. Selbst in Fernmetastasen konnten Fusobakterien nachgewiesen werden. Entfernt man diese im Tiermodell, wuchsen weniger Metastasen.
„Es ist aber noch unklar, was das für die medizinische Praxis bedeutet“, sagt Prof. Dr. Sebastian Zeißig von der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Dresden: „Und bisher ist es schwierig, selektiv nur diese Bakterien beim Menschen zu entfernen.“
„Die Erkenntnisse, die wir in den letzten Jahren haben, zeigen, dass in der Erforschung des Mikrobioms ein riesiges Potenzial liegt“, resümiert Trautwein. Um die Aktivitäten stärker zu bündeln, plädiert die DGVS dafür, ein Deutsches Zentrum für Gastroenterologische Gesundheit zu gründen. Es soll die bestehenden Zentren vernetzen und so die Entwicklung von Strategien zur Prävention, Früherkennung und Behandlung fördern.
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Diesen Artikel so zitieren: Große Erwartungen an den fäkalen Mikrobiom-Transfer – Experten sehen aber noch viel Forschungsbedarf - Medscape - 21. Mai 2019.
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