„Eher ein Tanz als ein Ringkampf“ – so motiviert man Patienten zu mehr Bewegung

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

13. Mai 2019

Wiesbaden – „Viel Sport hilft viel – aber wenig Bewegung hilft auch schon eine ganze Menge.“ So lautet die Botschaft von Sportmedizinern an Ärzte, die ihre Patienten zu mehr Bewegung im Alter motivieren wollen.

„Jegliche muskuläre Aktivität, die den Energieumsatz über den Ruhe-Energieumsatz erhöht, bewirkt etwas. Nur wer sitzt, verliert“, sagte Sportmediziner Prof. Dr. Frank C. Mooren, Ärztlicher Direktor der Reha-Klinik der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Westfalen in Münster, auf einem Symposium zu Tipps und Strategien für mehr Bewegung im Alter auf dem 125. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) [1].

WHO-Empfehlungen zu „ambitioniert“

Die Bewegungsempfehlungen der WHO – wöchentlich mindestens 150 Minuten moderater oder 75 Minuten intensiver Ausdauersport mit einer Mindestdauer pro Einheit von 10 Minuten, plus Krafttraining 2 Mal pro Woche – betrachtet Mooren als „ambitioniert“. Ärzte und Patienten sollten sich seiner Ansicht nach „freimachen von derart unrealistischen Empfehlungen“.

 
Jegliche muskuläre Aktivität, die den Energieumsatz über den Ruhe-Energieumsatz erhöht, bewirkt etwas. Nur wer sitzt, verliert. Prof. Dr. Frank C. Mooren
 

Das gelte insbesondere bei Bewegungsempfehlungen für Ältere oder Patienten mit Bewegungseinschränkungen. Für ihn zählen zudem auch Gartenarbeit oder Treppensteigen statt den Aufzug oder die Rolltreppe zu benutzen zu körperlicher Aktivität, nicht nur der Freizeitsport.

Der Ruheumsatz (etwa 3,5 ml O2/kg/min bei Männern und 3,15 ml O2/kg/min  bei Frauen oder ein Energieverbrauch von 4,2 KJ/kg/h) wird mit 1 MET (Metabolisches Äquivalent) gleichgesetzt. Entsprechend wird für diese Aktivitäten veranschlagt:

  • Golfspielen, Spazierengehen oder Tanzen: 3 MET

  • Hausarbeit: 3,5 MET

  • Gartenarbeit: 4,5 MET

  • Fahrradfahren: 6 MET

  • Schwimmen (1.500 m/h): 7 MET

  • Laufen (11 km/h): 11 MET

„Entscheidend ist aber generell eine Erhöhung des Energieumsatzes, egal wie“, so Mooren. Eine Meta-Analyse von 9 Kohortenstudien mit mehr als 120.000 Teilnehmern habe gezeigt, dass selbst niedrig dosierte körperliche Aktivitäten das Mortalitätsrisiko um 22% senken, bemerkte Mooren.

 
Wir wissen, dass eine generelle Aktivierung mehrere Krankheitsbilder positiv beeinflusst. Prof. Dr. Frank C. Mooren
 

Daher sei sowohl die Sportart, die der Patient ausübe, als auch die Art des Trainings – kurze, intensive Belastungen oder längere Belastungsphasen mit moderater Intensität – für einen grundsätzlichen Effekt, die Aktivierung der Mitochondrien also, unerheblich. „Wir wissen, dass eine generelle Aktivierung mehrere Krankheitsbilder positiv beeinflusst“, sagte der Sportmediziner.

Motivationsgespräch: In 4 Stufen zum Erfolg

Wie man einen Patienten überhaupt motiviert, mehr Zeit im Stehen, Gehen oder im Fahrradsattel und weniger auf der Couch zu verbringen, erklärte Dr. Andreas Jähne, Facharzt für Psychiatrie an der Rhein-Jura-Klinik Bad Säckingen und Experte für motivierende Gesprächsführung. 

Wichtig sei eine Autonomie-Orientierung. Der Patient müsse also das Gefühl haben, selbst die Entscheidung für mehr Bewegung im Alltag zu treffen und Ziele selbst formulieren. Durch Verbote und erzieherische Maßnahmen seien die wenigsten zu einer Verhaltensänderung bereit. Das erzeuge vielmehr Widerstand.

 
Das heißt also, mit dem Patienten eher einen Tanz als einen Ringkampf vollführen. Dr. Andreas Jähne
 

„Besser funktioniert es, den Patienten einzubeziehen und partnerschaftlich Entscheidungen zu treffen“, betonte Jähne. Das sei möglich über das Aufdecken von Diskrepanzen: „Der Patient sagt, er will einerseits alt werden, bewegt sich aber andererseits nicht.“ Solche Widersprüche gelte es im Gespräch herauszuarbeiten und daraus Ziele abzuleiten. „Das heißt also, mit dem Patienten eher einen Tanz als einen Ringkampf vollführen.“ Patienten seien nämlich generell nicht unmotiviert, sondern „ambivalent“.

Sein Vorschlag für ein 4-stufiges Motivationsgespräch:

  • Engaging: in Kontakt treten, Anteil nehmen

  • Focussing: Anliegen herausarbeiten

  • Evoking: Änderungsbereitschaft hervorlocken

  • Planning: konkreter Änderungsplan

Bewegungsziele sollten so spezifisch und realistisch wie möglich formuliert werden. „Bei einem Menschen, der vorher keinen Sport getrieben hat, macht es wenig Sinn einen Marathon anzupeilen als vielmehr zu vereinbaren, dass er dreimal pro Woche zehn Minuten von der weiter entfernten Bushaltestelle zu Fuß nach Hause geht“, veranschaulichte Jähne.

Evidenz zu Bewegung als Therapie „erdrückend“

Mit Patienten über Bewegung zu sprechen, empfahl auch Dr. Wolfgang Geidl, Lehrstuhl für Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Bewegung und Gesundheit an der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen. Er plädierte für die Verschreibung des „Medikaments Bewegung“, mit dem 26 verschiedene chronische Erkrankungen therapiert werden können, etwa Typ-2-Diabetes, koronare Herzerkrankung (KHK), chronische Herzinsuffizienz, Arthrose, Osteoporose, unterschiedliche Krebserkrankungen, Depression oder Asthma, zählte er auf.

 
Bei einem Menschen, der vorher keinen Sport getrieben hat, macht es wenig Sinn einen Marathon anzupeilen … Dr. Andreas Jähne
 

„Die Evidenz hierzu aus Studien ist erdrückend. Sport schneidet teilweise besser ab als die Standardtherapie.“ Bewegung zeige einen Mortalitäts-Vorteil, der dem vieler Medikamente gleichzusetzen sei hinsichtlich der sekundären Prävention der KHK, der Rehabilitation nach einem Schlaganfall oder der Prävention von Diabetes, sagte Geidl.

Jedoch erreichen 50 bis 85% der Menschen mit chronischen Erkrankungen nicht die von der WHO empfohlenen Bewegungsempfehlungen. Zwar werde das „Medikament Bewegung“ flächendeckend in der Reha eingesetzt; jedoch verfehlen 70 bis 85% per Patienten das Ziel der Förderung eines aktiven Lebensstils nach Beendigung der Reha. „Das bedeutet: Die nachhaltigen Wirkungen einer Reha bleiben sehr häufig aus. Nur 15 bis 30% profitieren tatsächlich.“

Verhaltensbezogene Bewegungstherapie

Sein Schlüssel zu einem nachhaltig aktiven Lebensstil: eine verhaltensbezogene Bewegungstherapie. „Wir wissen mittlerweile, dass reine Trainingsinterventionen nicht zu einer Verhaltensänderung führen“, sagte Geidl. Statt eines rein funktionsorientierten Ansatzes müsse auch die psychische Komponente mit einbezogen werden; etwa persönliche Faktoren, die erwiesenermaßen direkten Einfluss auf das Bewegungsverhalten haben.

Ziel der Therapie sei es, den Patienten zu einem aktiven Lebensstil zu führen. Im Gespräch mit dem Patienten werde zunächst ein Bewegungsziel gesetzt, dessen Erreichen immer wieder kontrolliert werde, etwa in einem Bewegungstagebuch.

Um Patienten eine positive Bewegungserfahrung zu ermöglichen, müsse „passgenau“ interveniert werden, sprich, das Training an die körperliche und psychische Ausgangslage sowie die Vorlieben des Patienten angepasst werden. „Es gilt herauszufinden, was den Leuten Spaß macht“, sagte Geidl.

Zudem gelte es, die Auswirkungen von Bewegen und Nichtbewegen zu veranschaulichen und die physischen und psychischen Effekte eines aktiven Lebensstils zu vermitteln. „Wir wissen alle, dass die Motivation sich zu bewegen nicht dem tatsächlichen Verhalten gleich zu setzen ist.“

Daher sei die Vermittlung von Techniken zur Umsetzung von Bewegungsabsichten genauso wichtig wie das Erarbeiten konkreter Bewältigungspläne für körperliche Aktivität, inklusive Trainingsdokumentation.

 

Kommentar

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