Neue ESC-Leitlinie für Schwangere mit kardiovaskulären Erkrankungen: Die wichtigsten Empfehlungen im Überblick

Maren Schenk

Interessenkonflikte

10. Mai 2019

Mannheim – Die European Society of Cardiology (ESC) hat neue Leitlinien für Therapien bei kardiovaskulären Erkrankungen in der Schwangerschaft herausgegeben. „Zu den wichtigsten Neuerungen dieser Leitlinie gehört die starke Betonung der WHO-Klassifikation zur Einschätzung des mütterlichen Risikos“, erläuterte Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek bei der Vorstellung der Leitlinie auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) [1].

 
Zu den wichtigsten Neuerungen dieser Leitlinie gehört die starke Betonung der WHO-Klassifikation zur Einschätzung des mütterlichen Risikos. Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek
 

Die Direktorin des Instituts Gender in Medicine an der Charité – Universitätsmedizin Berlin ergänzte, dass diese Risikoeinschätzung auch vor einer geplanten assistierten Reproduktionstherapie gelte. Sie stellte die wichtigsten Neuerungen in Mannheim vor.

Bei etwa 5 bis 10% der Schwangeren treten Komplikationen durch unterschiedliche Formen der Hypertonie auf, während in 1 bis 4% der Fälle eine andere mütterliche kardiovaskuläre Erkrankung die Schwangerschaft kompliziert. Bei schätzungsweise 780.000 Geburten in Deutschland haben also bis zu 78.000 Schwangere Komplikationen durch kardiovaskuläre Erkrankungen.

„Die Zahlen sind aber insgesamt zu klein, als dass ein einzelner Arzt genügend eigene Erfahrungen sammeln kann“, so Regitz-Zagrosek. Hier biete die neue Leitlinie der ESC Unterstützung.

Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek

Zu den wichtigsten allgemeinen Empfehlungen gehört: „Alle Frauen mit Herzerkrankungen, die schwanger werden möchten, sollten eine Beratung möglichst vor der Schwangerschaft in Anspruch nehmen“, betonte Regitz-Zagrosek, die auch Vorsitzende der Expertengruppe ist, die die Leitlinie erstellt hat.

 
Alle Frauen mit Herzerkrankungen, die schwanger werden möchten, sollten eine Beratung möglichst vor der Schwangerschaft in Anspruch nehmen. Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek
 

Denn Daten aus einem großen internationalen Register zeigten, dass bei mehr als 50% der Patientinnen, die keine Beratung vor der Schwangerschaft hatten, das Risiko für Komplikationen doppelt so hoch war wie bei Frauen mit einer vorherigen Beratung. Das Register ROPAC (Registry Of Pregnancy And Cardiac disease) umfasst bisher rund 6.000 Schwangerschaften in 53 Ländern.

Risikoeinschätzung nach der modifizierten WHO-Klassifikation

Eine weitere wichtige allgemeine Empfehlung ist die Risikoeinschätzung und Beratung für alle Frauen im gebärfähigen Alter, die an bekannten oder vermuteten angeborenen Herzfehlern bzw. erworbenen Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems leiden.

Empfohlen wird eine Risikoeinschätzung der Frauen und der Schwangeren nach der modifizierten WHO-Klassifikation des mütterlichen Risikos (mWHO I bis IV), sagte Regitz-Zagrosek und nannte einige Beispiele:

  • Zur Gruppe mWHO I gehören z.B. Frauen mit milder pulmonarer Stenose, Mitralklappenprolaps oder mit erfolgreich behandelten einfachen Herzfehlern (wie operierten Vorhof- oder Ventrikelseptumdefekten). Sie haben ein Risiko von 2,5 bis 5% für ein kardiales Ereignis, aber kein erhöhtes Mortalitätsrisiko.

  • Zur Gruppe mWHO III zählen beispielsweise Patientinnen mit Herzinsuffizienz mit einer Auswurffraktion (EF) von 30 bis 45% oder Trägerinnen von mechanischen Klappen. Sie haben ein signifikant erhöhtes Risiko für Morbidität und Mortalität.

  • Zur Gruppe mWHO IV gehören z.B. Patientinnen mit pulmonaler arterieller Hypertonie oder schwerer Herzinsuffizienz (EF unter 30% oder NYHA-Klasse III-IV). Sie haben ein extrem hohes Risiko für Mortalität und schwere Morbidität (40 bis 100%). „Diesen Frauen sollten Sie von einer Schwangerschaft möglichst abraten, da die Erkrankungen eigentlich Kontraindikationen darstellen.“ Mit diesen Schwangeren und ihrem Partner solle laut Leitlinie ein möglicher Schwangerschaftsabbruch diskutiert werden.

Schwangere mit einem hohen Risiko, dazu gehören auch solche mit mechanischen Herzklappen, sollten in Kliniken bzw. Zentren mit einem erfahrenen Team, möglichst einem Schwangerschafts-Herzteam betreut und behandelt werden. Ein solches interdisziplinäres Team aus Kardiologen, Gynäkologen, Anästhesisten, Neonatologen und Herzchirurgen kann sowohl Patientinnen als auch deren behandelnde Ärzte beraten.

„In skandinavischen Ländern sind solche ‚Pregnancy Heart Teams‘ sehr erfolgreich etabliert und schon weit verbreitet. “ In Deutschland gebe es sie auf formaler Basis noch nicht, sie seien aber anzustreben, so Regitz-Zagrosek.

Empfehlungen bei Herzklappenprothesen, peripartalen Kardiomyopathien und Hypertonie

Eine der Neuerungen der Leitlinie betrifft Schwangere mit mechanischen Herzklappenprothesen und deren Thromboseprophylaxe: „Erstmals unterscheiden wir zwischen Frauen mit hohem und niedrigem Phenprocoumon-Bedarf, um die Ziel-INR-Werte zu erreichen“, erklärte die Kardiologin.

Bei hohem Bedarf sollte im 1. Trimenon auf niedermolekulares Heparin (LMWH) oder unfraktioniertes Heparin (UFH) umgestellt werden (mit entsprechenden Kontrollen), bei niedrigem Bedarf wird angeraten, den Vitamin-K-Antagonisten weiter zu geben.

„Peripartale Kardiomyopathien sind zwar sehr seltene Schwangerschaftskomplikationen, sie können aber sehr schwer und gelegentlich tödlich verlaufen“, so Regitz-Zagrosek. Eine solche Kardiomyopathie manifestiere sich als sehr akut einsetzende Herzinsuffizienz (EF unter 45%) gegen Ende der Schwangerschaft oder in den ersten 6 Monaten danach.

„Die Mortalität reicht von 2 Prozent in Deutschland bis zu 24 Prozent in der Türkei.“ Für die Therapie der peripartalen Kardiomyopathie zeigten neue Studienergebnisse mit Bromocriptin positive Effekte. Die Gabe dieses Dopamin-Agonisten kann erwogen werden, sollte aber immer mit Antikoagulation verabreicht werden.

 
Sichere First-Line-Medikamente bei Bluthochdruck sind Methyldopa, Betablocker und Calciumantagonisten. Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek
 

Ein wichtiges Thema ist die Hypertonie in der Schwangerschaft, da rund 5 bis 10% der Schwangeren Bluthochdruck haben. Die Grenzwerte für den Therapiebeginn weichen bei Schwangeren von der allgemeinen Hypertonie-Leitlinie ab, erläuterte Regitz-Zagrosek: Bei unkomplizierter Hypertonie solle ab 150/95 mmHg behandelt werden, bei komplizierter Hypertonie ab 140/90 mmHg – z.B. bei Gestationshypertonie.

„Sichere First-Line-Medikamente bei Bluthochdruck sind Methyldopa, Betablocker und Calciumantagonisten.“ Kontraindiziert sind ACE-Inhibitoren, ARBs und direkte Renin-Inhibitoren. Bei Gestationshypertonie empfehlen die Experten eine Entbindung in der 37. Schwangerschaftswoche.

150 Arzneimittel klassifiziert

Auch bei der Klassifizierung der Medikamente für schwangere herzkranke Frauen gibt es Neuerungen. Die Leitlinie enthält eine Tabelle mit etwa 150 Arzneimitteln – mit deskriptiver Risikozusammenfassung für jedes Medikament, detaillierten Informationen zu Tierdaten und klinischen Studien, mit Nebenwirkungen und Kontraindikationen.

Aber es gebe immer noch Lücken in der Evidenz für die Leitlinie, betonte Regitz-Zagrosek: „Wir haben insgesamt zu wenige Daten und das Thema braucht mehr Aufmerksamkeit.“ Die Leitlinie ist auch als App und ESC Pocket Guideline erhältlich, eine deutsche Kurzfassung ist in Vorbereitung.

 

Kommentar

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